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2017 24 Aug

„Der fünfte Streich“ (Finale)

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Innerhalb von vier Jahren waren also, zwischen Januar 1974 und Sommer 1977 (ten years, after the summer of love, Mr. Whistler!) die vier „Songalben“ von Brian Eno erschienen. Und, bei allem Respekt, hatte mich Roxy Music nur am Rande interessiert. In den ersten zwanzig Jahren eines Lebens ändert sich selbiges mitunter über Nacht, mit bestimmten Platten, später schafft das Musik nur selten. Die Tigerbergmusik war so ein Ding, wie Sgt. Pepper, eine Einstiegsdroge, und die Instrumentalalben verzauberten mich nicht weniger. Was aber die Songs angeht – da war, nach Ray und John und Paul, nach Neil Young und Leonard Cohen und Joni Mitchell und Robert Wyatt, eine neue Lieblingsstimme aufgetaucht, DIE Stimme, eingewickelt in fantastische Klänge.

Nun kam „der fünfte Streich“ (der mir gespielt wurde), das lange Schweigen der Stimme. Ich weiss heute noch, wie ich als Stadtkind, im einsamen Furth i. W., an einem trostlosen Kiosk, ein Interview von Harald InHülsen mit Eno las, der nach New York umgezogen war, und verkündete, keine Lust mehr an weiteren Songalben zu haben. Ich lebte mein erstes Psychotherapeutenleben an der tschechischen Grenze,  und bekam ab und zu Besuch von einer Motorradfahrerin. Da fehlte etwas, alles Glück dünnes Eis, Heimat ein Wort aus dem Erdkundebuch, ich lebte in „a fucking village called Bergeinöden“, John Lennon wurde erschossen, und zwei Jahre lang lief eine sehr begrenzte Zahl an Schallplatten (Seelenfutter!) „on high rotation“, neben den üblichen Verdächtigen auch „Scary Monsters“, „Northern Song“ „Common One“ und „Colossal Youth“. Allison Statton war eine weitere Lieblingsstimme, die noch schneller verschwand als sie kam. Damals ging meine kolossale Jugend kolossal zuende. Crash & crack & break. 

Im folgenden Jahrzehnt wurde ich zum Jäger der verlorenen Stimme, und fand mich damit zurecht, Eno als notorischen „background singer“ zu erleben. Das Highlight im Bayerischen Wald war natürlich „Remain In Light“, ab und zu dann hörte ich ihn bei U2, die mich musikalisch überhaupt nicht packten, ein pathetischer irischer Katholik war wirklich das letzte, was ich brauchte. Einmal sang Brian Eno einen Coversong für einen Jonathan Demme-Film („Ring of Fire“), viel kam da nicht zusammen, bis er, irgendwann nach London zurückgekehrt, beim Staubsaugen die Lust am Singen wiederentdeckte, und sich mit John Cale ein Album lang das Singen der Lieder teilte. Das war der eigentliche „fünfte Streich“, nach den vier bereits erzählten „Streichen“ der vier Alben aus den Siebzigern, das Album „Wrong Way Up“. Damals traf ich Brian zum zweiten Mal, es wurde ein sehr langes Gespräch über Songs und Stimmen und Kindheit. Eine schöne Pointe, dass er in den letzten Jahren fast so viel singt wie einst in jungen Jahren. Damit endet die kleine Textreihe der „fünf Streiche“ – Kristiansand is calling!

An einem sommerlichen Morgen hatte ich in Dortmund, auf dem britischen Soldatensender BFBS, den Song „Here He Comes“ erstmals gehört, aber es dauerte Wochen, bis ich, zurück in Würzburg, genauer gesagt, in Gerbrunn, Paul Ehrlich-Strasse 14 (seltsam, dass man manche Adressen im Kopf behält, die nur von kurzer Verweildauer waren), vom Paketboten aus dem Bett geklingelt wurde, und die Erste Edition von „Before and After Science“ in Händen hielt: diese wahrlich limitierte Auflage enthielt vier Lithographien von Peter Schmidt, einem guten Freund Brians, dessen früher Tod ihn tief traf. Ich weiss nicht, ob ich jemals einer Platte (das Paket kam aus Unterlüß, Leser der Zeitschrift „Sounds“ erinnern sich) mit solcher Vorfreude entgegengefiebert habe, ausser vielleicht „Blue“ und „Sgt. Pepper“. Und „Dondestan“. Es waren einfache Motive, eine Treppe, ein Blick aus dem Fenster, Marginales, alles in unaufdringlicher Farbgebung – diese „paintings“ empfand Eno als zusätzliche „tracks“, nicht erst in seinen späteren Installationen suchte er nach einer Verschmelzung von flüchtigen Klängen und flüchtigen Bildern: die vier Bilder schliessen nahtlos an die ambienten Sphären der Seite Zwei der Schallplatte an, und transportieren das dort vermittelte Gefühl der Ferne, des Treibens im Irgendwo, des stillgestellten Radios, in ein surreales Flair von Alltag, von Tagen im All, von scheinbar vertrauten Räumlichkeiten (die Songs hörte ich heute morgen, sehr früh, am noch unbevölkerten Badestrand Schillig im Wangerland („a thousand miles away …“) – und diese vier Bilder finden sich zum Glück wieder, wenngleich nicht als Einzeldrucke, auf der neuen „half-speed“-Ausgabe seines vierten Songalbums der Siebziger und seines letzten für viel zu lange Zeit. Diese vier gesangshaltigen Alben, die schon seinerzeit so viel Zukunft in sich trugen, und heute wahlweise zeitlos oder zeitgenössisch klingen, sind nach wie vor grosse Abenteuer. Am besten funktionieren diese gesammelten Unerschöpflichkeiten, wenn die eigenen Wissens- und Nostalgiespeicher nur leise im Hintergrund rumpeln.

Mir gehen die Geschichten langsam aus, was „Another Green World“ betrifft, aber wohl nie die Empfindungen. Mitte der Siebziger gab es in Italien eine ganz famose Musikzeitschrift, vom Gehalt bis zur Aufmachung. Ich war dort, in Padua und Venedig, mit der schönsten Frau Gelsenkirchens, als ich in diesem Blatt, dessen Namen ich vergessen habe, die Besprechung der alsbald zur Veröffentlichung anstehenden Schallplatte las. In den Monaten zuvor hatte ich mir alles besorgt, was Eno herausgebracht hatte, und war natürlich voller Vorfreude – eine scheinbar glückliche Liebe unter mindestens einem dunklen Stern, die verrotteten Strassen Venedigs mit Giftschildern an jeder Ecke, die pulsierende linke Szene Paduas, eine Stadt, die in einem kleinen Laden ein knappes Hundert Sun Ra-Platten hortete – und meine Lust, diesen italienischen Text halbwegs zu verstehen. Endlich wusste ich, wozu mein Grosses Latinum gut war. Als es dann soweit war mit dem ersten Hören, war die Erwartung immens, und sie wurde nie enttäuscht, auch nicht nach dem schätzungsweise vierhundertdreiundzwanzigsten Lauschen von vorne bis hinten.

Nathalie Merchant war auch mal jung und eine Plattendiebin, das erste Album, das sie klaute, in ihrem lokalen „drugstore“, war „Taking Tiger Mountain (By Strategy)“. Als sie Brian später einmal bei einer Musikveranstaltung traf, versuchte sie ihm zu erklären, was sie an seinen Soloalben, und nicht zuletzt an der „Tigerbergmusik“, so liebte: nicht die Welt schien ihr mit 14 ein besonders lebenswerter Ort zu sein, sondern die Räume, die Brians Musik aufschloss. Wäre Nathalie da nicht schon eine gestandene Künstlerin gewesen, Brian hätte Angst haben müssen, einen besonders fanatischen Fan vor sich zu haben. „I couldn’t even recognize the instruments that were being played, it was so outrageously original and bizarre“.

Tatsächlich klang hier manches nach Synthesizern, was allein auf das „treatment“ klassischer Instrumente zurückging. Und wenn „Here Come The Warm Jets“ eine in alle Richtungen schiessende Freisetzung kreativer Energien darstellte, „Astral Weeks a la Eno“ (es muss sich zu Roxy-Zeiten einiges aufgestaut haben), ging es auf dem Nachfolger konzentrierter, konzentrischer, zur Sache, die Lieder besassen eine in seltsamen Kreisläufen verlaufende Form, in denen „singalongs“ an Moebiusschleifen erinnerten – und einmal sagte Eno, er wollte  das  Empfinden erzeugen, diese Lieder würden um ein  „imaginäres Zentrum kreisen“.

