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2022 1 Jun

Öffnung einer Schatzkiste – Robert Fripps „Exposures“

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 

„War alles nur ein Spuk, wie Ari-Ups Erlebnisse im Wald, oder in einer Kirche, wo sie mit einer alten Frau über den Teufel gesprochen hat? Sind sie buchstäblich im Untergrund verschwunden? Ist die Provinz die Provinz oder ist sie das Aufmarschgebiet für einen Aufstand gegen die Metropolen? Ein Tag Später war in Hamburg die Strassenschlacht im Karolinenviertel, Mai ’80.“

(Diedrich Diederichsen, Sounds, Juni 1980)


„Wir sind so oft wie möglich nach Weißenohe gefahren: Robert Fripp + League of Gentlemen, Gong, Soft Machine, Nucleus, Hardin + York, Osibisa, Wolfgang Dauner, Livin‘ Blues, Chicken Shack, Hawkwind, Johnny Winter, Volker Kriegel, Alexis Korner. Bin selbst Musiker geworden, ohne das to Act hätten mir einige wichtige Inputs gefehlt.“

(Rainer Berneth,  To Act-Insider)

 

 

The gardener plants an evergreen / Whilst trampling on a flower / I chase the wind of a prism ship / To taste the sweet and sour“. Irgendwann, ganz sicher, ist mir auf einer Party, als es noch keine sozial-liberale Koalition gab und „Der Kommissar“ mit dem Stoiker Erik Ode zu den Innovationen des Zweiten Deutschen Fernsehens zählte, die erste King Crimson-Platte mit dem berühmten Cover der verhutzelten   Famtasiegestalt in die Hände gefallen, und wir staunten nicht schlecht, als wir den wilden rhythmischen Verwirbelungen des „21st Century Schizoid Man“ folgten. Unerhörter Stoff.

 

Neben den karmesinroten Unheimlichkeiten, die sich auf dem Album bemerkbar machten, zogen auch diverse, mellotrongetränkte, Sehnsüchte ihre einsamen Bahnen. Und so  wurden diverse King Crimson-Alben Begleiter durch meine Jahre als Teenager und Twen. Seit einiger Zeit ist die Musik von Herrn Fripp und seinen Kollaborateuren Gast in meiner „elektrischen Höhle“, vorzugsweise in den Surround-Mischungen von Steven Wilson, die mich eher nicht in sog. gute alte Zeiten transportieren, vielmehr immer neu aufleuchtende Winkel freilegen.

 

Und so begab ich mich in den letzten Wochen auf eine Zeitreise in die Jahre von Fripp, dem Solisten: zwischen 1977 und 1983, spielte er solo seine Frippertronics, erholte sich von der ersten langen Regentschaft von King Crimson, übte den „lateralen Drift“ frei nach Robert Pirsigs „Zen oder die Kunst, ein Motorrad zu warten“, brachte diverse Musikproduktionen auf den Weg, widmete sich (etwas früher noch, zwischen 1974 und 1977), und sehr „diszipliniert“ (ein Schlüsselwort seines Credos), einer von Gurdjieff-Nachfahren befeuerten Schule der Spiritualität, und pflegte seine Freundschaft zu dem bekennenden Atheisten Brian Eno, den er stets „Captain“ nannte.

 

Wie das Leben eben so spielt, zwischen frühen Jahren des Ruhmes, dem heimischen Dorset und dem fernen Manhattan, und stets begleitet von einem mindestens grenzwertigen Hang zur Perfektion! Von all dem handelt meine „Besprechung“ der neuen und, gelinde gesagt, opulenten Robert Fripp-Box, „Exposures“. Angefüllt mit Erinnerungen, Umschreibungen, Fantasien, Tatsachen, Empfindungen, Beiläufigkeiten. Alles endet auf dem Nürnberger Zeppelinfeld, auf welchem die neu formierte Ausgabe von King Crimson (mit Adran Belew, Bill Bruford, und Tony Levin) am 5. September 1982 aufspielte. Und aus allerlei Gründen kann ich mich an jenen heissen Spätsommertag besser erinnern als Mr. Fripp. Um es mal so zu umschreiben: ich war als Gärtner unterwegs und pflanzte einen Evergreen, und während ich auf einer Blume herumtrampelte, jagte ich ein Prismenschiff, um das Süsse und das Saure zu verkosten. Damals, die Bilder hinter den Bildern, sie verschwanden nicht. Auch später nicht.

