Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2013 1 Apr

Louis Armstrong und ein alter Holzboden in New Orleans

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog,Musik vor 2011 | TB | Comments off

Nach einer Auktion alter Schellackplatten in London gingen für sehr bescheidene 35.000 englische Pfd. einige Raritäten über den Tisch, die noch für Aufsehen sorgen werden. Henry Mascin hat sich 25 Schallplatten gesichert, die Bestandteil einer Holzkiste waren, angereichert mit etwa 150 Fotographien (in teilweise gut erhaltenem Zustand) aus New Orleans anno 1935, überwiegend Porträts aus dem Quartier Latin. Die Musik selbst ist eine geradezu obskure Seltenheit, welche die Versteigerer offensichtlich völlig falsch einschätzten, und die der Käufer im Laufe des nächsten Jahres mit sattem Gewinn veröffentlichen wird, „bei einem renommierten Label“, wie er etwas vage verriet.

Die Musik enthält nicht mehr und nicht weniger als reine Solostücke von Louis Armstrong. Trompete pur, keine Begleitung, ausser dem angeblich oft zu vernehmenden Stampfen der Füsse von Big Louis auf dem Holzboden des kleinen Studios im Quartier Latin. Einige der Fotos zeigen ihn angeblich bei der Arbeit, teilweise bei geöffnetem Fenster, sodass die Stadtgeräusche auf etlichen Tracks  deutlich zu hören seien, Droschken, Hupen, Kindergeschrei. Man ahnt, wie seltsam dieser Fund ist, wenn man sich kurz an die Historie erinnert:  damals trat Armstrong vor allem in Big Bands auf, und bereiste mit dem neu entstandenen Swing auf langen Tourneen die weite Welt.

Die gepressten Exemplare wurden damals nahezu vollständig eingestampft, weil man sie für reine Probeaufnahmen hielt, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt seien. Armstrong selbst stand dem Projekt ambivalent gegenüber, so dass er nicht gross protestiert habe. Wie ein einschlägig bekannter englischer Jazzkritiker nach Anhören der Aufnahmen mitteilte, handele es sich „nicht nur um einen historischen Schatz, sondern auch eine einmalige kreative Offenbarung, auf eine Stufe zu stellen mit frühen Klangdokumenten von Jerry Roll Morton.“ Zumal Armstrong mitunter das Spiel auf der Trompete unterbrochen haben soll, um in einer Art „call and response“ zwischen Trompete und Gesang hin und her zu wechseln. Mehr Details wurden noch nicht preisgegeben. Süffisant kommentierte Henry Mascin sein Schnäppchen: „niemand will das in Stereo hören!“

Im Vorfeld der Publikation dieser musikarchäologischen Sensation (mutmasslich Herbst 2014) hat sich das Management von Björk mit Henry Mascin in Verbindung gesetzt und ihm 80.000 Pfd. geboten für den Ankauf eines „Schellackschätzchens“ der Sammlung, mit dem Deal, dass das neue Björk-Album dieses Fundstück nicht nur in jeder erdenklichen Weise sampeln könne, sondern auch zeitlich deutlich vor dem offiziellen Veröffentlichungsdatum erscheinen dürfe.

In der Welt der experimentellen Popmusik erscheint Armstrongs unerwarteter „Nachlass“ fast grössere Wellen zu schlagen als im Jazz. So ist ausgerechnet der Klangkünstler Brian Eno mittlerweile in die reguläre Veröffenlichung dieser Armstrong-Box eingebunden, für eine Edel-Edition will er auf einer Cd (resp. einer Doppel-Lp) eine elektro-akustische Aufbereitung des Materials anbieten: „Es war mal ein Traum von mir, Miles Davis‘ Trompete in eine uralt klingende, verwitterte elektronische Landschaft zu transportieren. Teo Mascero hat das auf seine Art zauberhaft gemacht auf dem Stück „He Loved Him Madly“,  was ja auch eine Hommage an Duke Ellington war. Jetzt eine Zeitreise anzutreten in die Frühzeit des Jazz, wird ein Abenteuer mit unbekanntem Ausgang. Ich war zwar selten sonderlich scharf auf Jazz als Genre, aber ich liebe die Vorstellung, einem so singulären Sound eine Landschaft an die Seite zu stellen, die von ähnlich weit herzukommen scheint.“ Völlig offen ist, inwieweit Eno den Originalsound von Armstrong bearbeitet, zwischen purem Realismus und totaler Verfremdung.

This entry was posted on Montag, 1. April 2013 and is filed under "Blog, Musik vor 2011". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

Sorry, the comment form is closed at this time.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz