Manafonistas

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2023 23 Mrz

Eine un-denkbare Beziehung

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 5 Comments

 
 
Der Nachtportier (I, 1974) von Liliana Cavani
 

Cavani ist eine Frau, die sich nicht scheut, in Abgründe zu blicken und andere hineinblicken zu lassen; in ihrem Film „Der Nachtportier“ tut sie es weidlich, also wieder ein Film für das Team Brühwurst. Er lief nur kurz in den Kinos, wurde in Italien verboten, von der Kritik zerrissen und mit Begriffen wie „verabscheuungswürdig, schmierig und anstössig“ bedacht. Aufgrund des Verbots organisierte die italienische Filmindustrie mit Visconti an der Spitze einen eintägigen Streik – wie immer dieser auch ausgesehen haben mag – von der deutschen Staatsanwalt wurde er schliesslich als Kunstwerk anerkannt, rehabilitiert und in ungeschnittener Fassung gezeigt.

Später wurde er in die Sadiconazista-Abteilung subsumiert (oder Naziploitation), ein Filmgenre, das eigentlich erst in der Nachfolge italienischer Machwerke namhafter Regisseure wie Visconti ( Die Verdammten ), Bertolucci (Der grosse Irrtum) und Pasolini (Die 120 Tage von Sodom) zu florieren begann, die sich bemühten, die Thementrias Politik, Sex und Sadismus abzuhandeln – heute besehen würden sie einen zwar künstlerisch durchaus, hinsichtlich Sex und dargestellter Grausamkeit, aber keineswegs mehr vom Hocker reissen. Die 120 Tage von Sodom werden bis heute nur an nachweislich volljährige Besteller geliefert, da wollte der Briefträger den Personalausweis bzw die Ausweisnummer von mir.

Der Begriff Sadiconazista entstammt einem Zweig der italienischen Pulp – Literatur der Sechzigerjahre, die zunehmend auch in Filmproduktionen Eingang fand und diese Trias im Gewand von Softpornos mit SM-Einschlag massenhaft auf die Leinwand klatschte und in entsprechenden Kinos präsentierte. In München liefen sie im AKI – Kino im Hauptbahnhof, um dessen Schaukästen frau einen geflissentlich grossen Bogen machen musste, andernfalls wurde man sofort von einem freundlichen Herrn eingeladen zusammen die Vorstellung zu besuchen und danach das Gesehene an einem ruhigen Ort noch einmal wissenschaftlich zu vertiefen.

Das übergeordnete Genre dazu trägt die Bezeichnung Exploitationsfilm, die Ausbeutung einer Szenerie zur Darstellung sexuell getönter Grausamkeiten (dann auch Sexploitation genannt) an Örtlichkeiten wie Frauengefängnissen, Konzentrationslager, Kannibalismus, Sklaverei, Inquisition, Klöster (Nuns-ploitation) und anderer Topoi und Subkulturen. Allen Schauplätzen gemeinsam war also ein hierarchisches Gefälle mit der Möglichkeit zur unbegrenzten und unbestraften Machtausübung über die Opfer, eine im Grunde belanglose Alibihandlung locker drumherum gestrickt.

 
 

 
 

Der Nachtportier wurde zu Unrecht in diese Kategorie eingeordnet; der Unterschied besteht darin, dass der Sexploitation- oder Hardcorefilm nicht über eine besondere Figurenzeichnung verfügt, sondern die Protagonisten ihrer Persönlichkeit entkleidet und sie als blosse Projektionsflächen für die voyeuristischen Bedürfnisse des spezifischen Publikums funktionalisiert. Also im Grunde leicht zu unterscheiden. 1974 sah ich den Nachtportier gemeinsam mit einem Freund – der Geschlechtsproporz ist in diesem Fall wichtig – und fand ihn grandios; mein Freund war empört.

Ohne allzuviel vom plot zu verraten, sei erwähnt, dass eine verheiratete Frau – Lucia – in einem Hotel in Wien in der Nachkriegszeit ihren ehemaligen Peiniger – Max, den Nachtportier – aus ihrer Zeit im KZ wiedertrifft mit dem sie eine heftige sadomasochistische Liebesbeziehung verband. Sie verlässt ihren Mann und die beiden nehmen ihre leidenschaftliche und wechselseitig gewalttätige Beziehung wieder auf.

Damit setzt Cavani eine problematische Konstellation in einen noch problematischeren Rahmenkontext und bricht gleich mit 2 Tabus: Gewalt darf für das Opfer niemals lustvoll sein und ein Holocaustopfer verliebt sich nicht in einen KZ-Schergen, das verletzt unseren moralischen Kompass, ist eigentlich kaum nachfühlbar und schon gar nicht aushaltbar, es könnte unsere Loyalität mit dem Opfer schwächen oder zerstören wenn wir nicht fähig sind, diese Ambivalenzspannung zu halten.

Nun war Sexualität in KZs ubiquitär und dies nicht nur in Form von Vergewaltigungen, wir wissen auch, dass sich Frauen in KZs ihren Peinigern angeboten haben, um ihr Leben und das ihrer Angehörigen zu retten; es ist schwer vorstellbar, dass sie dabei Lust empfunden haben.

Ich hatte eine Patientin, die auf einem Waldspaziergang von zwei Männern vergewaltigt wurde und es als positives und erregendes Erlebnis empfand. Auch darüber spricht man nicht – aus Angst vor dem Beifall von der falschen Seite – nämlich denjenigen, die sich gerne vorstellen dass Frauen bei dergleichen eben DOCH Lust empfinden und es vielleicht durch verführerisches Verhalten selbst provozieren – dies wird von manchen Tätern sogar kleinen Mädchen unterstellt. Ganz dünnes Eis also – Täter und Opfer sind getrennt zu halten, selbst wenn wir wissen, dass viele Opfer später zu Tätern werden, auf vielfältige und oft auch sehr subtile Weisen.

Nach knapp einem halben Jahrhundert sah ich den Film letzten Sonntag ein zweitesmal mit meiner Filmgruppe: Sieben erfahrene Psychotherapeut/innen, zwei davon männlich, zwei Ausbildungskandidatinnen, ein weiterer Herr, fachfremd. Die männlichen Gruppenteilnehmer zeigten starke Manifestationen von Abwehr – konnten mit dem Film „nichts anfangen“, er mache keinen Sinn, „eine Persiflage“ bzw beschäftigten sie sich mit den politischen Hintergründen, etwa dem noch lange nicht überwundenen Nazitum in den Siebzigern, es wurde also reichlich rationalisiert.

Die Frauen waren stark emotional berührt bis hin zu somatischen Reaktionen (Übelkeit bei 3 Teilnehmerinnen bei einer Szene der Vergewaltigung eines KZ-Bewohners).

Die gesamte Gruppe – mit Ausnahme der beiden Leiterinnen – hatte grosse Schwierigkeiten sich in diesem Kontext eine einvernehmliche und lustvoll – erotische Beziehung vorzustellen, es war die Rede vom Stockholm-Syndrom, einer Frau die im Banne ihrer Traumatisierung sich Trauma wiederholend und in einer Art hypnotischem Zustand auf eine SM-Situation einlässt, sie phantasierten eine Beziehung, die nach dem Gewaltakt entleert und unbezogen wird, also nur in Form eines One-Night-Stands verwirklicht wird und nicht in einer stabilen Paarbeziehung möglich ist. Manche hatten schon Schwierigkeiten, sich dergleichen Praktiken als integrativen Bestandteil einer festen Beziehung vorzustellen. Es war von „unreifer Lust“ die Rede – Freud hatte ja noch das Phantasma der „reifen Sexualität“ in die Fachwelt getragen, da gehörte schon der klitorale Orgasmus nicht mehr dazu oder andere Techniken, die nicht in der Penis-in-Vagina-Variante gipfeln.

