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2023 20 Aug

Das dialogische Prinzip

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | 1 Comment

 
 

Vor Jahren, als ich mich nach der brutal guten Fernsehserie Sons of Anarchy fragte, warum wohl trotz des für Heinz und Heide Jedermann nicht gerade alltäglichen Ambientes im kalifornischen Rocker- und Drogenbandenmilieu alles so gefühlsecht rüberkam, recherchierte ich über den Macher und Regisseur Karl Sutter. Der war von dem Theater-Pionier Sanford („Sandy“) Meisner stark beeinflusst, der die Schauspieler einst dazu angeleitet hatte, unmittelbar und natürlich auf das Gegenüber zu reagieren und alles Gekünstelte in der Darstellung zu vermeiden. Diese Direktheit zeigte sich eben auch in einer Serie wie Sons of Anarchy, in der nicht nur die Charaktere ein tiefes, beim Betrachter Empathie erzeugendes Profil zeigten („more real than life“), sondern auch die Dialoge nah waren wie ein Boxkampf im Ring. Als mir später dann ein Video der Ärztin, Therapeutin und Buchautorin Mirriam Priess empfohlen wurde, dämmerte es bald: connective link muss das Stichwort „Dialog“ gewesen sein. Wie sehr doch Algorithmen mittlerweile unser Leben lenken! Nachdem ich nun ein Buch von ihr gelesen hatte, reflektierte ich ein wenig über das „dialogische Prinzip“, das sich ja nicht nur im alltäglichen Miteinander zeigt, sondern auch in inneren Dialogen. Humorvoll könnte man dann Szenen herausarbeiten, in denen beispielsweise ein internalisiertes und rigides Über-Ich die Restbestände kindlicher Unbescholtenheit regelrecht „fertig macht“. Eine persönlich beeindruckende Erfahrung in den Achzigern war ein Workshop des vom brasilianischen Theater-Theoretiker Augusto Boal konzipierten Theater der Unterdrückten. Man konnte eine vertraute Alltagsszene spielen, in dem dann Muster gegenwärtig wurden: eine Putzfrau etwa oder ein Handwerker bei der Arbeit. Dann tritt der cholerische Chef hinzu und fordert, man müsse aber schneller sein. Man achte auf die Körperhaltung! Heute hätte unsereins ja ein beherztes „Fuck you!“ parat, doch damals waren viele von uns Kinder einer Schwarzen Pädagogik. Wer mit sich selbst hingegen in den Dialog tritt, wie es die Therapeutin Mirriam Priess proklamiert, der wird vielleicht zunächst die Erfahrung tiefer Langeweile machen, in der erst einmal gar nichts passiert, bevor dann wesensgemässe innere Anmutungen frei werden. Auch hier geht’s zu wie beim Intervall-Fasten: ohne Abstandnahme bliebe der ganze Müll liegen.

 

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1 Comment

  1. Martina Weber:

    Das Anschauen von „Sons of Anarchy“ möchte ich demnächst mal wieder aufnehmen. Ich hatte vor Jahren die erste Staffel gekauft, fand die ersten Folgen dann auf der Seite der Männer doch sehr gewaltgeladen und auf der Seite der Frauen sehr bitch-ig, was natürlich alles stimmig ist, für mich zu dem Zeitpunkt aber nicht genug Sogkraft entfaltet hat. Die DVDs liegen aber in Griffweite:)

    Die Szenerie bei deinem Workshop kann ich mir gut vorstellen.

    Über einen Algorithmus bin ich neulich auch auf ein Buch aufmerksam gemacht worden, das im weiteren Sinn mit Kommunikation zusammenhängt. Habe es hier auf einer Reise dabei und werde davon erzählen, wenn es mich begeistert.

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