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Archives: Elektronische Revolution

2015 3 Jun

Room 105

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Es war nicht Nietzsche, aber ein anderer Philosoph, der schrieb, alles Unglück dieser Welt hätte seinen Ursprung in der Unfähigkeit des Menschen, allein in einem Raum zu sitzen. Ich denke manchmal eher daran, was für ein großes Glück es sein kann, zu zweit in einem Raum zu sein. Ich rede hier nicht von gutem Sex. Es geht um die Stunden danach, und davor. Es war um diese Jahreszeit, als es anfing. Wir hatten beide wenig Geld und kauften Lebensmittel beim Penny ein, der nur ein paar hundert Meter vom Studentenwohnheim entfernt lag. Auf dem Weg waren ein paar Kirschbäume, die damals ihre rosafarbenen Blüten auf den Gehweg warfen. Ich mochte die Atmosphäre im Penny nicht, aber mit P dahin zu gehen, das genoss ich. Niemand von uns hatte einen Computer oder einen Fernsehapparat, und über das Gemeinschaftstelefon im Flur konnte man nur angerufen werden. Wir arbeiteten beide gern abends, oft bis spät in die Nacht. Auf dem Tisch stand meistens eine Kanne Tee, deren Zubereitung ich gern P überließ. Er nahm die Blätter mit den Fingern aus kleinen weißen Papiertüten, auf die sein Teehändler mit einem schwarzen dünnen Filzstift mit selbstbewussten Schriftzügen die Namen der Teesorten geschrieben hatte. Mit P in einem Raum zu sitzen, während jeder in eine komplizierte Seminararbeit vertieft war oder einfach irgend etwas anderes las, gab mir eine innere Ruhe und Geborgenheit, die ich nie vorher erlebt hatte. Manchmal saßen wir nebeneinander an dem großen Schreibtisch, der zur Standardausstattung in diesen sehr zweckmäßig eingerichteten Zimmern gehörte. Oder er saß auf dem Bett, im Schneidersitz, während ich versuchte, es mir auf dem orangefarbenen Schalensessel aus Plastik bequem zu machen. Es war immer Hochsommer in diesem Raum, P saß da in seinem gebräuntem schmalen Körper und mit seinen weißen kurzen Sporthosen und irgend einem T-Shirt. Und die Gardinen waren dunkelgrün und ich mochte den Stoff. Es war mir klar, dass die Sache nicht von Dauer sein konnte. Irgendwann schaffte sich P einen Computer an. Ich zögerte noch. Mit elektronischen Geräten verändert sich etwas im Raum. Die Energie, die Aufmerksamkeit. Wenn einer vor dem PC sitzt, und der andere ein Buch liest, stimmt das Gleichgewicht nicht mehr. Du musst dann gegen den Sog konkurrieren, den das Gerät auf seinen Nutzer ausübt. Ich kaufte meinen ersten Computer, nachdem P aus dem Wohnheim weggezogen war.


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