Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2021 30 Jan

Eine halluzinogene Musikstunde

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

Ich war sehr jung, als ich zum ersten Mal Steve Reich hörte. Ich hatte mich wohl im Radio verwählt, und landete in der Abteilung Ernster Musik, ein Begriff, der mir schon damals lächerlich vorkam. Ich hatte „All Day And All Of The Night“ gehört, Jahre zuvor, nachts auf der „Europawelle Saar“, und das war weitaus mehr als Ernste Musik, das war ein Song, der ein ganzes Schuljahr in den Schatten stellte. Wenn ich an den Musikunterricht im Max Planck-Gymnasium denke, zur Zeit des „summer of love“, musste ich micn durchquälen durch Notationen, hüftsteif dargebotenes Wissen, den „Freischütz“, und andere Überlieferungen, dargeboten in in einem knöchernen akademischen Duktus, von einem Lehrer, der bestimmt ein netter Mensch war, aber offensichtlich den Schuss nicht gehört hatte. Und plötzlich hörte ich „Drumming“. Und war hin und weg. Auf das Stück „It‘s Gonna Rain“, eine Art Perkussionsstück für die menschliche Stumme, und zugleich ein natürliches Halluzinogen, kam ich erst später, irgendwann Ende der Siebziger, durch ein Interview mir Brian Eno, das ich irgendwo eentdeckte. Er erzählte von den strukturellen Verwandtschaften von „It‘s Gonna Rain“ und „Music For Airports“. Die beiden Platten klingen so unglaublich  verschieden, aber sie leben beide, zu einem guten Teil, von der guten alten Tante Asynchronizität. Ich sage es flapsig, vermeide so den akademischen Duktus, und nehme einen Schluck aus meinem Weinbecher, gefüllt mit „Two Left Feet“, made in Australia.

 

„Ich könnte leicht mehrere Stunden lang nur über dieses Stück sprechen. ‚It’s Gonna Rain‘ habe ich wieder und wieder gehört mit meinem guten Freund Peter Schmidt, dem Maler, Ich hatte Peter während meines Studiums an der Kunsthochschule kennengelernt und er war ein sehr, sehr markanter und ungewöhnlicher Charakter. Er war ein deutscher Jude, der in den 30er Jahren nach England gekommen war, und er war ein sehr guter Pokerspieler, denn es war unmöglich zu wissen, was er dachte. Er war eine sehr undurchschaubare Person. Die meisten Leute fanden es sehr schwer, mit ihm zusammen zu sein, weil, wenn man etwas zu ihm sagte, er einen einfach nur ansah. Aber ich mochte ihn sehr, und wir verstanden uns sehr gut, und es stellte sich heraus, dass wir über viele ähnliche Dinge ähnlich dachten. Eines der Dinge, die wir taten, war, in seiner Wohnung in Stockwell herumzusitzen und neue Musik zu entdecken. Meistens war er es, der mir Sachen vorspielte, und eines Tages sagte er: „Hast du das schon gehört?“ und mein Leben veränderte sich innerhalb einer Viertelstunde.“ (Brian Eno, Teil 1)

 

 

He began to warn the people. He said: „After a while, It’s gonna rain after a while; for forty days and for forty nights“ it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain lose your mind & come to your senses it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain And the people didn’t believe him And they begin to laugh at him And they begin to mock him And they begin to say: „It ain’t gonna rain!“ It’s gonna rain It’s gonna rain It’s gonna rain It’s gonna rain It’s gon‘ It’s Rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain They didn’t believe it was gonna rain But glory to God Hallelujah! Bless God’s wonderful name this evening I said, this evening After a while, they didn’t believe it was gonna rain But sure enough, it began to rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain RAIN it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain its gonna rain RAIN  it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain (i hear drums) it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain RAIN Hallelujah! They began to knock upon the door But it was too late Hoo! The Bible tell me, They knocked upon the door until the skin came off their hands Whoo! My Lord! My Lord! I say, until the skin came… (hallucinations taking over) … it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain (high without drugs) it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain (where does this melody come from?) it‘s gonna rain bird calls bird calls it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain (semantic extinction) it‘s gonna rain (Trommeln) it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain the hum of the city it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain (i hear a melody) it‘s gonna rain horns horns horns it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it‘s gonna rain it’s gonna rain it‘s gonna rain rain it‘s gonna rain rain rain rain rain rain…the hum of the city… horns it‘s gonna rain rain rain rain rain