 

Nennen wir diese Box eine Schatzkiste!  „Robert Fripp: Exposures – Studio, Live 1977-1983“. 25 CDs, 3 DVDs, 4 Blurays. Viele Memorabilia, ein 38-seitiges Booklet, etliche Tickets und Faksimiles. Wo soll man da ein-, wo auftauchen? Alle Platten aus jenen Jahren habe  ich mir seinerzeit gekauft, und sie bilden, neben zahllosen Abschweifungen voller Frippertronics, Live-Auftritte und Studiosessions, ein Kernelement von „Exposures“.  Musik, die sich nicht mit gelebtem Leben verbindet, ist sowieso zum Vergessen. There is no replacement for fire, schrieb der Architektur-Philosoph Christopher Alexander in seinem Buch „A Pattern Language“ über die besondere Magie von Kaminen im Wohnzimmer. Für das Hören von Musik gibt es auch keinen Ersatz.

 

1981, als das einzige pure „Frippertronics“-Album der frühen Jahre rauskam, erntete es gemischte Reaktionen, aber der „down beat“ vergab fünf Sterne, einen klugen Text, und bei mir landete „Let The Power Fall“ gewiss auf den vordersten Plätzen meines damaligen Jahresrückblicks – und 1981 war ein schwergewichtiges Jahr für richtig gute Platten. Ich liebte die Schallplatte, legte sie gerne nach der Arbeit in der Fachklinik Furth i. W. auf meinen Dreher, und, gemäss dem Aufruf des Titels, liess ich all meine „power“ fallen. Es war wie eine Reinigung der Sinneskanäle, und ich tendiere nicht zu Feng-Shui und esoterischem Small Talk. „Wenn Robert Gitarre spielt, klingt das, als würde das Universum weinen.“ Der Satz stammt nicht von mir, das sagte Daryl Hall. Wer das Album nicht mag, spricht von grossem Gebrumm und endlos repetitiven Tonschleifen zweier präparierter Revox A-Tonbandmaschinen, zu denen sich Fripps Gitarrenimprovisationen mischten. Wer die Musik nicht mochte, erlebte sie als harte Kost, mathematisch, kalt, unheimlich, schockierend, langweilig ohne Ende. Die Gegenseite empfand die sechs Stücke, die nachfolgende Jahreszahlen zum Titel erklärten, also auch „1984“ mit seinen Orwell‘schen Anklängen, als unheimlich, umfassend, dunkel, hinreissend, meditativ. Tja, Sie wissen schon, die Sache mit dem Auge des Betrachters, und dem Ohr des Hörers. Nun erscheint „Let The Power Fall“ endlich wieder als Schallplatte. Ich liebte die Klangqualität, den Sound, und der Sound war die Musik.

 

Ich träume schon länger davon, „Let The Power Fall“ – hochauflösend – und in Surround zu erleben, und dieses „Box Set“ liefert dazu den ultimativen Stoff – der Stereo-Mix die pure Freude, die Abmischung für Surround „frippertronics for the heavens“. Mit vielen Extras: Basisloops des Albums, Live-Konzerte, nicht verwendete Kompositionen.  Akustische Archäologie solcher Art mag nicht jedermanns Hobby sein, aber das Material ist gehaltvoll. Dokumentarfilmer können hier in über dreissig Stunden „Solo-Mediationen“ fündig werden. „A long weekend with Frippertronics“ – wer ein Wochenend-Retreat plant, braucht sich über verwandelte Bewusstseinszustände nicht mehr über Gebühr kümmern.

