Manafonistas

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2024 28 Apr

Der schmale Grat

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 4 Comments

 
 

Und beim  ganzen Literaturrezensieren bemerke ich, auf welch schmalem Grat ich mich bewege mit meinem Verlangen nach dem Mobilisieren von Gefühlen, dem Wunsch in einen flow zu geraten, der die Lesezeit mühelos verfliessen lässt – wie schnell schrammt man da aber knapp an der Schmonzette vorbei und gerät ins Fahrwasser der Titanic, und was mit dieser passierte ist ja bekannt. Trotzdem suche ich danach – auch bei Filmen, und werde eher fündig bei lateinamerikanischen oder nahöstlichen Schreibern und Regisseuren, zu letzteren habe ich mich hier ja schon reichlich geäussert, die schaffen es etwas atmosphärisch auszulösen, zu verdichten und wachzuhalten. Nicht nur mindfucking …

Aber die Grenze zum Kitsch ist rasch überschritten, oft merkt man’s noch nicht mal bzw erst dann wenn man beginnt sich nicht mehr so recht wohlzufühlen beim Lesen oder sentimental wird.

 

Stärkerer Wind erhob sich …die Rosse Poseidons liefen daher, Stiere wohl auch, dem Bläulichgelockten gehörig, die mit Brüllen anrennend die Hörner senkten.

Zwischen dem Felsengeröll des jenseitigen Strandes jedoch hüpften die Wellen empor als springende Ziegen. Eine heilig entstellte Welt schloss den Berückten ein … und sein Herz träumte zarte Fabeln.

 

Ich zitiere aus dem Gedächtnis, um nicht das ganze Haus nach Herrn Gustav Aschenbach absuchen zu müssen, der sich immer zu verkrümeln pflegt, wenn ich ihn zitieren will – auf ewig wandelnd als Toter auch noch durch Venedigs umfangende Strassen und sorgsam verbergend sich vor dem Blicke der südlichen Sonne, und doch der Eidechse gleich sich sehnend nach dörrender Hitze gelagert auf glühendem Stein und hinträumend der Tage Fluss und ewigen Wechsel geniessend … (Ha! Ich kann’s auch! Wusste ich noch gar nicht, ist aber gar nicht so schwer! Versuchts mal! Wär’ne nette  Abwechslung hier auf Manafonistas).

Das kann man jetzt pathetisch schimpfen, aber dann wäre auch Homer pathetisch, in dessen Versmaß sich der Dichter hier einschwingt – aber hier versteht einer mit Worten zu malen und Bilder entstehen zu lassen – eine Fähigkeit die man heutzutage immer seltener findet. Oder ich hab bloss zuwenig Geduld zum Suchen.

Einen Roman habe ich mir neulich gegriffen (nicht greifend aus eigenem Triebe doch viel mehr vom Gotte gelenkt), eigentlich wegen des Titels: Das etruskische Lächeln. Und die Abbildung erinnernd an den Kouros von Tenea aus der Münchner Glyptothek – eine Statue aus der archaischen Epoche Griechenlands, an Grabmalen aufgestellt und diese bewachend.

Es gilt als das erste Lächeln in der bildenden Kunst und viele Kunsthistoriker haben sich damit beschäftigt warum in dieser Zeit die Bildwerke zu lächeln begannen. Es gibt auch banausige Zeitgenossen die das Lächeln als grenzdebil bezeichnen aber mir gefällt der Bursche, ein Lächeln das sich nicht um den Tod schert und ihn überdauert und transzendiert. Ich griff nach dem Buch und siehe da … sofort war ich drin. Den gleichnamigen Film – sehr frei nach dem Roman – kann man natürlich vergessen, ich hoffe der Dichter hat den Regisseur erfolgreich verklagt und gewonnen.

 
 

 
 

Ein betagter Süditaliener, ehemaliger Widerstandskämpfer, seines Zeichens Landwirt und um Machotum nicht nur neigend sondern darin voll erblüht sieht sich gezwungen zu seinem Sohn nach Mailand zu ziehen um seine Krebserkrankung dort behandeln zu lassen.

Und seinen neu geborenen Enkel kennenzulernen, in den er sich zusehends verliebt (ob das bei einem Mädchen auch so funktioniert hätte? Die Sucht der Italo-Machos nach dem figlio mio), während bei Sohn und Schwiegertochter so manche Reibungsfläche entsteht. Er lernt – krankheitsbedingt geschwächt und zur genitalen Sexualität nicht mehr fähig – die Macht einer körperlichen und leidenschaftlichen Liebe kennen, sowohl zu einer älteren Frau als auch zu dem Kind, das er jede Nacht stundenlang in den Armen hält.

Wenn man an der Mann-Frau-Spaltung festhalten will, könnte man sagen, er wird in diesen Nächten zur Mutter und er geniesst es als letzte und vielleicht stärkste und erschütterndste Erfahrung eines absoluten Gefühls. Sein letzter Wunsch ist es vom Enkel erkannt zu werden und das Wort „Nonno“ von ihm zu hören. Und die beiden schaffen das, wobei der Dichter noch verschmitzt die Anmerkung plaziert, dass der Einjährige vielleicht einfach nur ein zweifaches italienisches Nein beim Anblick des Opas äussern wollte – dieser Sidekick bricht angenehm ein vielleicht am Ende sich doch einschleichen wollendes Pathos.

Leider sind vom Autor bisher nur zwei Romane auf deutsch erschienen, nächste Woche wird hoffentlich Der Gesang der Sirenen bei mir eintrudeln. Was die wohl zu singen haben?  So künde, Sirene, mir, die einsam wandelt auf nördlichem Pfade vom südlichen Leben und seiner immer währenden Freude …

 

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4 Comments

  1. Jörg R.:

    Schreibt hier eine reinkarnierte Altgriechin?

  2. Ursula Mayr:

    Yepp! Ich war Homers Chefsekretärin..

  3. Alex:

    Danke für die hinreißende Besprechung, Ursula. Auch wenn ich von dem Buch noch nie etwas gehört habe und es auch wahrscheinlich nie lesen werde, so hast Du mich doch neugierig gemacht. Allein schon ein Buch nach dem Titel auszuwählen finde ich sehr wagemutig, das kommt mir so vor, als würde man ein Album nach der Coverart kaufen. Kann klappen, aber die Wahrscheinlichkeit eines Reinfalls ist nicht zu vernachlässigen. Den Zusammenhang zwischen dem Titel, also dem „etruskischen Lächeln“ und der Handlung hast Du jetzt nicht genannt, wäre das ein Spoiler? Der Sidekick ist amüsant, diese Art von Humor mag ich sehr…

  4. Ursula Mayr:

    Das etruskische Lächeln wird mal mittig kurz erwähnt als Vater und Sohn eine Ausstellung besuchen – und am Ende als der Grossvater verstirbt – noch den Enkel im Arm – hat er es im Gesicht als Ausdruck einer letzten grossen Freude.

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