Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2016 7 Aug

Bruch im Bad

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags:  | 2 Comments

Jobst war in die Jahre gekommen. Wie er jetzt nassgeschwitzt und mit lädierten Knien unter dem Waschbecken im Badezimmer die defekte Sanitärinstallation zu reparieren versuchte, das erinnerte ihn an seinen Lieblingshelden, den Chemielehrer und späteren Drogenproduzenten Walther White aus der Fernsehserie Breaking Bad: mit allerletzter Kraft sich aufstemmen gegen Verhältnisse, die immer heikler wurden. Das Leben als ein Floß auf einem langen, ruhigen Fluss, aber mit zunehmend unruhiger Strömung, während sich die Floßstämme Stück für Stück verabschiedeten und am Ende nicht Nicaragua sondern Niagara wartete. Doch so solle Jobst das nicht sehen, denn derartige Vorstellungen seien self fullfilling prophecy, sagte ihm jüngst ein Freund, der Psychologe war. Einen spielerisch heiteren Umgang mit der Entropie, zudem Übungen in Gelassenheit, solcherlei Strategien hatte er ja seit Längerem ins Auge gefasst, auch kürzlich auf den schwesterlichen Rat gehört: würdevoll älter werden sei zukünftig das Gebot der Stunde. Hierzu passte nun genau das Buch, das neben seinem Bett auf der Kommode lag, der Titel: Eine Art zu leben. Er pickte sich dort gerne markante Stellen heraus und strich Bemerkenswertes mit Bleistift an, reflektierte dann ausgiebig über einzelne Gedanken. So lebte er mit Büchern, die ihn dann lange Zeit begleiteten und die er immer wieder zur Hand nahm (gut, dass er hier das Taschenbuch wiedermal dem e-book vorgezogen hatte). Der Autor dieser aktuellen Lektüre war Jobst bekannt, er hatte dessen Werk Das Handwerk der Freiheit schon gelesen und wusste auch, dass sich hinter dem Pseudonym Pascal Mercier und dessen (sogar verfilmten) Bestseller Nachtzug nach Lissabon der Philosoph Peter Bieri verbarg. In einfachen und erzählerischen Worten gelingt es dem Schriftsteller nun, Wesentliches zum Thema Würde minuziös zu schildern. Aber jetzt erst einmal sich frischmachen, aufs Fahrrad schwingen und zum Baumarkt radeln, um fehlende Dichtungsringe zu besorgen, denn es half ja nichts: liess man Dinge erstmal schleifen und reagierte nicht sofort, dann wurde es erst recht prekär, das wusste Jobst. Wie Walter White, so wollte er nicht enden.

This entry was posted on Sonntag, 7. August 2016 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

2 Comments

  1. Lajla:

    Das Symphatische an Bieri ist, dass er aus dem akademischen Zwangskorsett ausgetreten ist, weil er freier sein wollte. Ich lese ihn sehr gern.

  2. Michael Engelbrecht:

    2:1 für euch: ich bin damals nach 80 Seiten, und 60 Seiten zuviel, aus dem NACHTZUG NACH LISSABON gesprungen. Ansonsten kenne ich den Philosophen nicht.

    Aber diese Story hier liest sich schön, obwohl der Ausdruck „in Würde altern“ etwas zu altehrwürdig erscheint.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz