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2023 6 Sep

Das Ritual, eine Schallplatte aufzulegen

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Tags:  | 7 Comments

Auch wenn der Drogenfahnder Ray Nicolette die Eigenschaften, die ihren Status als Benachteiligte ausmachen, klar benennt – sie ist eine Frau, ihre Hautfarbe ist schwarz, sie ist schon 44 Jahre alt und sie verdient als Stewardess einer kleinen mexikanischen Fluggesellschaft nur 16.000 Dollar im Jahr – Jackie Brown lässt sich nicht beirren. Im Jahr 1997 war es noch nicht üblich, dass das Flugpersonal in den USA sein Gepäck beim Sicherheitscheck durchleuchten lassen musste. Noch vor dem 9/11 wird Jackie Brown von Quentin Tarantino diese Praxis geändert haben.

Die Songs spielen hier eine große Rolle. Across 110th Street von Bobby Womack steht für den Wunsch, das Ghetto hinter sich zu lassen. Das bildet den Rahmen eines Films, in dem mehrmals Handfeuerwaffen zum Einsatz kommen, das Töten aber nicht so abstoßend dargestellt wird wie beispielsweise in Pulp Fiction.

Die schönste Szene spielt in Jackie Browns Wohnung, nachdem sie aus der U-Haft entlassen wurde, gegen eine Kaution, für die der Kautionsmakler Max Cherry verantwortlich ist, der sie am Vortag abgeholt und nach Hause gebracht hat. Wir befinden uns im Jahr 1997. Es geht hier nicht um den Austausch über Musik. Es geht darum, einen Bezug zueinander aufzubauen, einander zu vertrauen. Die Worte sind nur das eine. Die Gesten, die Stimmen, die Haltung der Körper sind es, die erzählen. Und die Gesichter. Entscheidungen werden in diesem Film binnen Bruchteilen von Sekunden getroffen, vor allem weichenstellende Entscheidungen. Wird etwas bereut, am Ende des Film? Sehen Sie in die Gesichter. Jackie Brown ist ein Kultfilm.

 
 

 
 
Der Film funktioniert nur im englischen Original. Hier ein Auszug aus einem Dialog:

Ordell: That shit works my nerves, you and that motherfucker being so buddy-buddy.

Jackie: Hey, if I wasn’t so buddy-buddy with that motherfucker, this wouldn’t work.

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7 Comments

  1. Olaf Westfeld:

    Den Film habe ich sehr geliebt, ich erinnere mich noch daran, ihn im Odeon (glaube ich zumindest, dass es dort war) in Berlin gesehen zu haben und wie verzaubert rausgekommen zu sein. Danach lief der noch häufiger auf VHS und der Soundtrack war ein Begleiter zweier Sommer in der WG-Küche. Und die Szene ist immer noch fantastisch! Ich habe Jackie Brown allerdings auch seit 20 Jahren nicht mehr gesehen, werde ich demnächst mal nachholen.

    Schöne Verbindung auch zu dem Slowdive Text von Alex.

  2. Martina Weber:

    Ich habe den Film neulich zum ersten Mal gesehen, und das dann gleich mehrfach. Schon der Anfang, wie Jackie auf dem Laufband unterwegs ist, während der Blick auf den Röntgenbildschirm beim Sicherheitscheck eingeblendet wird, ist super.

    Der Song „Didn’t I blow your mind this time“ stammt aus dem Album „The Delfonics“. Habt ihr dieses Album zwei Sommer lang in der WG gehört?

    Typisch für Tarantino ist auch, dass er Songs ausspielt. Auch Frauenfüße zeigt er gern.

    Und wie Max gegen Ende in der Unschärfe verschwindet. Ich habe ein bisschen Literatur über den Film gelesen. Die Schlussszene in Max‘ Büro wird ja verschieden gedeutet.

  3. Olaf Westfeld:

    Irgendwie ist gerade ein Kommentar im nirgendwo verschwunden – na ja, noch einmal:
    Mein Mitbewohner hatte den Soundtrack auf CD, der lief oft, so ähnlich wie ein paar Jahre vorher der von Pulp Fiction.

    Es gibt ja viele typische Tarantino Sachen, er zeigt überhaupt gerne alltägliche Sachen – Kaffee kochen und trinken, Toast zubereiten, essen, aufs Klo gehen. Gleichzeitig ist alles sehr artifiziell/künstlich, es wird viel zitiert … der Gegensatz hat mir früher viel Spaß gemacht.
    An das Ende von Jackie Brown habe ich kaum Erinnerungen, ich schaue den Film einfach wirklich mal, die dunklen Monate kommen ja.

  4. Alex:

    Über die Verbindung zu meinem Slowdive-Text muss ich nochmal nachdenken. Ich habe den Film gesehen, aber mehr oder weniger vergessen. Der Ausschnitt hat auf jeden Fall etwas. Ich sollte mir Jackie Brown wohl nochmal anschauen.

    Pulp Fiction fand ich damals over-hyped und hat mich nicht sehr beeindruckt. Das Spiel mit Zitaten fand ich noch nie besonders originell. Wenn man Insider sein muss, um etwas zu „verstehen“, dann bin ich normalerweise out.

  5. Ursula Mayr:

    Die Zitate haben meistens den Effekt dass derjenige, der sie erkannt hat dann stolz ist dass er zur wissenden Community gehört eben weil ers erkannt hat. Nützt sich aber zusehends ab.

  6. Olaf Westfeld:

    Ja – genau. Mit Anfang / Mitte 20 war ich ganz stolz auf den Haufen coolen Wissens, der sich bei mir angesammelt hatte – das hat sich natürlich abgenutzt. Wobei ich diese Doppelcodierung immer noch legitim finde – besonders wenn ein Kunstwerk auch funktioniert, wenn man nicht die Zitathuberei versteht.

    Verbindung zu Slowdive: vor allem in der Überschrift. In beiden Texten geht es am Rande darum, sich in Musik zu versenken.

  7. Martina Weber:

    „Jackie Brown“ hat einen Ausnahmestatus im Werk von Tarantino. Im Genremix ist der Anteil des Liebesfilm schon deutlich, aber natürlich sehr cool gemacht :)

    „Pulp Fiction“ habe ich erst vor ein paar Jahren als DVD gekauft und dann nach der Shooting Szene in der WG, also nach ca. 10 Minuten, abgebrochen. Jetzt, nachdem ich mich von „Jackie Brwon“ habe begeistern lassen, kann ich auch „Pulp Fiction“ wertschätzen und ich bin tatsächlich fasziniert von den Dialogen, vom Aufbau, dem Humor und der Dramaturgie. Das Gemeinsame der Filme liegt u.a. darin, (Klein-)Kriminelle von ihrer unprofessionellen Seite zu zeigen.

    Tarantino dreht seine Filme auf Zelluloid und produziert sie nicht digital und nicht für Streamingdienste. Er nutzt die Stärke des Mediums; das Analoge macht einen großen Teil der Magie aus.


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