 

Es gibt in dem grossen Beiheft der Schatzkiste ein witziges Foto: Robert Fripp im heimischen Dorset, in einer Art „Umerziehungslager“ bei der Gartenarbeit. Der junge Mann hatte bereits kleine und grosse Rockgeschichte geschrieben, mit zwei Fripp & Eno-Alben (die damals nicht gerade als Klassiker erkannt wurden, selbst der geschätzte Manfred Sack (Die Zeit) empfand die Musik des Duos als tendenziell zugedröhnt und wenig berauschend), darüber hinaus und vor allem mit King Crimson und diversen Erkundungen am Hof des kamesinroten Königs – aber King Crimson hatten sich vorerst in die Historie, Abteilung Mottenkiste, verabschiedet. Die englische Presse liess kein gutes Haar an den Überkomplexitäten des „Progressiven Rock“ – das preisende Etikett wurde zum Schimpfwort, und der Punk als Stunde Null einer neuen aufregenden Kultur gefeiert.

 

Robert gestaltete seinen Nullpunkt anders und zog sich in ein „spirituelles Zentrum“ im englischen Hinterland zurück, „Guru“ inklusive, um auf den Spuren der Lehren des Mystikers Gurdjieff eine neue „Verortung“ seines Selbst vorzunehmen, Meditation, Gartenarbeit, Stille. Nebenbei – Gurdjeff hatte ja auch ein Händchen für Musik, war ein Globetrotter und Sammler fast verschollener Lieder und unerhörter Töne. Keith Jarrett zauberte einst aus alten Transkriptionen  die entrückten Solo-Piano-Meditationen von „Sacred Hymns“ (ECM) – hören Sie sich die Schallplatte mal an, und hinterher  Fripps Soloexkursionen von „Let The Power Fall“. Zum Versinken. Dass das Elektronische und das Akustische zwei Welten sind, wird kurzerhand als absurd entlarvt.

 

Und alsbald verschlägt es ihn, im Jahre der Dame 1977, nach New York, und  er gerät in eine kulturelle Szene, die er, rückblickend, als immensen „power spot“ erlebt, so überbordend wie der wilde Teil der „Sixties“ im Mutterland der Popmusik. Er reaktiviert die Revox-Tonbandmaschinen, und, die wandlungsfreudigen Gitarren-Loops der „Frippertronics“ wurden seine spezielle Art der „Selbstversenkung“ (meditationstechnisch wird das alte Ego natürlich nicht wirklich „versenkt“, es befreit sich lediglich, wenn es gut läuft, von eingeschliffenen „patterns“).

 

Mit einem guten Vorrat an neuer Energie ausgestattet, reihen sich in den Jahren zwischen zwei „King Crimson-Inkarnationen“ Abenteuer an Abenteuer  – und genau davon handelt „Exposures“. Weihnachten 77 verbringt Fripp zum ersten Mal fern der alten Heimat, und ein anderer New York-Umsiedler bringt die Glöckchen für den Weihnachtsbaum mit, Brian Eno. Die beiden Pop-Intellektuellen mit einem Faible für „(wild card) collaborations“ und einem geschätzten IQ von 300 (addiert, wir wollen ja nicht übertreiben) mischen die Karten neu.

 

Eno produziert, mit seinen „Oblique Strategies“ zur Hand, drei grandiose Talking Heads-Alben. Nachts schaut er aus seinem Dachgeschossfenster und entwickelt „Mistaken Memories Of Mediaeval Manhattan“. Fripp rockt die Bühne mit Blondie und gibt sein erstes Frippertronics-Konzert in „The Kitchen“. (Das kann man sich auf „Exposures“ anhören, das alte Bootleg verströmt, bestens restauriert, einen frischen dunklen Glanz.) Fripp gibt Greg Lake von Emerson, Lake & Palmer spät abends in einem Taxi einen Korb, der ihn überreden will, „King Crimson 69“ zu reformieren. No way!

 

Auch seine „Persona“ erfährt eine dezente Wandlung, vom gelockten Kruselhaar zum Typ mit Nadelstreifenanzug. Einen kleinen Kulturschock gibt es für manche Leser des Londoner Magazins „Melody Maker“, als dort auf einmal Deborah Harry aka „Blondie“ und Robert Fripp posieren – der extrem cool und etwas finster dreinblickende Brite ist, neben Mrs. Harry, vorgesehen für die Rolle des Privatdetektivs in einer Neuverfilmung von „Alphaville“.

