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2023 23 Apr

Schaffnerdeutsche Gründlichkeit

von: ijb Filed under: Blog | TB | Comments off

„Karl stand von seinem Platz auf und ging zur Zugtür. Während die anderen Mitfahrenden beim Halt des Zugs ausstiegen, rüttelte er hilf- und ratlos an der Zugtür, schaffte es nicht, sie zu öffnen. Erst als alle anderen Passagiere auf der anderen Seite des Zuges ausgestiegen waren und die Zugbegleiterin bereits zum letzten Mal zum Einsteigen aufforderte, verstand er: Bei der Durchsage war vergessen worden, darauf hinzuweisen, dass der Ausstieg nicht rechts gegen die Fahrtrichtung war, sondern in Fahrtrichtung! Eilig packte er sein Gepäck zusammen und hastete auf die andere Seite des Zuges, und gerade so gelang es ihm, noch rechtzeitig den Bahnsteig zu erreichen, bevor der Zug die Türen hinter ihm schloss und weiterfuhr. Natürlich schrieb er eine Beschwerde an die Deutsche Bahn, die ihn so lange im Unklaren gelassen und versäumt hatte, die Passagiere darauf hinzuweisen, dass der Ausstieg natürlich rechts »in Fahrtrichtung« war!“

Fun Fact: Lange Zeit standen immer rund 40% der Zugpassagiere auf der falschen Seite zum Ausstieg und rüttelten erfolglos an der Tür. Erst als die übrigen Fahrgäste auf der anderen Seite ausgestiegen waren, verstanden sie verärgert, dass mit „Ausstieg rechts“ nicht „gegen die Fahrtrichtung“ gemeint war; sie mussten ihr Gepäck zusammensuchen und konnten es gerade so noch rechtzeitig auf den Bahnsteig schaffen, bevor sich die Türen wieder schlossen. Die vielen Beschwerdebriefe veranlassten die Deutsche Bahn dazu, dass seither „in Fahrtrichtung“ dazugesagt werden muss. Deutschland nimmt hier eine Vorreiterrolle ein; in den meisten Ländern der Welt besteht dieses Problem bis heute.

Um den Aufwand bei jeder Durchsage wieder reinzuholen, wurde den Zugbegleiter/innen stattdessen die Verwendung von Verben bei den Durchsagen untersagt. Deshalb ist jede/r Durchsagende jetzt strikt dazu angehalten „Sehr geehrte Damen und Herren, unser nächster Halt dann in wenigen Minuten [Frankfurt Hauptbahnhof]. Die Ankunft dann voraussichtlich 13 Uhr 44.“ / „Werte Fahrgäste, der Ausstieg hier in Fahrtrichtung rechts.“ / „Die Abfahrt 12 Uhr 37 von Gleis 7.“ zu sagen. Durch die somit eingesparte Zeit kann sichergestellt werden, dass die Durchsage noch rechtzeitig bis zum Stillstand der Züge abgeschlossen wird.

Witzig wär’s ja schon mal, wenn mal einer die Durchsage „Ausstieg heute ausnahmsweise mal nicht in Fahrtrichtung rechts, sondern gegen die Fahrtrichtung rechts“ machen würde (oder für die nicht deutsch sprechenden Touristen im Zug: „Exit not on the right in direction of travel, but on the right counter to the direction of travel“). Interessant, dass beim Auto- oder Fahrradfahren auch niemand dazu sagt „in Fahrtrichtung rechts abbiegen/einsteigen“. Könnte man ja mal machen, so im Navigationssystem z.B.: „An der nächsten Kreuzung gegen die Fahrtrichtung rechts abbiegen.“ – Oder beim Gehen: „Gehen Sie bis zur nächsten Kreuzung, und dann in Laufrichtung links.“ Oder beim Menschsein allgemein: „Gib mir deine rechte Hand in Blickrichtung.“ Beim Arzt: „Guten Tag, ich habe Schmerzen im rechten Fuß.“ – „Meinen Sie den rechten Fuß in Laufrichtung oder gegen die Laufrichtung?“

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