1978. Ich sitze in einem dieser Schallplattenläden, die es heute nicht mehr gibt. Hinten, an der schummrigen Theke mit den Plattenspielern und Kopfhörern zum Anchecken neuer und unbekannter Scheiben. Auf den Stapel mit Post- Prog- Glam- Ska- Reggae- Philli- Disko- und Punk-Zeug legt mir der Verkäufer eine Scheibe mit fast schwarz abgetöntem Cover, hör mal rein, sagte er. Ich höre mir also Discreet Music an, von Brian Eno. Noch nie gehört, davor. Das, was dann kam, auch nicht: Ein Klangteppich, sanft und weich wie Kaschmir. Eine Tonfolge – Melodie zu sagen wäre übertrieben -, die sich repetitiv wiederholt, in einem scheinbar simplen, aber doch unvorhersagbaren Pattern, bei gemäßigtem Tempo. Ein Space entsteht, kontemplativ, draußen auf der Straße einer dieser allerersten Frühlingstage, Partikel tanzen in der Luft, alles scheinbar Zeitlupe. Faszinierend. Dann ging ich heim in mein kleines Appartment, mit dieser Platte. Dann hörte ich ich sie nochmal an. Dann hörte ich sie nochmal an. Dann hörte ich sie nochmal an. Dann ging ich in den MusicShop und kaufte mir einen Synthesizer. Damit veränderte sich mein Leben – wieder einmal, und nicht zum letzten Mal.
In meiner speckigen Telefonkladde aus dieser damaligen Zeit befindet sich unter der Rubrik „P“ die Telefonnummer von einem gewissen Conny, Plank, und sein Name taucht nicht nur als Toningenieur-Pionier auf Scheiben von Brian Eno auf. Mehr als das, beide Namen, Eno und Plank, sind gemeinsam in den Credits von Devo, Ultravox, David Byrne, Freur zu finden. Schaut man noch näher, kann man in dieser Sammlung auch Cluster, Harmonia und Neu! finden, Namen, die damals eigentlich nur außerhalb Deutschlands so richtig eingeschätzt wurden und in Deutschland abschätzig als Krautrock abgestempelt wurden. Sich kennenzulernen und gemeinsam eine Karriere zu beginnen, war sicher ein großes Privileg sowohl für Herrn Eno als auch für Herrn Plank. Wie auch immer: Das Wegsptengen von aufnahmetechnischen Konventionen, der hemmungslose Gebrauch von Effektgeräten, Einbau von Rückwärts-Schleifen, Aufnahmen in halber oder doppelter Bandgeschwindigkeit, gepaart mit dem Wegsprengen kompositorischer Konventionen und Harmonielehren, die atypische Verwendung von Instrumenten, das war für mich das Wesen einer Zeit, zu der sich das Universum noch ausdehnte.
Und ohne es zu wissen, war ich mit meiner Art Musik zu machen ein Teil von genau diesem. Der Pοlyhistor Egon Friedell hat ungebildet Begeisterte wie mich „berufene Dilettanten“ genannt und konstatiert, dass eben durch den Verzicht auf Konventionen und tradierte Fertigkeiten das Neue entsteht. Für diese Interpretation bin ich sehr dankbar :-)
Die Telefonnummer von Conny Plank habe ich übrigens leider nie gewählt.
Helmut Müller
Produzent von hel.de, Rhythmische Beobachter, Kontakt Pure.