Lars von Trier beschäftigt sich gern mit Frauen und ihrem Innenleben, beobachtet Frauen, dreht über Frauen, bildhaft und szenengewaltig. Aber er berichtet nur scheinbar über Frauen, in Wirklichkeit berichtet er über Männer und ihre Art, die Frauen zu sehen, zu fürchten und zu dämonisieren, vor allem das Letztere.
The Male Gaze, eine bekannte Sichtweise, aber diesmal nicht in Form einer voyeuristischen Ausbeutung, Idealisierung und Objektualisierung der Frau und ihrer Reize im Film und das Bedienen von Männeraugen durch Schönheit, sondern die Verzerrung der archetypischen Frauen-Imagines durch den geängstigten Mann. Da kennt er sich verdammt gut aus. Wobei er sich durchaus selbst auch in diese Gruppe subsumiert, das spürt man und das macht den an sich relativ dysphorischen Kerl doch um einiges sympathischer. Zumindest kann er mehr als antisemitisch oder sonstwie dumm daherschwatzen. Insbesondere seine späteren Filme (ich beziehe mich hier insbesondere auf Antichrist, Melancholia und Nymphomania, aber auch Dogville und Breaking the Waves fliessen mit ein), letztere arbeiten ebenfalls mit archetypisch-mythischen Bildern der verschlingenden, kastrierenden, kindermordenden Frau und ihrer durch nichts endgültig zu befriedigenden Lust, die auch mal über Leichen geht, wenn nicht gleich über einen ganzen Friedhof. Die phrygische Göttin Kybele verlangte die Kastration von ihrer männlichen Fanbase.
Justine in Melancholia, die sich masochistisch mit einem auf die Erde zurasenden Planeten zu paaren bereit ist und bei der Hochzeitsfeier im Brautkleid einen anderen Mann benutzt, um ihrer Depression zu entkommen, ist so eine Gestalt. Antares, der Planet, ist inzwischen auf der Zielgeraden – der Zuschauer erfährt einen Impact als Justine mithilfe ihrer Drahtschlinge nachmisst, dass das Dingens schon sehr viel näher gekommen ist – hier eine gelungene Ikonographie. Das fährt einem in die Knochen. Antares ist ein Antagonist zu Ares, dem männlichen Kriegsgott, somit könnte man ihn durchaus als weibliches Gegenprinzip verstehen, aber ein Stück überwältigende Weiblichkeit, die sich ebenso zerstörerisch verhält wie der Kriegsgott und damit den Frauengestalten LvTs durchaus das Wasser reichen kann – in diesem Fall eher das Feuer.
„SIE“ – die namenlose Frau in Antichrist – lässt ihr Kind fahrlässig zu Tode kommen, um bei ihrem Orgasmus nicht gestört zu werden, verstümmelt ihm vorher die Füsse; laut Freud auch ein Kastrationssymbol, verfällt dann dem Wahnsinn und zerquetscht ihrem Mann die Hoden, der vorher vergeblich versuchte sie mit den Mitteln von Logik und Wissenschaft – er ist Psychologe – zu heilen; fast tötet sie ihn.
Der zweite Impact ist die Schlusseinstellung: „ER“, auch namenlos und damit entindividualisiert und somit als der „Mann als solcher“ gezeichnet, taumelt schwerverletzt durch den Wald, ihm – und damit dem Zuschauer – kommt eine schwallartig zunehmende Horde gesichtsloser Frauen entgegen – überflutend und beängstigend, ausgestossen aus dem Schoss der grossen Mutter Erde, einer Büchse der Pandora, sich unendlich schnell vermehrend und damit erinnernd an Homo Faber, den die Fruchtbarkeit des Urwaldes anekelte, die ständige Feuchtigkeit, Gärung und Vermehrung – „wo man hinspuckt keimt es!“ Die beängstigende Gebärpotenz der Frau. Damit entlässt uns der Regisseur wieder in unsere eigene Psychose, manchen Mann in die Frauenangst und den Frauenhass, manche Frau in die Betroffenheit darüber, wieviel Angst sie auszulösen imstande ist und wie das in ihre Beziehungen hineinwirkt. Und wieviel sie selber überhaupt dafür kann.
Wie Frauen wirklich sind, erfährt man bei LvT nicht und er ist klug genug das einzugestehen, wenn man ihn danach fragt.
In Nymphomania wird das Thema der unersättlichen Frau bis zum Überdruss des Zuschauers ausgereizt – die Frau als schwarzes Loch, das keinen Boden und keine Begrenzung mehr finden kann. In Dogville – ein Machwerk aus dem Rape-and-Revenge-Genre – ereilt Grace ihre verdiente Kollektivschuld, Strafe gleich im Vorfeld; sie wird als Sklavin gehalten, bis sie ihre Ketten sprengt und tabula rasa macht und in Manderlay dann nochmal einen Zahn zulegt. Die eher auf eine Theaterbühne passende Kulisse hebt den Film auf eine Ebene des Artifiziellen und Überindividuellen, erneut eher eine Parabel als ein Narrativ.
Die Frauen bleiben rätselhaft und ihre Sexualität hart an Abgründen manövrierend oder in diese hineinstürzend.
Schon Freud musste passen, wenn es um die Frage ging, was das Weib eigentlich wirklich will. Auf die naheliegende Idee, einfach mal seine Frau oder Tochter zu fragen, kam er nicht. Dabei sah man bei Anna sehr gut was sie NICHT wollte, nämlich noch einen Übervater an ihrer Seite, mit dem sie dann auch noch das Bett teilen und sechs Kinder grossziehen müsste. Das Besetztsein durch ihre Eltern und ihre Unterwerfungstendenz war bei ihr gravierend genug, die Herzensthrone waren gewissermassen schon besetzt; eine gesunde erwachsene Abgrenzung und Lösung ist in ihren Briefen nirgends zu spüren. So liebte sie nur Personen, die auch ihr Vater lieben konnte – Frauen.
Das hätte dem Alten zu denken geben können. Oder lieber eben doch nicht, man muss ja nun nicht alles wissen, was schmerzlich am eigenen Narzissmus kratzt. Da stochert man lieber weiter in Frauenseelen …
Somit ist jeder Film von LvT ein raffiniertes Vexierspiel mit doppelter Brechung und multiplen Verzerrungen von einem Betrachter der Betrachtenden der Betrachteten. Aber auch die Gutartigkeit und das Opferwerden der Frauen finden ihren Platz in manchen Filmen wie Breaking the Waves oder Dancer in the dark – hier sind wiederum die Männer toxisch und ihre Lynchjustiz sehr nahe. Man bleibt sich nichts schuldig, letztlich. Die Frauen verschwinden hinter ihren Bildern wie Nachbar Gott in dem bekannten Gedicht von Rilke, das von schmerzlicher Getrenntheit handelt, der letztlich nicht ganz zu eliminierenden Getrenntheit zwischen den Geschlechtern. Zu viele Bilder, als dass man sich noch sehen könnte.