Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2016 24 Sep

La Donna è mobile

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | Tags:  | 14 Comments

 

J.guitar.thinker@gmx.de

 

Du, lieber J.,

hast dir vielleicht inzwischen das SCHELLING PROJEKT „reingetan“, bei dir muss ich nicht „angetan“ vermuten. Du wirst den Übermut von Peter Sloterdijk erkannt und sein Vorhaben, die Egogenese fortführend erforschen zu wollen, mit Humor aufgenommen haben. Dass er die Subjektivitätsdebatte noch einmal aufblühen lässt, liegt in der biografischen Natur und ist nichts als ein kokettes Reiben an dem damals endlos diskutierten Begriff. Wie er stattdessen eine Knalltüte an Wissen platzen lässt und mit seiner gesamten Nachdenkwelt hausieren geht, um dann zu erklären: wir kennen ungefähr unser Nichtwissen, das kann so nur er. Wie befreiend wird es gewesen sein, all seinen erlesenen Wissensschatz einmal spielerisch in Literatur umzusetzen und uns Leser einzuladen, in seine atemlos machende Hõchsttempokutsche zu steigen.

Seinem ersten Versuch an einer „pornografischen Philosophie“ ist viel positive Akzeptanz zu wünschen. Wir wissen aus seinen traditionelleren Büchern: „Du musst dein Leben ändern“ – was er tun wird: üben, üben, üben.

 
 

m@radioman.com

 

Lieber M., ähem,

es ist dein Roman nicht. Bei Schelling rumpelt es in deiner Magengegend. Für Heidegger Vergleiche bist nicht zu haben. Mõglicherweise könnten die Erzählungen aus dem Ashram deine Aufmerksamkeit gewinnen. Das mystische Poona Luder Mira sendet dort Botschaften, die es in sich haben. Den Frauen rät sie, aufzuhören, Rache zu nehmen. Das blockiere nur. Wie der Mann mit der Langsamkeit beim Sex zurechtkommt, ist sehr lustig und lustvoll dort zu lesen. Jedenfalls behauptet Sloterdijk, dass er nach Poona „psychisch nicht mehr unter seiner deutschen Adresse erreichbar war“.

 
 

H&W@stuttgartfraktion.de

 

Lieber H., lieber W.,

Das SCHELLING-PROJEKT hat das Ziel, die heutige weibliche Sexualität unter die Lupe zu nehmen. Schelling selbst hat Versuche unternommen, die alle kläglich gescheitert waren. Der Denker war optimistischer: Das Ich war schon immer in der Natur. Wie es nun entstand, wissen wir bis heute nicht. Sloterdijk gibt den Gynäkologen und versucht zu ergründen, wie die Ei-Werdung stattgefunden hat. Er kann es auch sprachlich als Mann beeindruckend. Frau Luise Pusch wird mich dafür abstrafen. Sloterdijk’s Sprache ist bei Nietzsche antrainiert. So flott und gleichzeitig geistreich, ist meisterhaft. Dass er seinen Zauberbesen dem Lehrling (P.S.) gibt, macht ihn umso sympathischer. In der Erzählung um Guido zeigt er, dass er seinen Freud beherrscht. Guido darf am Schluss den Laingschen Knoten platzen lassen. Er weint.

 
 

Ma.lyrikfee@t-online.de

 

Liebe Marwe,

ich weiss nicht, ob du der Literaturkritikerin vom Spiegel rechtgeben würdest. Sie findet das neue Buch „peinlich“.

