Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2022 29 Sep

Les Jeux Sont Faits – Hat sich Sartre hier vergaloppiert?

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 7 Comments

 

Leicht angestaubt, aber durchaus charmant und in gewissem Sinne zeitlos – wie ja auch dem Existenzialismus eine gewisse Zeitlosigkeit anhaftet – präsentiert sich der einzige Film nach einem Drehbuch von Sartre (F, 1947, Jean Delannoy), der sich mit der Tragik in Form des griechischen Dramas, der Freiheit der Wahl und der moralischen Verantwortung des Menschen auseinandersetzt – besetzt mit einer zeitlos hinreissenden Micheline Presle (im August übrigens 100 geworden) – denn Sartre verstand etwas von Frauen und hat sich beim Casting sicher eingemischt, wie man ihn kennt – und einem etwas gegen den Strich besetzt wirkenden jungen Anführer des gegen eine faschistische Regierung oder Besatzung revoltierenden Proletariats, der ständig mit Anzug und Krawatte agiert, opulente Blumensträusse in seiner Bude herumstehen hat und nicht so recht in seine Rolle passen will – man fragt sich ob ihn vielleicht die Simone ausgesucht hat.

Beide agieren etwas somnambul, ist aber bei der Darstellung von Frühverstorbenen durchaus passend. Heute würde man mit Til Schweiger und Hanna Schygulla besetzen, die würden sich dann leicht verpeilt durchs Skript nuscheln. Aber jetzt etwas mehr Ernst und Ehrfurcht: Ich mag diesen Film einfach – er führt in ein altertümlich – verschnörkelt wirkendes beschauliches Städtchen und ein ebenso ausgestattetes fast liebenswertes Jenseits, das eigentlich das Diesseits ist nur dass hier Unsichtbare in altertümlicher Kleidung herumgeistern. Der Reiche ist ein Gangster, der Proletarier aufrecht und integer, die Kapitalistenfrau ist anständig, vornehm, hübsch und bewahrt durchgehend die Contenance. Das Paar, beide wurden ermordet, treffen sich nach ihrem Tod im Jenseits, das in ihrer gewohnten Umgebung angesiedelt ist, nur sind sie unsichtbar. Das Leben ist in der Ober – wie der Unterschicht für die beiden Klassenrepräsentanten gleichermassen gefährlich, offenbar. Sie verlieben sich und erwirken an der Rezeption zum Hades einen Aufschub: Sie dürfen als Paar ins Leben zurückkehren wenn sie es schaffen für 48 Stunden ausschliesslich ihrer Liebe zu leben. Wie das aussehen soll wird nicht näher erläutert.

Ist dieser Film existenzialistisch? Sartre verneinte das – das Paar scheitert an diesem Auftrag, erfüllt somit nicht die Vorgaben des Existenzialismus, dass jeder sein Glück selber schmieden könne und müsse, zu dieser Freiheit verurteilt sei. Somit konterkariert der Film diese Vorgabe, indem er das Paar als nicht für fähig erachtet, diese Freiheit gemäss ihren Wünschen zu nutzen, sondern sie in antiker tragischer Unausweichlichkeit an der gegebenen Freiheit scheitern, den alten Anhaftungen erliegen lässt und es kein neues Leben als Paar gibt. Was sich der Alte wohl dabei gedacht haben mag? Und welche Diskurse er mit seiner Freundin darüber geführt haben mag – die beiden haben sich in dieser Hinsicht ja nichts geschenkt; wie Zeitzeugen zu berichten wissen haben sie im Café de Flore die meiste Zeit gestritten.

 

 

Dabei konnte ich diese pessimistische Lesart des Filmes nie teilen und denke die beiden Verliebten haben sehr wohl den Freiraum genutzt. Ihre Entscheidung, wenngleich auch vielleicht nur „unbewusst“, war das Entscheiden gegen das persönliche bourgeoise Glück contra das Wohl des Kollektivs, das dem Alten auch sehr am Herzen lag. In der Unmenschlichkeit der Natur und der Abwesenheit Gottes obliegt es dem Menschen menschlich zu sein: Pierre kümmert sich um das weitere Schicksal seiner bedrohten Kameraden, Eve versucht ihre kleine Schwester vor den Nachstellungen ihres mörderischen Ehemannes zu schützen, es bleibt keine Zeit, „Liebe zu leben“. Diese Entscheidung ist zutiefst human. Ein tragischer Verzicht: Tragik ist Unausweichlichkeit des Handelns sagte mal jemand über das griechische Drama.

Und hier beisst sich der Determinismus mit dem Existenzialismus: Freiheit der Wahl oder Unentrinnbarkeit des Schicksals? Beides ist hineininterpretierbar. Die Freiheit der Wahl ist eine nur scheinbare, denn als sozial verantwortliche Wesen können Eve und Pierre nicht anders als einzugreifen und Schaden zu verhindern. Hat der Determinismus gesiegt? Traue ich dem findigen Sartre nicht so recht zu. Auch das romantische Motiv des Füreinander – Bestimmtseins fehlt nicht – und wie wenig es nützt wenn dann doch das Schicksal die Kugel rollen lässt. Ein existenzieller Konflikt, geklemmt zwischen zwei philosophische Systeme.

Somit rückt Sartres Aussage in die Nähe der Philosophie seines Freundes (später haben sie sich verzankt) Camus, der die Welt als lediglich absurd empfand. Absurd ist auch die Situation des Paars – sie können es nicht „richtig“ machen.

Und die „freie Entscheidung“ ist angesichts innerer Begrenzungen der menschlichen Natur (von den äusseren mal gar nicht zu reden) ohnehin eine Fiktion und ein Konstrukt privilegierter Bürgersöhne die ihr Leben mit Denken verbringen konnten. Das schmälert aber nicht meine Sympathie für das existenzialistische Gedankengut.

Und das Sein bestimmt das Bewusstsein und selbiges wiederum das Sein. Das sind ohnehin nicht 2 gegenläufige philosophische Maximen sondern – bei Betrachtung der menschlichen Entwicklung – eher ein eternal circle beziehungsweise ein Atommodell, in dem Quantensprünge jederzeit möglich sind, wenn die dazu nötige Energie von aussen zugeführt wird. Damit macht das Leben vermutlich auch mehr Spass.

 

This entry was posted on Donnerstag, 29. September 2022 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

7 Comments

  1. Jörg R.:

    Ich erinnere mich noch an den Abend unserer Filmgruppe, als wir das geguckt haben. Da war auch der starke Eindruck des Versagens des Paares.

  2. Ursula Mayr:

    Da sieht man mal wie sehr wir happy-end gepolt sind. Da wurde die moralische Botschaft glatt übersehen. Hauptsache sie kriegen sich….

  3. Michael Engelbrecht:

    Da fällt mir doch gleich das Happy End von North by Northwest ein, erst hängt Tippy Hedren am Abgrund…….und dann zieht Cary Grant semim Zugabteil hoch auf seine Liege im Schlafwagen, wunderbar😉 – der Film hatte auch eine Borschaft: coping startegies entwickeln, sich aus unmöglich erscheinenden Situationen zu befreien, pure ERMUTIGUNG! Grosses Kino.

  4. Ursula Mayr:

    Und dann fährt der Zug stürmisch in ein schwarzes Loch – noch grösseres Kino.

  5. Ursula Mayr:

    War übrigens Eve Marie Saint,
    auch so ein Schwarm von Hitchcock.

  6. Anonymous:

    Der Film ist in seiner Story sympathisch, allerdings die Charaktere etwas eindimensional und in seiner Botschaft beliebig ausdeutbar, was auch seine Qualität ausmacht. Leerräume, eher Phantasieräume, die man mit eigener Denkarbeit füllen kann.

  7. Michael Engelbrecht:

    Ich bringe diese Blondinen immer durcheinander, mea culpa, nur bei Brünetten funktioniert mein Languitgedächtnis….buahhh…5 Euro in die Machokasse!

    North By Northewest ist ganz grosse Kunst, da besitzt auch das „Eindimensionale“ Tiefenschärfe.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz