Manafonistas

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2022 10 Dez

„We are all Go-Betweens“ – eine Liebeserklärung

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 3 Comments

Yes, the Band. From Brisbane, Australia. Once upon a time. You remember? „Cattle and Cane“. Grant dying so young, Robert finishing Grant’s last three songs for „The Evangelist“. Heartbreaking. They had never been interested in noise or feedback drones. They were looking for pure songs and melodies. With a twist. With undercurrents. Melancolia, sunbathed. Or rain. They wrote the best song about rain since Creedence Clearwater Revival. „Spring Rain“. Passion and understatement. Great lyrics all over the place. And, oh, that striped sunlight sound!

 

1 – Es sind intuitive, oft auch gut begründbare Entscheidungen, die einem keine Wahl lassen, wenn man die Wahl hat. In der SZ entbrannte vor vielen Jahren eine streitlustige Diskussion, vielleicht sogar in der Form eines Briefwechsels – es ging, u.a. um das prinzipielle Qualitätsgefälle von Klassischer Musik und Popmusik. Meine schlichte Antwort dazu: es gibt keins. Eine Qualität des „Un-Fass-Baren“ kann sich hier wie dort ereignen, sie ist nicht genreabhängig. Das sehen natürlich manche Zeitgenossen anders, besonders solche, die zuviel Weihrauch geschnüffelt haben,  und ihre Bretter vor dem Kopf für heilige Tafeln halten.

Der launige Diskurs fand zwischen Karl Bruckmaier und Helmut Krausser statt, der in jener Zeit einen historischen Roman über das Leben, Wirken und Leiden des Komponisten Gesualdo verfasst hatte, aus dem HBO leicht eine dreistaffelige Serie schöpfen könnte. So eine Art Phil Spector seiner Zeit, ein Wahnsinniger, ein Killer. Eine damalige Bekannte schenkte mir diesen Roman, den ich nach fünfzig Seiten in die Tonne warf, weil ich ihn unendlich hölzern und bieder geschrieben fand. In dem angesprochenen „Briefwechsel“ gab Krausser sich als gönnerhafter Teilzeitliebhaber des Pop zu erkennen, vermerkte aber, in Bezug auf Bruckmaiers Wertschätzung der Go-Betweens, dass ja Gesualdo wohl ein anderes, grossartigeres, erhebenderes Kaliber sei. Uuuaaahhhh – eine Leuchtturm-Existenz!

Beim Entschlüsseln der Struktur von „Magie“ zählen nun, wenn man nicht gerade der Riege der Weihrauchschnüffler angehört, die Parameter des Bahnbrechenden und Innovativen allein ganz und gar nicht (den Satz erst mal setzen lassen)! Lieder wie „Spring Rain“ oder „Cattle and Cane“ (von den Go-Betweens), ach, ganze Platten dieser Band aus Brisbane, können, auf einer feinstofflichen – und keinesfalls esoterischen – Ebene der ihnen innewohnenden Eigenheiten soviel „Mikromagie“ (all das, was durch die Raster akademischer Analyse fällt) verströmen wie irgendein alter ehrwürdiger Liederstoff aus fernen Jahrhunderten. 

 

 

2 – Ich fliege derzeit durch Robert Forsters Buch „Grant & Ich – The Go-Betweens und die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft“ (Heyne Encore). Und was stellt sich bei dieser bewegenden Lektüre heraus: Robert Forster ist diesem gesualdoanischen Anhänger einer Wertehierarchie aus der Mottenkiste, allein schon  an schriftstellerischem „élan vital“, um einiges  überlegen, und da muss man nicht einmal die Ebene der „Mikromagie“ bemühen. Genie, oder kein Genie, das ist nicht die Frage. Das, was Seelennahrung ausmacht, entscheidet zum Glück jeder für sich, es sei denn, lieber Leser, Sie lassen sich etwas vom Pferd erzählen.