Nun geben sich die beiden Schauspieler jede Mühe, die Erotik ihrer Beziehung ins Publikum überspringen zu lassen, stossen aber bei den Rezipienten auf Schwierigkeiten, die eine eindeutige Einordnung in die bekannten Schemata als beruhigender empfinden.

Lucia, die im KZ, bekleidet mit den Insignien der Macht, einer SS-Mütze und Uniformhose ein Lied von Marlene Dietrich singt, wirkt in dieser morbid – lasziven Einlage nicht wie eine von Todesangst besessene Frau, nur ihre entblössten Brüste signalisieren ihre Verletzlichkeit. Sie reagiert auch mit schlecht verhehlter Genugtuung, als ihr Max den Kopf eines ihrer Quäler unter den Wärtern in einem Karton überreicht, damit ein Motiv aus der Bibel zitiert; Lucias Gesangseinlage wird somit zum Tanz der Salome vor Herodes. Diese Szene wurde von der ganzen Gruppe in toto verdrängt, wir erinnerten uns erst später wieder daran.

Der Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger warf den Sadiconanazismus-Regisseuren vor, den Stoff ihrer berühmten Vorbilder auf Szenerien herunterzubrechen, die ständig den patriarchalen Todestrieb zelebrieren. Vielleicht kam es aus diesem Grund zu den Abwehrreaktionen der männlichen Betrachter, die nicht ständig den Sadismus als nur in ihrem Geschlecht verortet sehen wollten. Das alles muss verdaut werden bzw eben nicht, wie die gastrointestinalen Manifestationen der Frauen zeigten.

Das Abgründige im Menschen überfordert manchmal auch das Containment derer, die täglich beruflich bedingt in Abgründe schauen müssen; dennoch ist es existent. Lust bei Gewaltopfern gehört dazu, die schlimmsten Gewissenskonflikte entstehen bei manchen Missbrauchs – oder Inzestopfern, wenn sie sich eingestehen müssen beim Vollzug auch Lust empfunden zu haben.

Das bringt sie in die Nähe und Identität der Täter und deren Gewalttätigkeit und Schuld. Auch Psychotherapeuten habens gern eindeutig.

Liliana Cavani zeigt Un-Denkbares und Schwer-Erträgliches. Das ist ihr Verdienst und von ungebrochener Aktualität. Die Welt und ihr Lauf – in der auch Kinder andere Kinder töten – wird uns das Hinsehen noch lehren.

This entry was posted on Donnerstag, 23. März 2023 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

5 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Wunderbare Analyse eines vielschichtigen Phänomens. Keinerlei Einspruch von meiner Seite😉 – man könnte anhand der Reaktionen im Seminar auch gleich ein weiteres Colloquium anschliessen, über die Reduktiom kognitiver Dissonanzen!

  2. Anonymous:

    Es verwundert mich dass in der heutigen “ aufgeklärten“ Zeit solche Unterwerfungsrituale in Beziehungen nicht als etwas ganz Selbstverständliches angesehen werden seinen sie nun überdauernd oder als gelegentliche Inszenierungen. Das Ganze in die KZ – Szenerie einzubetten ist natürlich schon sehr provokativ. Ich werde ihn mir bestellen.

  3. Michael Engelbrecht:

    Genau, Anonymous. Ich wittere hinter deinem Namen eine versierte Analytikerin😉

  4. Anonymous:

    Gut geraten! Gleicher Beruf, gleiche Generation wie Uschi!

  5. Michael Engelbrecht:

    Das liegt an meine Profiler Qualitäten, obwohl ich ja aus der Schule der Hypnotherapie / Kognitiven VT komme😉

    Im Text soviele PLOITATION Sub-Genres. Ich sah früher ganz gerne BLAXPLOITATION Kinofilme wie SHAFT, mit den grassartigen Songs von Curtis Mayfield!!!


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