 

Die Vergangenheit ist ein Pendel, das in die Zukunft ausschlägt. „It is impossible to reach the aim without suffering“ (Oton von Fripps altem Guru J. G. Bennett, der es, natürlich geloopt, auf die verzweigten wie verwegenen Songs von Robert Fripps „Exposure“ schafft.) Im Jahr der Dame 1998 nimmt die Musikzeitschrift „The Wire“ das Soloalbum des Gentleman aus Dorset in ihre Reihe auf:  „100 Records That Set The World On Fire“.

 

„Exposure“ ist langlebig. Ich vergleiche das Hören von 1979, 1980, 1981, in Würzburg, dann in einem Dorf im Nirgendwo, mit der „remasterten“ Begegnung, nach so langer Zeit. Ich bin sofort „drin“. Der flow-Faktor 10. Es gelingt ein Zusammenfall klanglicher Polaritäten. „…One of those records that set the world on fire“, diese Übertreibung ist nicht nötig. Aber was sonst der „Wire“ schreibt, im Rückblick, macht Sinn: das im April 1979 erschienene erste Soloalbum von Robert Fripp, sei klipp und klar „the Sgt. Pepper of Avant Punk“. Wie bei „Pepper“,  ausser Intro und Outro, gleicht kein Stück dem andern. Kurz vor Erscheinen war Fripp unsicher, ob „Exposure“ überhaupt „relevant“ sei – dieses kunterbunte, kuntergraue Gemisch – gerade hier kommt das Besondere zum Vorschein, in harten Schnitten, „audio verité“, Apokalypse, Alltag, Hymne, Rohheit.

 

Die Szene betritt: Peter Hammill, in wallendem Flanellmantel, links das Rauchwerk in der Tasche, rechts sein Brandy zum Auflockern: flüchtig studiert er Song und Text, und legt eine derartige entfesselte Gesangsimprovisation vor, dass Fripp ihn  „co-composer“ nennt. Und dann zweiter Auftritt: Peter mit Terry Roche, Auge in Auge, hinter Glas.

 

Die Szene betritt: Daryl Hall. Und gleich sein Abgang hinterher. Seit Fripp dessen „Sacred Hymns“ produzierte (wurde erst mal auf Eis gelegt), wittern die Labelbosse von Hall & Oates kommerziellem Selbstmord. In der einen Version fast sowas  wie Leadsänger mit fünf Auftritten, werden seine „guest vocals“ auf zwei limitiert. Erst viel später werden die Rechte freigegeben, für die Albumversion mit „viel“ Daryl Hall (so ein falsches Theater um die Vocals – kein Wunder, das Fripp sich zunehmend unabhängiger machte vom „big business“ und, nach diversen Gerichtsveranstaltungen, und immensen Prozesskosten, „Discipline Global Mobile“ ins Leben rief).

 

Die Szene betritt: Brian Eno. „Indiskretionen“ zur Musik, kleine schräge Einwürfe, Humor haben die Zwei. Mit all den found voices ensteht allmählich ein  fulminantes „Theater der Stimmen“, zum Ende Peter Gabriels „Here Comes The Flood“, eine end-of-times-Vision, eine langsame Auflösung ins Nichts, die einzige Aufnahme des Trios Fripp-Gabriel-Eno. Der „Flickenteppich“ von „Exposure“ enthüllt seine Textur, das Richtungslose seine perfekte Gestalt.

 

Und, in aller Ruhe, noch einmal, ganz langsam, im Zeitalter des Loops: Der „Flickenteppich“ von „Exposure“ enthüllt, mit der Zeit, seine  ausgefeilte Textur, das Richtungslose eine nahezu perfekte Gestalt. Und langsam sollte es klar werden: Fripps Musik der New Yorker Jahre ist ein Bruch mit den Mythen und Göttern, die am Hof es Kamesinroten Königs rumschwirrten, aber sie ist kein Bruch mit der eigenen Klangsprache. Das Wurzelwerk erweitert sich einfach. Lateraler Drift.

