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Archives: Sleaford Mods

 

Der tätowierte Schamane mit Fellmütze sitzt am Küchentisch, als ich nach Hause komme, Beine hoch, Fellschuhe auf dem weißen Esstisch neben der Butter, starrt er mich schweigend an. Sprachlos und schwindlig vermeide ich Blickkontakt, habe andere Sachen zu erledigen. Käfig, Rad, Hamster. Hier ist ein Stückchen Käse zum Knabbern. Einfrieren, dann kann ich später davon essen. Der Keller wird neu verkabelt. Das schwarze Plastik der alten Glühbirnenfassung zerbröselt zwischen den Fingern. Der Boden bebt, Krach rührt mich durch, fügt sich in die Musik ein. Ein Einkaufszettel liegt auf dem Küchentisch, in Schreibschrift stehen Grün, Gedankenformen und Transzendentale Wellen darauf. Ob ich Plansprachen darunter schreibe? Eisiger Wind um meinen Mantel, Schnee fällt von der Küchendecke und bedeckt die Fellmütze mit einem feinen feuchten Film.

 

Jason Williamson hat die Schnauze voll. Kann man mit so einer Wut, und den Mund voller Wörter, grossartige Lieder machen? Ja, kann man. Sogar fettarme Lieder. In dem Song „Fizzy“ schnappt er sich einfach dieses Wort, „Fizzy“, zerbeisst es, zerkaut es, zerlegt es. Und dann, am Ende, haut er noch ein unübersetzbares letztes verächtliches Stöhnen raus, pure unheitere Emotion. (An dieser Stelle gilt es, kurz Einhalt zu gebieten. Leute, die meinen Musikgeschmack nur relativ oberflächlich kennen, würden nie denken, dass ich ein Loblied auf solche Songs singen würde. Sich von meiner Begeisterung anstecken zu lassen, geschieht also auf eigene Gefahr. Ausserdem sample ich hier viele Stellen einer Rezension aus dem Netz, deren Lesen und teilweises Übersetzen mir so viel Spass bereiteten wie das Schreiben für sich allein.) Geräuschmusik, Noise, ist das nicht. Wieso erscheint es also auf einem Label, „Harbinger Sound“, in dem Lärm, zerbrechendes Glas, und rabiates Feedbackgedröhne zum guten Ton zählen?! Weil „noise“ Interferenz ist, und „noise“ eine Kraft darstellt, die existierende Systeme aufbrechen und Erwartungen verstören kann. in dieser Hinsicht ist das erbarmungslose Duo aus Nottingham eben auch geräuschig. Jason Williamson wurde in Grantham geboren, und auch ohne Reiseführer zu befragen, gilt dieses Städtchen als die langweiligste Stadt Englands. Die sogenannte „eiserne Lady“, Maggy Thatcher, kam auch dort auf die Welt, auch das noch! Jahrelang hat sich der junge Jason in Bands getummelt, ohne seinen Ton zu finden. Dann, irgendwann, in einem „fucking studio“ in Nottingham, hat er seine Sprechwutgesänge über einen Metalltrack gelegt. Mit diesem schmutzigen Dialekt, mit lauter seltsamen Wörtern und Codes, die einem Outsider noch fremder vorkommen müssten als der abgedrehteste Graffiti in einer leblosen Industrieanlage. Zynismus, Verachtung, Verzweiflung brechen sich Bahn in seinen Liedern. Warum sollte man sich das antun? Weil der Humor so gut ist! Nach einer Weile gesellte sich Andrew Fearn zu diesen gesammelten schwarzhumorigen Wutattacken und half, den Songs einen feinen groben Schliff zu verpassen: minimale Elektronik, eine Extraidee für jeden Song, zweite Gesangsspur, und andere Details. „Austerity Dogs“ ist eine unglaubliche Schallplatte. Die Stücke gehen in einander über ohne die kürzeste Atempause, die Lieder sind so hart und schmucklos wie „Pink Flag“ von Wire, so trockenbassorientiert wie „Bass Culture“ von Linton Kwesi Johnson, die Atmosphäre ist so dicht, das sich Bass und Tamburin wie der bedrohlichste Klang auf Erden anhören. „I worked my dreams off for two bits of ravioli and a warm bottle of Smirnoff under a manager that doesn’t have a fucking clue.” Wäre „Sozialer Realismus“ nicht so ein abgefackelter Ausdruck, man könnte ihn hier bestens verwenden. Aber das lässt man besser. „Austerity Dogs“ ist ein Meisterwerk aus den dunklen Winkeln Englands. Fizzzzzzyyyyy. Fizyyyyyy. Fizzzzyyyyy.

 
 
 

 
 

(Im letzten Jahr war ich schon sehr angetan von diesem Duo, das so jenseits meiner vertrauten Vorlieben die Säge auspackte und blanken Sarkasmus verströmte. Jetzt, in der Juni-Ausgabe von MOJO, ist ihr neues Werk, eher eine Compilation älterer Tracks, zur Platte des Monats gekürt worden. Aber wirklich doof, dass ich nicht mitgekriegt habe, dass sie einen Tag vor unserem „legendären“ Stuttgarter Klassentreffen im Aachener Musikbunker auftraten, wo ich zuletzt Lamchop sah. Ich hätte sie so gerne gesehen. Fu**!)

Charcoal Owls und Sleaford Mods sind zwei britische Formationen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Die einen repräsentieren einen sozialen Realismus, der an Schärfe kaum zu überbieten ist (man stelle sich zwei anarchistisch gestimmte Bukowskis in der englischen Provinz vor!), die anderen eine traumverlorene Musik, welche die Melancholieausschläge eines John Dowland erreicht, und in flüchtigen Momenten Abgründe aufspürt, bei denen professionelle Trübseligkeitsbläser a la The Cure wie eine manieristische Clownstruppe wirken. Diese beiden Bands kommen tatsächlich aus dem Untergrund, und man möchte wieder die alten Geschichten glauben, von den Kellerräumen und Garagen und Schlafzimmern, in denen aus Trauer, Trostlosigkeit und allen anderen Zonen des Elends sich solch eine verdammte Wut (Sleaford Mods), solch eine verfluchte Zärtlichkeit (Charcoal Owls) Stück für Stück ans Tageslicht kämpfen. In ihrem Element sind diese Chronisten fortschreitender Verluste aber nur im Dunkeln, im tristen Bühnenlicht, oder daheim in unseren schummrigen Stuben. Es gehört zu den Geheimnissen dieser „masters of misery“, dass man sich nach dem Hören ihrer Songs seltsam lebendig fühlt, und nicht Zorn oder Tristesse den Grundton der eigenen Gestimmtheit angeben, sondern pure Lebensfreude, allen Widrigkeiten zum Trotz. Wie geht das nur? Hinter diesen Trick muss man erstmal kommen.


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