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2014 11 Dez

Der Tag, an dem ich ein Musikstück für die Ewigkeit löschte

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Tags:  5 Comments

Um es kurz zu machen mit der Ewigkeit: Ja, für mich hatte das Stück so etwas, das allen Zeitläuften und Strömungen widersteht, und ich hätte es gern auch in meinem übernächsten Leben, sagen wir mal 2213, gehört. Von mir aus auch in Niederösterreich. Da wird nun nichts raus. Eines der wunderbarsten Piano-Bass-Schlagzeug-Werke der jüngeren Zeit entstand in einem grossen Haus in einem schwedischen Wald.

Es heisst SERENITY (1999), ein opus magnum des Bobo Stenson Trios, mit dem Bassisten Anders Jormin und dem Schlagzeuger Jon Christensen. Kein Wunder, dass Manfred Eicher die Gunst der Stunden nutzte und gleich ein Doppelalbum daraus formte. Die drei Musiker sind ja eher ruhige Zeitgenossen, die keine grossen Worte schwingen – aber, meine Güte, da war gewiss etwas Elektrisierendes im Raum (man hätte auch das Klischee von den „sprühenden Funken“ hemmungslos in den Mund nehmen können, vor Ort).

Ich erinnere mich, wie ich mit Konrad Heidkamp am Telefon über SERENITY sprach, und wie wir selbst erstaunt waren, was da, verdammt noch mal, immer noch ging, immer wieder mal, in diesem betagten Format. Konrad schrieb seine schöne Rezension für „Die Zeit“, und ich interviewte den Bassisten Anders Jormin, zu seiner Zeit mit Charles Lloyd, diversen Trioaktiviäten, ersten Soloalben etc. Natürlich sprachen wir auch über SERENITY. („We lived in an isolated house“, an den Satz erinnere ich mich, und dass es dort gutes Essen gegeben habe.) Ich hatte ihm meine Fragen gemailt, und er schickte mir eine DAT-Kassette mit seinen Antworten. Daraus wurde ein 45-minütiges Porträt im Deutschlandfunk, dessen Skript leider verloren ging.

Während ich seine Antworten bearbeitete, entdeckte ich, dass da noch etwas war auf der Kassette, nämlich eine kleine Pause, gefolgt von einem kurzen skandinavischen Dialog, und einem mich vom ersten Ton an faszinierenden Stück aus der Session im schwedischen Wald. Ich liebte es, und plante, es in meiner Nachtsendung einmal zu spielen, mit der Genehmigung von Anders und allen Beteiligten.

Dann unterlief mir ein technischer Fehler, ein fahrlässiger Knopfdruck, ein kleiner Blackout – und das Stück war Geschichte. Gelöscht. Over and out. Die Komposition oder Improvisation lebte von steten Wiederholungen, umkreiste ein kinderliedartig einfaches Motiv, schlicht und ergreifend. Als hätten The Necks an einem Balladenalbum für ECM gearbeitet. Vielleicht fiel es etwas aus dem Rahmen, und fand darum nicht seinen Weg ins Werk. Ich erzählte Anders am Telefon die traurige Angelegenheit, und er musste auch einmal tief durchatmen.

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5 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Konrads Text:

    Gerne wäre man der Erste gewesen, der diese Musik in den Himmel gelobt, der erklärt hätte, dass dem Jazz eine nordische Sternstunde – grob gezählt ein und eine halbe Stunde – hinzugefügt wurde. Als hellhöriger Pionier könnte man gelten, der jenseits aller Diskurse und Trends wieder zur reinen Musik fand.

    Leider zu spät, und doch gibt es – nicht sehr überzeugende – Entschuldigungen. Ein Pianist wie Bobo Stenson, der seit über dreißig Jahren im Hintergrund spielt, zeigt sich nicht so offensichtlich. Einen schwedischen Ehrgeizlosen, einen sideman, der viele begleitete – darunter Stan Getz oder Sonny Rollins -, einen, der offenbar noch immer an die Macht der Tiefe und musikalischen Treue glaubt, den übersieht man leicht.

    Alle paar Jahre veröffentlicht das Bobo Stenson Trio ein Album, verbeugt sich kurz und verschwindet wieder hinterm Vorhang. Dem verehrten Publikum mag der Ansager etwas von Anklängen ans Bill Evans – und Keith Jarrett Trio erklären, von transparenter Melancholie und Ruhe, er würde hier nur an der Oberfläche kratzen. Serenity – das meint Gelassenheit – vibriert vor Intensität. „Der Anfang der Musik“, schrieb John Berger in einem Roman, „war ein Geheul, das einen Verlust beklagte. Das Geheul wurde zu einem Gebet, und aus der Hoffnung in dem Gebet entstand die Musik, die ihren Ursprung niemals vergessen kann.

    In ihr sind Hoffnung und Verlust ein Paar.“ Ein raunendes Erzählen am Klavier wechselt mit einem endlosen Singen der rechten Hand ab, die linke bleibt beinahe unhörbar, bis der Bass von Anders Jormin an sie erinnert, sie ersetzt und den Klang dunkel poliert. Und vor und hinter allem: das tanzende Schlagzeug von Jon Christensen, der – falls das möglich erscheint – Zwischenräume spielt, der Schatten über die Töne wirft oder sie mit metallischem Wischen aufhellt. Unglaublich, die Musik swingt, scheint stillzustehen, schwebt.

    So verschränkt das Ineinanderspiel ist, so weit gestreut sind die Vorgaben: von eigenen Kompositionen und Klangaphorismen bis zu Liedern von Hanns Eisler, Charles Ives, Alban Berg oder dem Kubaner Silvio Rodriguez. Wie selbstverständlich – und sie kennen ihr Klaviertrio-Genre – spielen sie aus dem Material heraus, finden zu einer Parallelität aus Swing, Song und Avantgarde, die sich fühlen, kaum lernen lässt.

    Vielleicht sollte man jetzt Trioalben wie Reflections (1993) und War Orphans (1997) wieder hervorholen, möglicherweise Bobo Stensons Aufnahmen mit Tomasz Stanko, Jan Garbarek, Don Cherry oder Terje Rypdal aus anderer Perspektive hören, ganz sicher aber ist Serenity ein Zeugnis der Unseld-Treue des Produzenten Manfred Eicher zu seinen Musikautoren.

  2. Michael Engelbrecht:

    http://manafonistas.de/2012/03/12/eine-fesselnde-lateinstunde-mit-anders-jormin/

  3. Gregor:

    … und gleich die CD aus dem Plattenschrank geholt (schön, dass ich wenigstens bei Platten und Büchern richtig für Ordnung sorge, ich muss also nicht suchen )… und gleich aufgelegt … und gleich genossen … Was für eine Musik. Danke für den Freitag-Abend-Tipp! Aber die Geschichte ist ja sowas an traurig … Ich könnte da auch einiges beisteuern, aber das lass ich jetzt mal, muss zur Musik!

  4. Henning Bolte:

    Auch unter BASSSONANZEN gibt’s ne Menge zu hören …

  5. Henning Bolte:

    Bobo Stenson hat seit 1993 sehr stetig für ECM aufgenommen und sehr rege für andere Labels und mit anderen Musikern. Er macht sich keineswegs rar. Warum das beste Piano Trio von Veranstaltern in Mitteleuropa so wenig gebucht wird, ist ….(???) Ich habe das Trio jedenfalls nördlich von Rostock in den letzten 14 Monaten dreimal live gesehen.


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