Es gibt darin durchaus als pornografisch zu bezeichnende Textstellen, die dich als Serienkennerin nicht schockieren dürften. Es gibt unter unserem Geschlechterhimmel Exemplare, die ohne Humor und Freigeist durch die Welt gehen und sich wundern, weshalb ihre Lust abhanden gekommen ist. Sie suchen sie in der prüden facebook to facebook Welt anstatt „face to face“ – Sex anzustreben. Sloterdijk nennt das „vom Augenaufschlag der Materie“ und „zu-sich-Kommen der Natur.“ Sehr galant von ihm, in der Sache zu bleiben. Immerhin lässt er drei Frauen zu Wort kommen. Mit der einen (Desirée) teilt er sein „Tollkühnheits-Gen.“ Beatrice wird allerdings leicht gebremst, ihr „Leuchtkõrper“drängt danach, das SCHELLING PROJEKT in „Vita Femina“ umzutaufen. O-Ton Klage von Béatrice: „Man darf sich nur nicht vom Zauberer des Stammes einschüchtern lassen.“ Raffiniert wie Peter Sloterdijk Béatrice eine Mail an Desirée schreiben lässt, in der sie erwähnt, dass sie gerade den „Mann ohne Eigenschaft“ lese. Was dann mit den Mõbelpackern in ihrem Haus passiert, solltest du – unjuristisch -, selbst lesen.

 

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14 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Liebe-L-@Goethefrau!
     
    Dass ich just die neue Leonard Cohen-Platte höre, als ich deine Briefe lese, passt ja ganz trefflich. Gut, dass mir der vollschussmässige Poona-Trip in meinem Leben erspart blieb. Mir reichten die eine oder andere Obsession ganz und gar! :)

    Was für eine wunderbare manafonistische Briefkunst!

    „You want it darker? We kill the flame“

    (L. Cohen)

  2. Michael Engelbrecht:

    magazin.sueddeutsche.de / Man-denkt-an-mich-also-bin-ich …

    sueddeutsche.de / das-begehren-selbst-steht-heute-vor-dem-richter …

     
    Es ist erhellend und witzig, die Interviews zu lesen. Das erspart mir das Buch, das mir sicher nicht so viel Spass machen würde. Ich ertrage diesen Philosophen sehr gut, aber nur in kleinen Dosen.

  3. Michael Engelbrecht:

    Ich kann das natürlich nicht ohne Lektüre beantworten, aber allein mit Bezug auf die Interviews kann ich hier keine Pornografie entdecken. Die Kulturkritik besteht zum Teil eben auch aus verklemmten und selbstgerechten Schlaumeierinnen und Schlaumeiern, die seit Jahrhunderten oft dort Pornografie witterten, wo Kunst von Können kam. Nach S’s satirischen Bemerkungen zur Spiegelredaktion zu Augsteins Zeiten hat die Lady vielleicht eine Retourkutsche erprobt.

    Generell gesprochen, greift Prüderie tatsächlich vermehrt um sich, und „gute Pornografie“ kann das Bewusstsein u. U. durchaus erweitern. Dahinter steckt nämlich nicht immer Sexismus, sondern einfach das Erproben neuer Lustmöglchkeiten, speziell in Partnerschaftstherapien ist dieses Terrain hilfreich.

  4. Martina Weber:

    Queen@Kinks.co.uk
     
    Liebe Laniz,

    das klingt ja fast ein bisschen besorgt. Zwar lässt mich deine Erwähnung der Möbelpacker nicht ganz kalt, ich fürchte, ich werde bei der Debatte aber nicht einsteigen. Ich erinnere mich an einen Geschichtsprofessor, der in einem Seminar sagte, geht immer zu den Quellen, lest die Quellen, sie sind wichtiger als Sekundärliteratur.

    So habe ich mich, während du die letzten Seiten des Schellingprojektes studiert hast, mit der Geschichte der Pornographie beschäftigt, am Beispiel des Pornofilmregisseurs Jacques Laurent, der in dem Film „Le pornograph“ von Bertrand Bonello die Hauptrolle spielt. Ende der 60er war die Pornofilmbranche wohl als eine Art Befreiungsakt gegründet worden. Jedenfalls sagt er das und fängt nach langer Pause doch nochmal mit einem Dreh an. Ich kam über Umwege zu diesem Film, dem ich höchstens drei Sterne geben würde, und das auch nur wegen der großartigen Leistung von Jérémi Renier, der den Sohn spielt.

