Manafonistas

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2020 1 Sep

Fast unscheinbare Gesten

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | 2 Comments

„Die meiste Zeit weiß man im Grunde gar nicht, was die beiden voneinander halten. Sie tauschen bedeutsame Sätze über afrikanische Bestattungsriten aus, über Tod und Rachebedürfnis und andere Nichtigkeiten. Aber wie sie sich anschauen, das gehört zum Erotischsten, was das Kino zeigen kann. Selten hat man in letzter Zeit eine intensivere Liebesszene gesehen, als die, in der nicht mehr zu sehen ist, als wie sich Silvia nur für einen Moment an Tobins Schulter schmiegt.“ Das ist ein Zitat aus einer Filmbesprechung aus der taz, die vor etwa 16 Jahren erschien. Leider weiß ich den Autor/ die Autorin dieser Zeilen nicht, weil ich nur den letzten Abschnitt der Besprechung ausgeschnitten habe. Solche feinen Beobachtungen bringen mich dazu, einen Film sehen zu wollen. Die Dolmetscherin / The Interpreter lief vor vielen Jahren auf ARTE, und ich habe das damals noch auf VHS Videokassette aufgenommen. Visuell ein dramatischer Rückschritt und auch nur auf deutsch, aber gestern Abend wollte ich den Film unbedingt nochmal sehen. Es gibt noch dezentere Gesten zwischen der Dolmetscherin (Nicole Kidman) und dem Security-Man (Sean Penn) als diese Umarmung. Als der Sicherheitsbeamte kurz davor ist, die Wohnung der Dolmetscherin zu verlassen, erzählt er ihr in ein paar Sätzen, wie seine Frau zwei Wochen zuvor gestorben ist. Und wie reagiert die Dolmetscherin? Sie hört aufmerksam zu. An einer anderen Stelle geht sie im Gebäude der UNO eine breite Treppe herunter, sie sieht den Security-Mann unten stehen, lächelt. Dann erkennt sie seinen Blick und spürt, dass er keine guten Nachrichten hat. Ihr Gesichtsausdruck spiegelt die Veränderung ihrer Gedanken. Das läuft innerhalb von Bruchteilen von Sekunden ab und man kann so etwas schnell übersehen. Aber es sind genau diese wortlosen, fast unscheinbaren Gesten, die es nur in grandiosen Filmen gibt.

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ein spannender Film in meiner Erinnerung.

  2. Martina Weber:

    Absolut. Ich habe ihn gestern auf DVD bestellt, vor allem, weil ich ihn unbedingt im englischen Original sehen möchte. Ganz wunderbare Verflechtungen, und Magie, der Film beginnt ja mit einigen Szenen in der Wüste eines fiktiven afrikanischen Staates. Ich hatte vorher schon zum soundsovielten Mal „It Follows“ gesehen, um Abstand von Godard zu bekommen. Manche Filme von Godard wirken nur in ihrer Zeit und wirken, wenn ich sie jetzt zum ersten Mal sehe, exaltiert. Vor allem die Filmmusik in seinen Filmen ist kaum zu ertragen.

    In seinem wunderbaren Kinobuch „Warte, bis es dunkel wird“ bringt Michael Althen den Unterschied zwischen französischem Kino und Hollywood so auf den Punkt: „Das schaffen die Franzosen ja immer spielend: das Grundsätzliche ganz nebenbei zu erzählen, das Wesentliche ins Beiläufige zu verpacken. Und wenn man sich überlegen müsste, woraus sich das speist, dann wäre es dies: Selbstvertrauen. In Hollywood hieße das: Was wir erzählen, interessiert die ganze Welt. In Frankreich bedeutet das hingegen: Was wir erzählen, ist Welt genug.“


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