Manafonistas

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Archives: Francesco Guerri

Der graue Staub wirbelt über die Straßen des verlassenen Ortes, Bretter hängen von den Fassaden und viele Fensterscheiben sind zerschlagen. Die Anderen sind blind vom Staub. Selbst die Fußspuren verwehen in wenigen Minuten. Lost Places, die Schwingtür eines altertümlichen Saloons ist etwas aus dem Scharnier geschlagen und schlägt mit dem Wind an die gegenüberliegende Tür, die leise vor sich hin quietscht. Beim Eintreten in den dystopischen Saloon wirbelt etwas grauer Staub auf. Der Spiegel hinter dem Tresen ist matt und ein paar Spinnweben hängen in den Ecken. Es hätte schlimmer kommen können. Es ist kein Gast zu sehen und erst beim zweiten hinschauen entdecke ich im Halbdunkel einen dezent gekleideten Herrn fast bewegungslos neben einem zerschossenen Klavier auf einem Schemel sitzen. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht und er greift zu einem größeren Objekt, das neben ihm auf dem Boden lag und hebt es auf, stellt es vor sich. Der Wind fegt etwas neuen grauen Staub in den Raum und der Herr wischt etwas unbeholfen ein schiefes Schild auf dem zerstörten Klavier mit der linken Hand ab und beginnt auf dem Objekt, das sich als Cello herausstellt, zu spielen. Lucy (overture), die Lichtbringerin an diesem düsteren Ort lässt Klänge wie ein kleines warmes Licht aufglimmen und dann …

Francesco Guerri erforscht seit seiner Begegnung mit Tristan Honsinger den Klangraum seines Cellos wie kein anderer. Von den Grenzen der freien Improvisation mit vielen bedeutenden Protagonisten experimenteller Musik über die unwegsamen Terrains experimenteller Tunings bis zu den ungewöhnlichsten Klängen, die er seinem Cello entlocken konnte, heruntergebrochen auf eine Ebene, wo sie laut seinen Worten selbst einem kleinen Kind verständlich sein sollte.

 
 

Ich suche unter den gefallenen Blättern und sammele winzige Fragmente der Welt. Ich behalte sie. Ich weise jedem einzelnen von ihnen seine Rolle und eine Ordnung zu. Es sind oft kleine Fragmente, die einen wilden Duft ausstrahlen, Samen des Lebens, die an mir haften und die ich mit mir trage, wohin ich gehe.

 
 

Das Cello ist ein Instrument bei dem eine warme erdige Eleganz ganz nah neben den rauen, fast verletzend schneidenden Klängen liegt, die kaum einen viertel Bogenstrich voneinander entfernt liegen und manchmal verstörend und intensiv zusammenfallen. Und Guerri geht noch weit hinter diese Grenzen, mal tanzend und sich komplex umrankend, mal fremd und einsam, indem lange Papierstreifen durch die Saiten gezogen werden, mal gezupft wie ein Kontrabass, wo das Cello fast zu singen beginnt, mal roh und rockig, mal dystopisch elegant und zum Schluss elektronisch verzerrt schwebend. Diese helle, kaum nahbare Leichtigkeit spürend kommen einige Leute von der Straße in den verstaubten Saloon, stehen vorsichtig am Rand des Raumes und hören schweigend und staunend, wie sich der Cellospieler in Trance spielt. Die graue Welt ist gerade ganz weit draußen, da kommen zwei Kinder von hinten hinein, der größere rennt mit einer Wasserpistole hinter dem kleineren her. Su Mimmi non si spara, ruft eine Frauenstimme von hinten, schieß nicht auf Mimmi! SCHIESSEN SIE NICHT AUF DEN CELLISTEN! steht auf dem immer noch halbverstaubten, schiefen Schild neben dem Spieler. Lauschen Sie der außergewöhnlichen und wunderbar schillernden Solomusik, die zwischen minimalistischen Strukturen, perkussivem Bogenspiel, fremdartigen Skalen und fast geräuschhaften Klängen, elektronischen Verzerrungen und treibenden Kräften in unberechenbarer Schönheit erklingt.

 
 


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