Ich war nur einmal in meinem Leben auf Wangerooge. Seltsam, dass mir von der Hinfahrt der kurze Zwischenstop damals, im Sommer 1975, in Husum, in Erinnerung geblieben ist, wo ich umstieg und mir das Leben in jenen Momenten eine Schwelle zu öffnen schien, ein Ende der Kindheit. Ein paar Abende später schlich ich an dem Zimmer der Pensionsbesitzer vorbei, klopfte bei ihrem Aupair—Mädchen Elke Marie an die Tür und verschwand in ihren Armen. Im Sommer darauf, oder waren es zwei Sommer später, traf ich Elke Marie wieder, zu meiner Überraschung, an der Rezeption des Nordseehotels auf Borkum, und voller Freude lief sie zu mir, obwohl wir uns schon länger keine Briefe mehr geschrieben hatten. Aber war das nicht ein Zeichen, dachte sie wohl, was ich wohl auch gedacht hätte, über diesen kaum glaublichen Zufall, wenn inzwischen nicht soviel geschehen wäre, und für ein paar Minuten kam ich mir vor wie in einem Film von Eric Rohmer. Als ich ihr sagte, ich sei mit meiner Verlobten hier, hielt das Empfinden, immer noch Teil einer „moralischen Erzählung“ des Franzosen zu sein, weiter an, doch blieb es bei diesem kurzen Wiedersehen und Verabschieden. Es tat mir kurz weh, aber es ging nicht anders. Im Sommer davor, oder waren es doch zwei Sommer, regnete es oft auf Wangerooge, und ausser meinem spätabendlichem Runterschleichen in Elke Maries Zimmer und der wunderbaren Wärme ihres Körpers, ihrem Duft nach englischem Moos, ihrem weichen wogenden Busen, erinnere ich nur noch einen Abend in jenen drei Wochen, an dem ich eine Jazzsendung von Michael Naura im NDR hörte. Ich hatte meinen Anorak angezogen, das Transistorradio in die Tasche gesteckt, und war trotz stetigen Regens runter zur Promenade gegangen. Nicht direkt ans Meer, wo die Musik untergegangen wäre. Naura schwärmte von einem brandneuen Album namens „Solstice“, von Ralph Towner, mit Jan Garbarek, Eberhard Weber und Jon Christensen. Dann spielte er die Komposition „Nimbus“, und ich kroch förmlich in die Lautsprecher des winzigen Metallradios hinein. Was für ein Tanz des Lebens!
2 Comments
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Lorenz Edelmann:
Na, das ist doch ein guter Grund, Ralph Towners Solstice morgen gleich mal wieder zu hören!
noch etwas zu ECM:
vor einer Woche konnte ich endlich „safe journey“ von Steve Tibbetts gebraucht zu einem normalen Preis als CD bekommen. Ich hatte die LP Mitte der 80er Jahre gekauft. In dem Städtchen meiner Zivildienststelle hatte ein kleiner Plattenladen
aufgemacht. Entweder war es das Cover, oder dass es von ECM war, vielleicht die ungewöhnliche Besetzung oder alles zusammen. Ich kannte Steve Tibbetts bis dahin nicht- aber es war der Beginn meiner bis heute anhaltenden Begeisterung für
seine Musik. Und so hat sich mit „safe journey“ ein Kreis geschlossen. -
Michael Engelbrecht:
Das Lebensbegleitende mancher Platten ist schon etwas Besonderes, Lorenz. Wer liest schon fünfzig Mal ein Buch. Aber Platten, die irgendwann etwas Besonderes darstellten, behalten oft über Jahrzehnte ihre Bedeutung. Und es ist zum Glück nicht die Nostalgie in erster Linie. Es kommt immer noch etwas hinzu. An Horizont.
Wie oft kamen Solstice Safe Journey und Northern Song hier schon vor! Das verbindet auch irgenwie. Aural history. 🐚