Als ich den ersten Song hörte, „Burning Airlines Give You So Much More“, Mitte der Siebziger, wusste ich, dass ich hier einen neuen Lieblingsmusiker (Seelenverwandten) gefunden hatte, der mich zu Roxy-Music-Zeiten noch seltsam ungerührt liess. Ich mochte die surrealen Geschichten von Menschen, die kleine Kameras in ihrem Haar trugen, durch den Dschungel wanderten und in lauter Abenteuer verwickelt schienen. Das war großes Theater. Einmal, lange vor meinen Journalistenjahren, rief ich beim Hauptquartier von Polydor in London an und abeitete mich mit charmanter Hartnäckigkeit zu einer Sekretärin vor, die mir Enos handgeschriebene „lyrics“ fotokopierte und nach Würzburg schickte.

Wie entstanden denn diese Songtexte, die, bei aller Exotik, mit skurrilem Humor, seltsamer Traurigkeit, und, immer wieder auch, einem Quantum Sehnsucht durchsetzt waren? Das fragte ich Brian einst, im Sommer 2005, und erhielt folgende Antwort. Will Nathalie Merchant wirklich dort leben? Sie sollte es sich gut überlegen. Zum Glück gibt es Paralleluniversen, und zum Glück wird hier auch eins lebendig, in dem ein Nachfahre von Lewis Carroll Verse in die Popkultur schleust, und Atheisten Krippenlieder schmieden.

 

Witzigerweise fand ich vor drei oder vier Monaten das Notizbuch, in das ich die Songtexte von “Taking Tiger Mountain (By Strategy)” geschrieben hatte. Und es war sehr interessant , da einen Blick hineinzuwerfen. Da ist eine Seite, auf der ich einen ganzen Song in einem Rutsch geschrieben habe. Als hätte jemand anders mir alles diktiert. Der Text ist voll ausgeschrieben, manchmal ist ein Wort durchgestrichen und durch ein anderes Wort ersetzt. Oder zwei Zeilen veränderten ihre Position. Ich weiß nicht, ob meine Erinnerung mir einen Streich spielt und die Dinge schönt: ich erinnere mich jedenfalls, überhaupt keinen Zweifel und keine Schwierigkeiten gehabt zu haben, die Texte zu schreiben. Es war, als wären sie schon alle in mir vorhanden gewesen. Und ich hatte ein sehr klares Bild von dem Gefühl, daß dieses Album vermitteln sollte. Es war die Tragödie der „chinesischen Erfahrung“, dieses große Zerplatzen der Träume, die der Maoismus einst repräsentiert hatte. Und wie bei allen Zusammenbrüchen revolutionärer Hoffnungen, entwickelt sich ein kollektiver Unterton der Enttäuschung. Im letzten Song des Albums machen sich die Menschen auf den langen Marsch über den Berg, sie kämpfen sich durch Schnee und Eis in eine ungewisse Zukunft. Sehr melancholisch.“

2017 23 Jul

Der erste Streich

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Das war der erste Streich der vier Songalben von Eno in den Siebzigern, und über keine Platte aus diesem Quartett wurde in den Jahren der Manafonisten weniger gesprochen als über dieses erste Liederalbum nach Brians Weggang von Roxy Music. Völlig zu Unrecht, für mich steht es auf einem Level mit den drei Nachfolgern. Die Songs sind so bizarr und surreal wie das Cover, Eno wandelt seinen Gesang,  seine „persona“, von Track zu Track. So war es unmöglich, seiner Stimme ein kommerziell taugliches „branding“ zu verpassen – er entzog sich jeder biederen Vereinnahmung – viele andere Künstler, die „ihre‘ Stimme gefunden hatten, wiederholten diese Rezeptur bis zum Sankt Nimmerleinstag. Und die ständig wiederkehrenden herzerweichenden Melodien? Inmitten all der Songwildnis? Sie  konnten nie Hits werden, weil ihr instrumentaler Untergrund zu subversiv war, ihr Text zu erratisch. Proto-Punk. Psychedelic Exotica. Pure Pop. „Weird, very weird, very strange, disturbing and utterly beautiful.“  Am vierten August erscheint also das Quartett jener Dekade in „half speed-masters“. Obwohl ich diese vier Langspielplatten ohne Ermüdung und seit Jahrzehnten von vorne bis hinten höre und höre, lauschend wohlgemerkt, bin ich ein bisschen neugierig auf den möglichen magischen Mehrwert, obwohl mein Wunsch nach 5:1-surround-Abmischungen unerfüllt bleibt.


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