Manafonistas

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2023 7 Mai

Auswanderermusik

von: Lajla Nizinski Filed under: Blog | TB | 2 Comments

 

Das Teatro Leal ist ein prãchtiges Konzerthaus in La Laguna auf Teneriffa. Das Interieur hat vorzeigbare Wand- und Deckengemälde aus den Anfãngen des 20. Jahrhunderts. Die Logen sind golden umrahmt und öffnen sich zur Bühne hin. Hier konnte ich jetzt zwei Konzerte besuchen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Die Venezuelanerin Josefina Alemán eröffnete den Konzertreigen. Mir war klar, dass das Haus ausverkauft sein würde. Es würde den Ausgewanderten und Zurückgekehrten zwei Stunden Heimat bieten. In den 50/60er Jahren des letzten Jahrhunderts hatten sehr viele Kanaren ihre Inseln verlassen. Asseln hatten ihre Felder leergefressen, die Hungersnot war groß. Es hieß: Das einzige Produkt, das noch erzeugt wurde, war der Selbstmord. 1951 erhob der Gouverneur Civil von Teneriffa ein Dekret, das das Erlangen der Auswandererdokumente erleichterte, schãtzungsweise emigrierten in diesen harten Jahren mehr als 300000 Insulaner nach Venezuela, Kuba, Argentinien oder Kolumbien. Es gibt immer noch alte Frauen auf El Hierro, die mir erzählen, dass ihre Männer ausgewandert seien und sie nie wieder etwas von ihnen gehört haben. Oder manche sind nach vielen Jahren zurück in die Heimat gekehrt und wurden selbstverständlich von ihren Ehefrauen aufgenommen. Diese dulden den monatlichen Scheck, der nach Übersee zu den dort neu gegründeten Familien geht, mit bravouröser Toleranz. Die jüngeren Latinos, die wegen der korrupten Regierung in Venezuela hierherkommen sind, würden sich nicht mehr so geduldig verhalten. Für mich sind sie eine Bereicherung. Sie sind Fußball verliebt, tanzen und singen gut. An ihren Empeñadas kann ich mich nicht sonderlich erfreuen, aber an der Herzlichkeit, wie sie sie anbieten. Josefina Alemán gehört zu dieser Generation. Sie kommt in ganz großer Garderobe auf die Bühne, natürlich auf goldenen Highheels. Sie hat eine beeindruckende Stimme, gewaltig wie die Wasserfälle in ihrer Heimat. Sie singt, tanzt, lacht, stellt uns ihre Überraschungsgäste vor, es sind die besten Sänger von den kanarischen Inseln. Sie hat alle eingeladen, auch ihren Bruder, ihre Mutter und ihre beste Freundin, auch aus Venezuela, auch Sängerin. Die beiden Frauen sind sehr zärtlich zueinander, sie singen gemeinsam ihre Themen: über zerrissene Liebe, Sehnsucht und Heimweh. Und natürlich singt das Publikum längst alle Lieder mit. Mir gehen solche Kollektivgefühle jedesmal unter die Haut. Ein bisschen südamerikanische Verve, Samba, Rumba, Joropo oder Salsarhythmen täten der kargen 8 Hüpftonleiter der el pito herreńo gut. Ich gehe sehr beschwingt mit meiner kolumbianischen Kunstsammlerin hinaus in die Nacht, entlang an der ausgetrockneten Lagune.

Am nächsten Abend begegnete ich einem anderen Auswanderer. Ich hatte ihn schon auf El Hierro im Zusammenspiel mit Torsten de Winkel gehört. Unvergesslicher Auftritt. Er ist Tinterfeńo, der viel in der Welt herum emigrierte, um immer wieder auf seine Geburtsinsel Teneriffa zurückzukehren. Kike Perdomo stellte sein neues Programm “Friendship” im Leal vor. Kike ist ein weltbekannter Saxophonist, Flötist, Komponist, Filmmusiker, vereint Jazz mit Flamenco, ein umtriebiges Wesen, das mit seiner Musik und seinem Spirit viel bewegt.

Das Teatro Leal war an diesem Abend nicht ausverkauft, es hatte harte Konkurrenz, ein Latinomusikfestival spielte nebenan Open Air. Kike eröffnete das Konzert mit einem fetzigen Saxophonsolo, das einem die Ohren öffnete, weil das Trommelfell rotierte. Ein junger Gitarrist an seiner Seite gewann immer mehr meine Aufmerksamkeit. Erstaunlich, mit welcher Fingerfertigkeit er die Saiten bediente, dazu das Mitgehen seiner Gesichtsmimik. Wow, Jimi Hendrix alive. Kike erzählte, dass er Nico schon seit seinem 5. Lebensjahr kennt und ihn schlichtweg für den besten Gitarristen auf den Kanaren hält. Durch das fröhliche Orchestrieren verbreitete Kike eine heitere Stimmung auf der Bühne, die leider nicht ganz das Publikum erreichte. Nach 80 Minuten exzellenter Musik, auch der Klavierspieler, der andere Gitarrist und der Drummer, alles tolle Musiker, gab es keine Zugabe, aber sehr anhaltenden Applaus.

 
 


 
 

Dieses Mal gingen wir beglückt hinaus in die Nacht. Ich fragte meine Freundin, seit wann die Lagune ausgetrocknet sei. Wie schnell mein Kopf schon wieder frei war.

 

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Spannende Geschichtsstunde mit Musik. Kenne ich auch von Lanzarote, solche Auswanderungsstories, umd Orte, die daran erinnern… venezuelanische Tage hier…😉

  2. Jan Reetze:

    Sehr interessant, solche Auswanderer-Storys. Ich kenne sie hier umgekehrt: In Pittsburgh treibt ein „Männergesangsverein Teutonia“ sein Unwesen. Der bewegt sich in etwa auf amerikanischem Oktoberfestniveau und begeistert mich nicht ganz so sehr wie es sicherlich Deine Beispiele täten. Ist auch eigentlich eher eine Institution zur Anbahnung von Geschäftskontakten.


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