 

3 – Ich will und kann dieses Buch gar nicht distanziert beurteilen, ich war zufällig zur ungefähr gleichen Zeit in London, Paris und Regensburg, als die Go-Betweens bzw. einzelne „Botengänger“ dort weilten. Synchronizitäten. In London hätten sie mir im Dezembe 1982 über den Weg laufen können, im Rough Trade Shop war ich oft, eine Single von Aztec Camera hing an der Wand. Ich habe oft die gleichen Platten wie die Drei gehört (beim Lesen permanentes Verblüfftsein), war von „Send Me A Lullaby“ an dabei, habe keine Band öfter in meinem Leben live erlebt, und einmal in Köln (ich könnte das genaue Datum auf der Erinnerungsseite der Band nachschlagen) habe ich mit der vor Vitalität sprühenden Drummerin im Luxor getanzt, ohne mich zu trauen, sie zu einem Drink einzuladen. Eine Viertelstunde lang war ich zu verliebt, um einen klaren Gedanken oder einen Plan zu entwickeln.

 


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Some might find moody shots of Forster walking across an empty field or staring at a bonfire cliched or even trite. But they are people who hold more value in technique than soul. And the Go-Betweens have always been about soul, not technique. As Lindy Morrison says, “We didn’t look the part, we didn’t sound the part, we were too intelligent.”

Stenders has made an emotional, rolling thunder of a film, one this extraordinary band deserves. Those for whom the Go-Betweens are part of the architecture of their lives will love it. For casual watchers, it might introduce them to something special.

(Padrâig Collins, The Guardian)

 

Ich habe nie Devotionalien gesammelt, ein paar Eintrittskarten, ein Tshirt von den Go-Betweens, lang verschlissen,  aber ich wäre für jede Narretei zu haben, wenn es um das White Album ginge. Ein englischer Schriftsteller, William Shaw, veröffentlichte einige historische Kriminalromane, in denen das London der „Beatlemania“ Schauplatz ist, quite good novels, by the way, und was gäbe ich dafür, eine klassische Zeitmaschine besteigen zu können, und mit meinem dreizehnjährigen Ich (besser sweet sixteen) zwei, drei Wochen ein Zimmer in Soho zu beziehen (okay, sweet eighteen). Aber natürlich mit meinem Bewusstsein von heute, haha. So bleibt mir nichts anderes übrig, als weiterhin in die „Big Box“ des White Album abzutauchen, mit all den neuen Abmischungen, „Esher Demos“, „Surroundings“, unveröffentlichten Sessions. Dieses Werk ist für mich eines, bei dem ich sagen würde: the mothership has landed“ – ich kehre stets eine Spur verwandelt zurück. Jungbrunnen, Sterben lernen, neue Anfänge, alles ist darin. Die Firma Pro-Ject hat einmal, in limitierter Auflage, einen „White Album Record Player“ auf den Markt gebracht, was natürlich schöner Blödsinn ist, und all meine Sympathien hat. Jeder Plattenspieler ist eine Zeitmaschine, und wenn ich je im Schneidersitz von meiner Petrolcouch abheben sollte, liegt es nicht an einer Erleuchtung, oder einem Mantra. Gestern lag es an der Schallplatte „The Following Morning“ von Eberhard Weber. Morgen könnte es „Spring Hill Fair“ sein.

 

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3 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ein älterer Text. Aus guten Gründen neu aufgetischt.

  2. Bernd L.:

    Was für ein Tag in Erinenrung an die Go-Betweens! Und was für Stories. Ich erinnere mich damals an den öffentlichen „Streit“ von Bruckmaier und Krausser. Diese Gönnerhaftigkeit des Schriftstellers ist mir auch sauer aufgestossen.

    Ich weiss gar nicht, wo ich nun zuerst im Archiv wühlen möchte. Der Plattenspieler von Project ist sicher schon Geschichte:) und den Film über die Band bekomme ich hoffentlich noch als DVD. Susanne und ich waren übrigens auch mal in Regensburg, und in der Buchhandlung, wo Karin Bäumler arbeitete.

  3. Martina Weber:

    „Spring Hill Fair“ gehört zu meinen Favourites. Die Sprache, die Stimme, und die Texte unglaublich facettenreich und poetisch. Sie bewahren immer ihre Geheimisse. Die Veilfalt findet sich auch im Tempus. „River of Money“ beispielsweise wirkt wie schnell dahingeraunt.


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