Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 15 Mai

Die Einsamkeit der Parkplätze

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 6 Comments

 
 

Am 28. April erlebte ich auf norddeutschen Strassen mein blaues Wunder. Mit einem alten Navi ohne Erkennung von Staus und Umleitungen fuhr ich nahe Husum im Kreis, und noch einmal im Kreis, die B5 war in Richtung Niebüll gesperrt, kein Taxi, kein Mensch, keine Tankstelle weit und breit. Ich war genervt. Schliesslich fuhr ich den längsten Umweg ever, zurück nach Hamburg, und dann auf der A7 wieder nordwärts in grossem Bogen, an Handewitt vorbei, bis zur Polizeikontrolle vor dem Sylt-Shuttle. Es sollte nicht die einzige Begegnung mit einer Ordnungsmacht an diesem Tag gewesen sein. Ich kam auf meiner Irrfahrt auch an Neustadt vorbei, der angeblichen Heimat der hier im Rahmen der grossen Mana-Krise aufgetauchten „doppelten Clara“, die damals recht tendenziös das dynamische Geschehen kommentierte. Mit ihr hätte ich gerne einen Kaffee getrunken. Woran man bei Irrfahrten immer so denkt. Schliesslich kam ich am Ort der Bestimmung an. Nichts dokumentiert die Einsamkeit einer Insel so sehr, wie ein verlassener Parkplatz vor der „Sansibar“. Das obige Bild entstand am 28. April um 18.26 Uhr. Kurz bevor ich drei Insulaner-Paare zum munteren Strandkorb-Gelage traf, unter Wahrung aller Sicherheitsauflagen. Das Foto meines köstlichen Züricher Kalbsgeschnetzelten lasse ich aus Gründen der Reduktion aufs Wesentliche unberücksichtigt. Mancher Zeitgenosse wird sich fragen, was ich denn hier mitzuteilen gedenke. Nun, ich hatte schon zu Schulzeiten einen Sinn für das Absurde Theater, und diese Anreise hatte einiges davon zu bieten. Und der Tag warf einen langen Schatten. Gestern bekam ich einen Anhörungsbogen aus dem Kreis Dithmarschen. Mir wird vorgeworfen, am 28. April um 12.42 Uhr nahe Hemme und Karolinenkroog auf der vermaledeitem B5 eine beträchtliche Verkehrsordnungswidrigkeit begangen zu haben. Ich soll die zulässige Höchstgeschwindigkeit ausserhalb geschlossener Ortschaften, abzgl. der Toleranz, um 30 km/h überschritten, und mit 130 km/h durch die Lande gebraust sein. Ich sah keinen Blitz, und wenn dies so war, dann weiss ich nur, dass dadurch weit und breit keine Gefahrensituation heraufbeschworen wurde. Es war der erste Tag des neuen Sündenkataloges. Ich werde mein Bussgeld zahlen und ein Fahrverbot für einen Monat erhalten. Ich werde den September wählen und meinen Führerschein zu gegebener Zeit per Einschreiben dem Ordnungsamt in Heide zukommen lassen. Vielleicht fahre ich dann mit meinem E-Bike vier Wochen durchs Weserbergland. Mit einem Sloterdijk, und dem jüngsten Handke im Gepäck. Auf den Schreck legte ich erst einmal die mir gerade zugegangene Kraftwerk 3D Blu Ray ein, und hörte „Autobahn“ im Sensurround. Mit den entsprechenden bewegten Bildern auf der Leinwand.

 

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6 Comments

  1. Martina Weber:

    Die App, die diese Bilder produziert, ist einfach fantastisch. Die Fotografien sind aber auch an sich vom Bildausschnitt her gut gewählt. Man könnte auf diese Weise wirklich eine Graphic Novel produzieren. Fehlt nur noch der Text :)

    Die Gewöhnung an Navis ist tückisch. Ich habe es lange abgelehnt, mit Navi Auto zu fahren – der geographischen Orientierung wegen. Es gab Zeiten, in denen man mit Autoatlas und handschriftlich notierter Reiseroute unterwegs war. Immer ein Abenteuer. Je älter der Autoatlas, um so spannender. Wir waren, vor zehn Jahren vielleicht (ich verliere auf dem zeitlichen Bereich schnell die Orientierung) unterwegs nach Rügen, mit einem Autoatlas aus den Achtziger Jahren, also aus der Zeit noch vor der Wende, und das auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Man musste manchmal schon ziemlich viel Fantasie aufbringen, um die richtige Richtung einzuschlagen. Auf dieser Strecke habe ich zum ersten Mal erlebt, dass die Tankanzeige rot blinkte, spätnachts, irgendwo in der Pampa in Mecklenburg-Vorpommern, ohne die leisteste Ahnung, wo die nächste Tankstelle sein könnte. Ich hatte dann vorgeschlagen, einfach bei einem Haus, bei dem das Licht noch brannte, zu klingeln und nachzufragen. Wäre im Auto ein Navi gewesen, hätte ich die Fahrt vergessen :)

  2. Michael Engelbrecht:

    Es war Absurdistan. Niemand auf den Strassen. Ein Ort wie eine nordfriesische ghost town. Eine altmodische Landkarte hätte mir den Riesenumweg erspart. Das Handy dann auch noch ohne Strom. Dann doch noch anzukommen, nach neun Stunden im Auto, und am Meer das gesellige Beidammensein mit den charmanten Fremden, war ein regelrechtes happy end. Und der Anfang von etwas Saugutem! Erzähl mal ne Story mit einem Finale mit Kalbsgeschnetzeltem in einem Restaurant, das bei manchnen noch den Ruf von Schicki Micki hat, denke an meinen Vornamen – das hat schon was … und an weniger gebrauchten Tagen ist mein schwarzer Koyote auch schneller als der ….

    Blitz 😂 …

  3. Marzellus:

    Hallo Martina, hallo Michael, danke für die schönen Texte und Bilder. Wie heißt die erwähnte App? Danke. Viele Grüße aus München, Marzellus

  4. Michael Engelbrecht:

    Clips heisst sie auf meinem iPad. Manchmal stellt sie ungefragt Reisebilderserien zusammen und fragt mich nach passender Musik, bietet Stimmungsmusik an. Die wird gecancelt. Den Syltfilm sah ich mal mit Bach, solo cello, mal mit Eno, from the legendary album Music for Films. Ich sprach heute mit der netten Frau von der Bussgeldstelle. Wir machten einen Deal, alles legal. Nicht dass ich hier meine Followers verliere 😂

  5. Marzellus:

    Guten Morgen und nochmals danke. Ich bin sehr angetan von der Stimmung dieser beiden Motive. Herzlich Marzellus

  6. Michael Engelbrecht:

    Um der Wahrheit die Ehre zu geben: im Gepäck wären wohl eher ein James Lee Burke und eine Louise Penny. Deren wundervolle Gamache-Romane werden im Kampa Verlag exzellent betreut und rausgebracht.

    Obwohl, in der zweiten Septemberhälfte erscheint bei Suhrkamp DEN HIMMEL ZUM SPRECHEN BRINGEN – ELEMENTE DER THEOPOESIE. Das könnte auch was für mich sein von Peter „Schlaufuchs“ Sloterdijk.


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