Manafonistas

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2022 8 Jan

Eine kurze Geschichte zu den Netzen des Nachmittags (4)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments

 

Das im Kulturzentrum Bahnhof Langendreer gelegene endstation.kino wurde 1988 eröffnet und zeigt „alles, außer Mainstream“. Das monatliche Programm ist durch Spiel- und Dokumentarfilme aus allen Kontinenten geprägt, die, wenn möglich im Original mit deutschen Untertiteln gezeigt werden. Und im Eröffnungsjahr gastierte „The Tranquil Club presents Meshes of the Afternoon“ dort.

Am Tag nach der Veranstaltung sass ich in der VHS Bochum. Ein paar Büroräume neben meinem Arbeitsraum sass der Kinobeauftragte, und runzelte mit der Stirn. – Micha, sagte er, das war weitgehend sehr beeindruckend! Aber warum hast es es denn so schrecklich enden lassen. Die ganze Atmosphäre wurde zerstört.Ja, antwortete ich, darüber lässt sich streiten, aber ich habe mir schon was dabei gedacht.

Als die Zuhörer langsam in das kleine und bald ziemlich gut besetzte Kino kamen, stand vor der Leinwand das Klavier, und Olaf Günther, mein Mitstreiter, hatte sein Flügelhorn auf einem Kissen abgelegt. Es lief „Thursday Afternoon“ von Brian Eno.  Ich versuche den Ablauf, aus der Erinnerung zu rekonstruieren. Im Laufe des Abends zeigten wir den Film dreimal. Einmal als Stummfilm, einmal mit der Musik, die Maya Derens zweiter Ehemann damals dazu komponierte, sehr fragile Töne. Und einmal spielten Olaf und ich zu den laufenden Bildern.

Zuerst die Stummfilmfassung, und zum Ende hin unsere Improvisation. Ich hatte ein paar Klavierstunden genommen, und lernte mit wenigen Tönen und vielen Pausen nichts falsch zu machen, Olaf war grossartig am Flügelhorn: er war der gelernte Musiker, setzte aber auch nur asketische Töne in den Raum, die die Bilder „öffneten“, statt zuzudecken.

Drei mal vierzehn Minuten also waren dem Film gewidmet: zwischen den einzelnen Darbietungen gab es einmal ein freies, ruhiges Stück von Olaf und mir – und dann meinen „Filmessay“. Das war natürlich eine Freude.  So stelle ich mir spannendes Experimentalkino vor. Rückblickend denke ich, wir hätten das mit vielem anderen interessanten Kurzfilmen in etwa der Art machen können, aber es blieb ein einmaliges Ereignis, und der Tranquil Club, löste sich 1990 auf, nach einer Serie von Auftritten in Köln, Dortmund und Castrop-Rauxel.

Da sass ich also bei dem Filmfachmann der VHS. Und er beschwerte sich über das Ende. – Ja, sagte ich, das war laute bizarre surreale russische Rockmusik von Zvuki Mu, produziert von Brian Eno. Ich wollte, dass am Schluss die Stille zerreisst. Und manche Kinobesucher aus ihrer Trance geholt werden. Das war ja die Frage, etwas Ruhiges, und dann gedankenverloren in den Abend hinaus, oder etwas Hartes, Unerwartetes. Einig wurden wir uns nicht, er hatte ja auch gute Argumente auf seiner Seite. Und dann legte er mir eine Videokassette auf den Tisch, eine Leihgabe, er hatte mir das Teil auf meinen Wunsch hin besorgt. Robert Aldrichs „Das Doppelleben von Schwester George“. Aus dem Jahre 1968.

 

(P.S. Eine Version von Maya Derens „Meshes of the Afternoon“ ist hier auf dem Blog zu sehen, einige Tage zurück scrollen, zum 4. Januar. Die Filmmusik da stammt von Bird‘s Eye.  Siehe auch: mayaderen.org –  ich bin dann mal weg, und kehre, aller Voraussicht nach, am 3. Februar hier auf den Blog zurück, am Tag meiner Ausgabe der JazzFacts mit Neuem von der improvisierten Musik, im Deutschlandfunk, um 21.05 Uhr. Wenn in den letzten Januartagen noch Monatsempfehlungen offen sind, albums of February etc etc, kümmere ich mich, aus der Inselferne, darum. – BACK HERE ON FEBRUARY 3!) 

This entry was posted on Samstag, 8. Januar 2022 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

2 Comments

  1. Martina Weber:

    Jetzt hat es für mich gepasst, den Film nochmal zu sehen. Ich muss zugeben, dass ich kein gutes Gedächtnis für Filmmusik habe, außer wenn sie mich stört (wie in einigen lauten Passagen von THE LEFTOVERS, wo ich über eine längere Strecke immer wieder möglichst schnell einige Stufen leiser schalten musste; Michael schrieb hier irgendwo, als ich das Problem schon erwähnt hatte, es länge an der Surroundmischung; ich habe kein Surround) oder wenn sie genial ist (spontan fallen mir FRANK – mit Michael Fassbender – und WHIPLASH ein; in beiden Filmen ist die Musik jedoch Teil des Films). Deshalb kann ich mich nicht daran erinnern, ob die Fassung von MESHES, die ich in meiner Sammlung habe, ein Stummfilm ist oder nicht. Ich fand die Filmmusik, die zum Link vom 4. Januar lief, ziemlich gelungen, vor allem zum Schluss. Die Leerstellen zwischen den Schnitten, Wiederholungen, Vieldeutigkeiten.

    THURSDAY AFTERNOON zur Einstimmung – wunderbar.
    Eine Lieblingsplatte.

    Deinem Filmessay, Michael, hätte ich gerne gelauscht. Interessant wäre bei so einem Event zum Abschluss auch eine Diskussion mit dem Publikum.

    Eine Kurzfilmreihe mit kleinen Einführungen und Diskussion – immer noch eine Vision von mir im Hinterkopf. Mittlerweile ist es etwa neun Jahre her, dass ich mit einigen Leuten hier eine kleine „Filmgruppe“ gegründet habe, die sich jedoch längst wieder aufgelöst hat, unter anderem, weil der Filmgeschmack zu verschieden war. Wir hatten uns erst am Filmabend selbst für den Hauptfilm entschieden. Für mich war´s zu viel Mainstream. Ich hatte Kurzfilme als Vorfilm mitgebracht. Damals hatte ich noch die Sendung KURZSCHLUSS auf ARTE gesammelt.

  2. Olaf Westfeld:

    Ich habe den Film gestern Abend das erste Mal gesehen, heute Abend schaue ich ihn gleich nochmal. Ja, diese Leerstellen und die Schatten – irre.


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