    Ansonsten halte ich es meistens so, dass das Private politisch ist.

    See u around :)

    Marwe
     
    P.S. I am my own kahuna.

    P.P.S. Always resisted joining facebook.

  5. Lajla:

    Schön, dass Ihr die Parodie von Sloti auf die Facebook Freundschaft aufgegriffen habt. Mit ihm haben wir ja einen Philosophen, der auch mal „in die Welt geht“. Ob die neue CD von Cohen zu diesem neuen Sinnfeld passt, bin ich gespannt. Unser shooting philosopher Markus Gabriel kann sich jedenfalls Tipps von Martina zur Geschichte der Pornografie holen. Und ich auch.

  6. Martina Weber:

    Lajla, wenn du den Film sehen möchtest, schicke ich ihn dir. FSK ab 16. Sehr französisch.

  7. Lajla nizinski:

    Ja gerne. Ich habe Übung, als Minderjährige in verbotene Filme zu gehen :)

  8. Uwe Meilchen:

    Als Lektüre wäre George Bataille empfehlenswert; da kommt dann auch der intellektuelle Überbau zu seinem Recht !

    Und mit Sloterdijks Büchern und Äusserungen bin ich seit seiner „Menschenpark“ Rede eigentlich „durch“.

  9. Lajla:

    „Das Blau des Himmels“ von Bataille habe ich sehr gern als Studentin gelesen.

    Sloterdijk ist meiner Meinung nach heute eine wichtige soziopolitische Stimme. Vielleicht, Uwe, nimmst du mal „Europa“ von ihm zur Hand, darin macht er uns bewusst, in welcher hervorragenden Zone wir leben dürfen. Sehr aktuell, also. Das Buch ist von 2014.

  10. Uwe Meilchen:

    Ja, „Das Blau des Himmels“ !!

    Auf G. Bateille bin ich durch Wolf Wondratschek aufgemerksam geworden: in den 1980igern hatte der S.Fischer Verlag eine Taschenbuchreihe namens „Mein Lesebuch“ und in seinem waren (neben vielen anderen) Texte von Malcom Lowry („Unter dem Vulkan“), Djuna Barnes und eben auch George Bateille enthalten.

    Sein Lesebuch wies mich auf viele Literaten hin, die ich sonst womoeglich nicht fuer mich entdeckt hatte. Seine Gedichtbaende standen in eben jenen Jahren bei mir hoch im Kurs: „Chucks Zimmer“ und all die Sonette-Zyklen, die folgten.

  11. Michael Engelbrecht:

    Zum Thema Sex empfehle ich auch die herrlich durchgeknallte, witzige, manchmal auch sehr erotische und dann wieder ernsthafte Season 1 der amerikanischen Serie EASY. Bei Netflix auch mit deutscher Synchro – das Original macht aber mehr an!

  12. Michael Engelbrecht:

    La Donna e mobile – eine Anspielung an Kamasutra oder geistige Beweglichkeit, oder beides? Oder kann ich kein Italienisch?

  13. Lajla:

    „La Donna è mobile“ ist aus Verdi’s Oper Rigoletto. Sloterdijk passiert mit diesem Zitat ein ziemlicher Ausrutscher: er bezeichnet die Frau als „Gegenstand“, über die / den man viel weiß, aber sie / ihn nicht zu greifen kriegt. I tried to smile.

  14. Michael Engelbrecht:

    Um Opern mache ich mein Leben lang einen grossen Bogen, weil schon frühe Erfahrungen Fluchtreflexe ausgelöst haben. Selbst in Italien, in grossen Arenen, diese gesammelten Ergriffenheiten zu vernehmen, liesse mich ungerührt. Die einzige Oper, die mir je zusagte, war eine Jazzoper, ESCALATOR OVER THE HILL. Ich wurde einmal nahezu genötigt, einer Aufführung von AIDA beizuwohnen. War das schrecklich!


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