 

 

 

„Steve Reich hat das 1965 aufgenommen, das ist also 51 Jahre alt und verdammt noch mal, was haben wir ein halbes Jahrhundert lang gemacht? Das erste, was passiert, wenn man sich das anhört, ist, dass man durch das repetitive Element allmählich anfängt, den Fokus auf die Stücke zu verlieren, die sich ständig wiederholen. Man fängt an, die kleinen Unterschiede zu hören.

Es ist ein bisschen wie die Art, wie das Auge eines Frosches funktioniert. Es scannt nicht wie unseres, es bleibt auf eine Szene fixiert und sehr schnell werden die Stäbchen und Zapfen mit allem gesättigt, was sich nicht bewegt. Sobald sich also etwas bewegt, z. B. eine Fliege, ist das das Einzige, was der Frosch sieht. Ich denke, dass sich die Ohren ähnlich verhalten, wenn sie mit etwas stark Wiederholendem wie diesem konfrontiert werden. Die Ohren werden schnell gesättigt oder gewöhnen sich an das Gewöhnliche und fangen an, Details aufzuschnappen.

Ich erinnere mich, als ich „It’s Gonna Rain“ zum ersten Mal hörte, fing ich an, mich auf die Tauben zu konzentrieren, denn das war draußen auf der Straße, es war die Aufnahme eines Straßenpredigers, also kann man Autos und Hupen hören und dann fängt man an, diese Vögel zu hören, aber erst nach einer Weile, nachdem das andere Zeug aus dem Bewusstsein verschwunden ist. Das ist erstaunlich, denn das, was die Musik machte, war mein Gehirn, und das war das erste Mal, dass mir klar wurde, dass man als Komponist das Gehirn des Zuhörers mitbenutzen kann. Also plötzlich, wow, weitere 100 Prozent des soch öffnenden Universums!

Wenn du etwas in die Welt setzen kannst, das irgendwie unvollständig ist, und es dein Bewusstsein und die Fehler deines Wahrnehmungsapparates benötigt, um es tatsächlich zu etwas Besonderem  zu machen, nun, als mir das klar wurde, hat sich meine Vorstellung von dem, was Musik sein könnte, völlig verändert.

Die tatsächliche Menge des verwendeten Materials ist winzig, der Loop von „it’s gonna rain“ dauert nicht einmal eine Sekunde, und das ist das einzige Element, das in diesem Abschnitt verwendet wird. Man denkt, Mist, das ist Sparsamkeit, und ich habe den ökonomischen Einsatz von Mitteln immer gemocht.

Zu der Zeit, als ich das zum ersten Mal hörte, befanden wir uns in einer Zeit der maximalen Verwöhnung in der Popmusik. Sechzehnspurrekorder waren gerade aufgetaucht, und plötzlich packten viele Leute so viel Information darein, einfach nur,  weil man es konnte. Jedes Gewürz im Schrank. Plötzlich hörte ich das, und es war so krass und effektiv.

Die andere Sache daran ist, dass darin ein Mechanismus steckt, den ich später oft verwendet habe, etwa In Music for Airports,  nämlich die Idee, dass die Dinge nicht synchron zueinander laufen. Umendlich vieles in der Musik hatte bis dahin mit Synchronisation zu tun.  Was aber in diesem Stück passiert, ist, dass man den gleichen Zyklus bekommt, der aber so abläuft, dass die Zyklen  bei jeder Wiederholung in einer etwas anderen Position zueinander stehen. So entsteht automatisch Abwechslung, und das verwende ich bei vielen meiner Arbeiten. Das wurde zu meiner bevorzugten Technik, um sofort etwas Interessantes zu schaffen.“ (Brian Eno, Teil 2)

This entry was posted on Samstag, 30. Januar 2021 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

Sorry, the comment form is closed at this time.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz