Bosch ist hier nicht Motor und kein Maler, sondern Polizist. Die sechste Staffel dieser Serie gleichen Namens kommt, wie alle vorher schon, recht still daher, zieht aber behutsam in die Tiefe. Eine Klasse für sich. Für einen Thriller mit recht wenig suspense und gerade deshalb angenehm – man bleibt doch gerne am Ball. Kaum Filmmusik, der Sound ist die Umgebung. Falls der Teufel das Detail liebt, wird er hier unzählige Augenblicke lang verweilen. Der zwischenmenschliche Beziehungsbereich, der Polizeiapparat, feine Charakterschilderungen, Intrigen: es geht um Mikrostrukturen, die ja im geduldigen Verlauf von Serienstaffeln viel genauer gezeichnet werden können als in Filmen. Überhaupt, dieses Los Angeles-Ambiente hat es in sich: eine Augenweide. Mir fiel zudem Aufmerksamkeits-technisch etwas auf: meistens nämlich finde ich dann eine Sache gut, wenn sie gleichzeitig das Interesse weckt und es ebenso befriedigt. Es entsteht dann dieses Zeitgefühl mit dem bereits erwähnten flow. Es ist auch das Wirken von Intelligenz von einer niedrigen in schnellere Drehzahl, wie ich einmal bei einem Sufi-Autor las. Man kennt das von der Fahrradschaltung mit den heute üblichen rund zwei Dutzend Gängen: ständig ist man am Schalten, denn es geht um den richtigen grip, im permanenten Wechsel. Ich wäre sogar in der Lage, in diesem Sinne eine Fernsehserie mit bestimmten Arten von Jazzmusik, der Akkordstruktur eines Steely Dan Songs, meiner Werkzeugkiste oder einem Fussballspiel in Zusammenhang zu bringen – doch ginge das hier zu weit. Bleiben wir in Bodenhaftung, so wie Bosch: von Natur aus nüchtern. Auch darin liegt ein Zauber. Einziger Nachteil solch televisionärer und komplett ideologiefreier Feinkost: man möchte permanent auf die Pausetaste drücken angesichts der dichten Dialoge und raffinierten Details. Dann aber wäre das Surren der Synapsen störend unterbrochen, in einem Hirn, das hier Erweiterung erfährt: auf eine Weise, die nicht jeden Handlungsstrang akkurat verfolgen muss, auch mal ins Randgeschehen sich verträumt. Mit dem Vertrauen, das Erkenntnis nicht nur rational geschieht, zuweilen sich auch unbewusst den Zugang sucht. Wann hört man schon in einem Krimi Leute über Art Pepper und Thelonius Monk reflektieren und sieht den undurchsichtigen Kartell-Schurken lesen in diesem bekannten Buch von Marcel Proust? Der Hund von Bosch heisst Coltrane, der spielt allerdings kein Saxofon. Das hätte wohl dem phantastischen Hieronymus sogar gefallen.
4 Comments
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Michael Engelbrecht:
Deep writing!!!
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Martina Weber:
Ich schließe mich begeistert an: Der Text ist grandios und highest class. Im Prinzip schreibst du mehr über dich als über die 6. Staffel von Bosch, die ich nicht kenne, und du verwebst Stoff und Betrachtung aufs allerfeinste, so dass ich beim Lesen immer wieder auf die Stopptaste zu drücken geneigt bin, um meinen eigenen Assoziationen nachzugehen.
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Michael Engelbrecht:
Little footnote: Mr. Siemer and me have been busy searching for the flow in recent years, and hopefully it will continue so. I just realized, after having been being sucked in by the bleak thrill of excellent Fauda, seasons 1,2,3, and the melodramatic, nevertheless excellent season 1 of Little Fires Everywhere, I‘m doing a series break, which might last one or two months, haha. Meanwhile I return to movies, and on Manafonistas one movie festival follows after the other. And a third festival, quite sensational, will be announced within the next days.
The German / Suisse Kampa Verlag recently published Late Show, Michael Connelly‘s great crime novel that introduced the terrific female detective Renée Ballard. So Bosch got a break. I loved reading it on Sylt, my only book there.
The follow-up is TWO KINDS OF TRUTHS, already released quite some time ago in America. It features both, Renée and Bosch. Ballard has a dog, too, but his name is not Mingus. And, not to spoil too much, it‘s a great, great dog.
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Lajla:
Ich arbeite noch an meiner Drehzahl ;)
Ich will irgendwann mal Heidegger‘s Sein und Zeit verstehen.