 

Nach dem Erscheinen von „Exposure“, diesem fragmentierten Song-, Stimmen- und Stimmungsalbum, wäre es normalerweise an der Zeit gewesen, damit auf Reisen zu gehen. Stattdessen setzt Fripp seine intimen Solodarbietungen mit den Frippertronics fort, die Reisekosten sind gering, die Gerätschaften anfällig (die Revox-Maschinen haben ihre Tücken, einmal gerät eine in Brand), und manche Kunden und Zuhörer wundern sich, warum es diesen einstigen Hero einer Superband in Pizzerien, Büchereien, Kaffeehäuser, Schallplattenläden und Kirchenhöfe treibt.

 

Er liebt den direkten Kontakt mit den Menschen (wenn sie nicht gerade Harcore-Fans der guten alten Zeit sind, und Poseidon, Druiden und den Maskenspielen des Königs nachstellen), was man bei seinen oft hyperintellektuell wirkenden Diskursen nicht unbedingt vermutet. Es ist auch ein Spiel mit der Enttäuschung von Erwartungen: kann man sich auf dieses vermeintlich karge Szenario seiner Improvisationen einlassen, das so wenig mit Rock oder Roll zu tun hat, und so viel mit weiten Räumen?!

 

Bald erscheint ein Album, mit einem seltsamen Doppeltitel (nicht eingängig), einer Seite „Frippertronics“ (nicht eingängig) und einer Seite „Discotronics“ (auch nicht eingängig). Widerständige „soundscapes“ (ein einst modernes Wort dafür), von Fripp absichtsvoll in keiner Weise geschliffen. Die Lust an den Eingebungen des Augenblicks, das Skizzenhafte von „Exposure“  – es  setzt sich fort in der provokativen Unmittelbarkeit von Meditation und Tanz.

 

Die drei Frippertronics-Stücke des Albums „God Save The Queen / Under yheavy Manners“ sind alles andere als Repetitionen des Immergleichen,  die beiden Groovenummern entkommen der „Disco“ und landen (mit unendlichem Abstand, im Jahre 2022 darf man diese Behauptung anstellen) in jener Art des Zeitlosen, in der das Hören nicht historisierend ist, nicht akademisch, nicht erinnerungstaumelnd – und weitaus mehr Meditationsort, Untergrundhöhle, Niemandszone.

 

Und so machtvoll wie die drei Solostücke diverse Schalter unseres Wahrnehumgsapparates umlegen (können), so sehr bringen die dezent überdrehten Vokalismen von David Byrne und die Bass-Schlagwerk-Stimulationen der „Discotronics“ eine andere Art von Tanzmusik ins Spiel, eine, die auch im Sitzen funktioniert. Zudem präsentiert der Abräumer „Zero Of The Dignified“ eine der verwegendsten, zum Finale hin (nach diversen inneren wows und ahhs) noch  sprachloser machenden, Gitarrensoli seiner Laufbahn. Aus der Abteilung Asche, Glut, und Feuer. In Surround pures Surrender, in Stereo  audiophil.

 

Im Mai 1980 lebte ich eine Zeitlang in den Gedichten von Jürgen Becker, und hätte der Meisterlyriker nur Edwin und mich am 22. Mai nach Weißenohe begleitet, in die Fränkische Schweiz, hätte gewiss ein einziges Gedicht gereicht, diesen Ort im Jahrbuch der Lyrik unsterblich zu machen.

 

Jürgen Becker erzählte mir die Dinge aus dem Alltag der BRD, unverbraucht von Bildungsdeutsch. Wie eine Vaterfigur, der einen Kosmos-Baukasten der Lyrik öffnet. So erfuhr ich auch, wie der alte Krieg sich immer noch einnistete an den Randzonen des Bewusstseins, in altem Geld und Finsterkatholizismus. Manchmal war das eine Art Geschichtsunterricht, der den Blick klärte und leerräumte, in reine Gegenwart vewandelte. Wie der Sound der Rillen beim Auflegen einer ECM-Platte, in den frühen Zeiten, vor dem ersten Ton. Kein Jahr, ohne Ralph Towners „Diary“ aufzulegen!

 

In den Wochen vor dem Fripp-Konzert in Weißenohe blockierten (soweit ich mich erinnere) zwei Platten abwechselnd meinen Dreher: Linton Kwesi Johnsons „Bass Culture“, und Robert Fripps „Fripper“- und „Discotronics“ von „God Save The Queen / Under Heavy Manners“. Ich hatte unlängst beim Magus der Verhaltenstherapie das  Thema für meine Diplomarbeit durchgesetzt, „Funktionen der Sprache, dargestellt an Konzepten der Kognitiven Verhaltenstherapie“, mein Psychologiestudium neigte sich dem Ende entgegen.

 

Meine Verlobung war Geschichte, die schönste Frau Gelsenkirchens trieb sich zu meinem Leidwesen an einem Golfplatz in Nova Scotia herum (Teil meiner Trauerarbeit war das  Hören von „Darkness at The Edge of Town“), und das erste Mädel, das ich nach der  Trennung aus der Halbdistanz ihres Arbeitsplatzes in einer Apotheke (zumindest ein wenig) anhimmelte, wurde von einem Auto überfahren. Obwohl Edwin und ich schon Jahre lang in Würzburg lebten, erfuhren wir erst jetzt von diesem Powerspot für neue Klänge: Punk, Art-Rock, Reggae, Experimente, underground, Vorhang auf für einen ehemaligen Pferdestall, und einen Bahnhof, der nur mühselig aus dem Norden Nürnbergs mittels Bummelzug zu erreichen war. Ich hätte hier Stammgast sein müssen seit 1975. Verschüttete Milch.

 

Wir kamen mit meinem VW 1303 herangerauscht, und hinter Wiesen, Kirchtürmen und anderen Requisiten einer stehengebliebenen Zeit,  landeten wir beim „To Act“. Als erstes fiel mir ein Graffiti ins Auge, das ich eher in Earl‘s Court an einer Metro-Wand vermutet hätte: „Tom Verlaine Superstar“.

 

Erst vor Wochen war hier Ari Up beim Reggae-Schuhplattler ertappt worden, während die beiden anderen von den Slits Gitarre und Bass probten. In dieser Parallelwelt gab es Volkswandertage, ein „traditionelles Schlachtfest“, und den Einbruch der Avantgarde in die Provinz. Dass die Slits und die Pop Group hier auftraten, war für Insider der Normalfall in Weißenohe, um uns herum parkte eine muntere Wagenkolonne aus München, Regensburg, Kaiserslautern, Nürnberg, Hof und Stuttgart.

 

Wir waren im Hinterland angekommen,und vom Hinterland fühlte ich mich von früh an angezogen. Gerne hohe Wellen, gerne wildes Grau, gerne grüne Wiesen, Auen, Almen. Der Name der Sehnsucht hatte vorzugsweise einem weiblichen Vornamen. Die  Brünette, die ich an einem Bach, nah des Dorfes, um einen Kuss bat, frech wie ich war, und die retournierte: „Macht ihr Landeier das so?“ „Ich bin kein Landei. Ich bin der letzte Romantiker  des Internationalen Studentenhauses zu Würzburg.“ „Guter Versuch, Schätzchen.“ Netter Korb. Hippie baggert Punk an – „es wird böse enden“.  Edwin und ich gingen nach zwei Gläsern Bier in einem zünftigen Wirtshaus in den Club, und es gab dort eines dieser Konzerte, das ich nie vergessen würde: „Robert Fripp & The League of Gentlemen.“

 

Ich weiss gar nicht mehr, sassen wir in der alten Scheune auf Stühlen, oder standen dicht gedrängt? Dem Punk, der Lisa hiess, warf ich eine Kusshand zu, und sie rollte mit den Augen und lachte. Der erste Ruf aus dem Publikum, Fripp möge sich erheben. Fripp entgegnete: „I have to sit. I‘m only a limited guitar player.“ Es wurde gelacht. Aber tanzten wir? Schliesslich wurde das Quartett mit den  eide  „Toobads“ (Sara Lee, klassisches Training, Bass), Johnny Toobad (Schlagzeug), Barry Andrews (keyboards) und Fripp (Gibson, Synthi) als „second wave dance band, with an emphasis on spirit rather than competence“ (OTON Fripp) umschrieben.

 

Da das Album erst Ende 1980 rauskommen sollte, hatten wir keine Idee, was uns erwartete in Weißenohe. Nun: eines  von 77 Konzerten dieser kurzlebigen Formation, und auf der Rückseite der LP sollten all diese Orte und Nächte vermerkt werden. So roh und pink wie das Cover war auch diese deep rockende Veranstaltung: ein dichter, rein instrumentaler, repetitiv durchgegroovter „Art Punk Rock“, so herrlich dirty, dann wieder feingeschliffen, pirouttendrehend, von klarer, Fripp’scher Handschrift konzipiert. Wir lauschten gebannt. Man konnte nicht nicht hinhören – die Musik bewegte sich auf einem immens hohen Energielevel, den Joint reichte ich ungeraucht weiter. Eine Liga der Gentlemen mit einer Frau, das hatte was. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft, schön laut, Disc 17 der Exposures Box, der Auftritt im Paradise Club in Boston vom 26. Juni 1980. Es fiepst und zischt.

 

Und wie es halt so Geschichte ist in den Gruppen von und mit Fripp – es geht es nicht ohne gruppendynamischen Stress ab. Fripp, der Eigensinnige, Fripp, der Disziplinfanatiker, Fripp, der Sarkast, Fripp, der Humorist, dessen Humor nicht jeder versteht. Mr. Toobad hatte eine Neigung zu Heroin, und reiste einmal vom europäischen Festland nach London und zurück, um sich den Stoff seines Vertrauens zu  besorgen – er wurde bald gefeuert und durch den talentierten Kevin Wilkinson ersetzt. Barry Andrews fühlte sich zeitweise wie in einem „Gurdjieff‘schen Sozialexperiment“, und Sara Lee behielt Lust und Nerven, immer, und sorgte mit ihrem Spiel für gute Erdung und grossen Anklang – die B52‘s nahmen sie alsbald mit Kusshand.

 

Dieses Quartett hatte auch einen Beat-Combo-Sound der frühen Sechziger, das liess sich nicht auf Punk und New Wave runterbrechen. All diese rauchgeschwängerten kleinen Clubs am Rande der grossen Städte und des Hinterlandes, die dieses Quartett beherbergten – da waren sie in ihrem Element, fraglos.

 

Der Surround-Mix zieht mich ins Zentrum der  Musik, die für mich damals wie heute etwas von dem Rumstreunen auf einer riesigen Kirmes meiner Kindheit in Dortmund-Hombruch hat: an jeder Ecke wird die Aufmerksamkeit eingefangen, beim Autoscooter, bei der Geisterbahn, bei der Zuckerwatte, bei jedem Geplärre aus einem Transistor, bei all den Kindergesichtern. Reines Staunen, schöner Krach, Twists und Turns. Für jede mögliche Zukunft von damals ein verrückter Sound im Hier und Jetzt. (Und mit diesem letzten Satz will  ich nur der guten alte Tante „Retrofuturismus“ aus dem Weg gehen.)

 


September 82.

We were lying on the grass, the heat was on,
the lightnin in the sky, Like A Hurricane,
Nils Lofgren was still so young. As  were you and me.
We were bloody everything, our faces east, our feet dancing,
Robert, Tony, Adrian, Bill. And they naturally played
Heartbeat – at  that moment,  night included,
eternity, too (the one in decay mode), the gloom of the moon
on your nakedness , in that odd old town hotel,
windows to the heavens,  i can still feel    
your heartbeat (in the song), and though everything
was loss later, pictures running on empty,
in circles through my mind, it doesn‘t matter.

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