Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 11 Mai

Cabin Fever

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Tags:  | 14 Comments

Welche Filme spiegeln in Zeiten coronabedingter Ausgangsbeschränkungen den erzwungenen Rückzug, das Feststecken im engsten Familienkreis? Ich empfehle Shining von Stanley Kubrick, ein Film, der vor 40 Jahren in die Kinos kam und auf einem Roman von Steven King basiert, wobei sich Kubrick auch gleich die Rechte für Abweichungen hat übertragen lassen, was Steven King vielleicht bereut hat. An sich ist im Zuhause der kleinen Familie Platz genug: Jack Torrence, seine Frau Wendy und der kleine Sohn Denny bewohnen für ein paar Monate über den Winter allein das luxuriöse, riesige Overlook-Hotel, das weit abgelegen in den Rocky Mountains liegt. Jack (Jack Nicholson) hat hier einen Job als Hausmeister, sieht sich allerdings als Romanautor. Der Mann, die Frau und das Kind – jede Person ist auf ihre Weise isoliert, heftiger Schneefall kommt hinzu, und der Raum um sie herum wird immer enger, bis alle Verbindungen nach außen abgebrochen sind. Dass die erwachsenen Charaktere nach einiger Zeit am Rand ihrer Kräfte sind, hat auch mit Kubricks Perfektionsmus zu tun: Es gab Einstellungen mit mehr als hundert takes und Kubrick verhielt sich gegenüber Shelley Duvall, die die Ehefrau spielte, am Set bewusst abweisend, um die von ihm gewünschten Eigenschaften ihrer Figur hervorzurufen. Aber wird das, was man als Realität bezeichnet, vielleicht überschätzt? Etwas zu sehen, was andere nicht sehen können, ist das eine Gabe oder Krankheit und Fluch? Und wer sagt, dass die Zeit wie eine Linie immer weiter nach vorne verläuft? Wäre ein Zeitmodell denkbar als Flickenteppich, als Irrgarten oder als Loop? Auf eine feine Art sind in Shining verschiedene Motive miteinander verwoben, zum Beispiel das des Labyrinths, das erstmals eingeführt wird, als der Koch Wendy und Danny durch die riesige Hotelküche führt und Wendy sagt, der gesamte Raum sei so groß, dass sie eine Spur von Brotkrumen hinterlassen müsse. Hier blitzt die Erinnerung an das Märchen von Hänsel und Gretel auf. Bekannt wurde Shining auch dadurch, dass hier zum ersten Mal die Steadycam so richtig zum Einsatz kam. Die Steadycam ermöglicht schnelle Bewegungen mit der Handkamera ohne das Bild zu verwackeln. Kubrick konnte deren Erfinder Garret Brown als Kameramann gewinnen. Unvergesslich die flinken Fahrten des kleinen Danny auf dem Dreirad durch die Flure des Hotels, während die Kamera von hinten in Höhe seines Kopfes ihm folgt. Wir spüren, wo der Horror beginnt: im Blick. Der Mensch und sein Abbild, sein Spiegelbild, sein Schatten. Jonglieren mit den Ziffern Zwei und Drei. Auch Hänsel und Gretel tauchen nochmal auf, man muss nur auf die geflochtenen Zöpfe achten. Ein Schachspiel, ein Puzzlespiel. Ein Tennisball, gelb wie ein alter VW Käfer. All work and no play makes Jack a dull boy.  Drücken Sie mal auf die Still-Taste Ihrer Fernbedienung, die Anhaltetaste. Kubrick hatte in seinen frühen Erwachsenenjahren als Fotograf gearbeitet. Wie bei Michelangelo Antonionis Schwarzweißfilmen sind beliebige Bilder des Films gestaltet wie eine zeitlose Fotografie. Bruchstücke, Erinnerungen, Phasen einer Biographie sind immer noch irgendwo vorhanden. Das Imaginäre ist zuweilen so stark, dass es ins Geschehen eingreift und physisch sich auswirkt, die Grenzen einer Logik überwindet sich seine eigene Logik erschafft. Eine Erfahrung, die die Begrenzungen von Raum, Zeit, Vision und Identität überschreitet.

This entry was posted on Montag, 11. Mai 2020 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

14 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ein Klassiker, der Film. Im ZDF gab es einst, in der alten BRD, einen Filmkritiker, der abends zu guter Sendezeit einen neuen Kinofilm vorstellte. Und er schaffte es, eben auch über Filme, die Kassenschlager werden sollten wie der erste Indiana Jones-Film oder der erste Zurück In Die Zukunft-Film, Kluges zu erzählen. Ich weiss heute noch, wie er Shining und die besondere Kamera vorstellte.

    Seinen kleinen Präsentationen hörte ich so gerne zu wie ich Peter Buchka las, wenn er mal wieder einen neuen Wenders-Film vorstellte, nach denen ich richtig verrückt war, damals in den Siebzigern. Aber das ging Brian Eno in England genauso, wie ich weiss. Er entdeckte in dem langsamen Fluss der Bilder eine Parallele zu seinen Visionen von Zeitlupe.

  2. Uwe Meilchen:

    Vor ein zwei Jahren ist eine Fortsetzung zu „Shining“ von Stephen King erschienen, „Doctor Sleep“. Das Buch um den erwachsenen Danny ist sehr lesenswert – die Verfilmung mit Ewan McGregor habe ich leider noch nicht gesehen.

  3. Martina Weber:

    Ich habe meinen Text eben noch ergänzt. Tatsächlich habe ich „Shining“ erst vor etwa einer Woche zum ersten Mal gesehen. Ich habe eine 2-Disc Special Edition gekauft und war sehr begeistert vom Audiokommentar mit Garret Brown und dem Historiker John Baxter. Es war nicht nur die Steadycam, die diesen Film ihren besonderen Blick verlieh, sondern auch verschiedene Arten von Weitlinsen, mit denen es möglich war, mehr von der Umgebung ins Bild zu bekommen und die Perspektiven wurden verändert. Zum Beispiel wirkten durch die Weitlinse die Abgrenzungen im Labyrinth viel höher als sie es tasächlich waren.

    Wer war denn dieser Filmkritiker in der alten BRD?

    Kubrick hat den Horror, der bei Steven King im Hotel lag, in die Figuren verlegt. Eine Dekonstruktion der Familie, und das noch in der Nähe der Weihnachtszeit.

  4. Uwe Meilchen:

    Bei dem Filmkritiker würde ich auf Peter W. Jansen vermuten.

  5. Uwe Meilchen:

    Für BARRY LYNDON wurde eine spezielle Kameralinse entwickelt die Aufnahmen bei Kerzenlicht möglich machte !

  6. Michael Engelbrecht:

    Peter Jansen, genau. Solides Filmkritikerhandwerk. Ein alltagsbezogener Umgang mit der Filmkunst, kein Elfenbeinturmbewohner, so nahm ich ihn wahr.

  7. Olaf W:

    Empfehlenswert ist die Doku Room 237 über The Shining … zum Teil etwas weit hergeholt, trotzdem gut.

    Ich habe den Film irgendwann in den frühen 90ern in einem ausverkauften Programmkino gesehen, mehrere Leute fingen während der Aufführung an zu rauchen, gibt es heute auch nicht mehr.

  8. Michael Engelbrecht:

    Lesenwert, witzig:

    theguardian.com / the-shining-ive-never-seen-kubrick …

  9. ijb:

    An Room 237 habe ich auch gerade gedacht bzw. wollte ihn empfehlen. Der Film ist sehr gut, auch weil er verdeutlicht, wie viel (bei guten Filmemachern) in einem Film erstens zwischen den Zeilen also quasi unbewusst vermittelt wird und zweitens auch, wie viel man sich über die Bedeutung streiten und uneins sein kann, also das Rechthaben darüber, was Sinn (und Unsinn) des Films/ des Kunstwerks betrifft, streckenweise müßig ist. Nicht zuletzt deshalb halte ich es deshalb etwa bei Filmbesprechungen für angebrachter, erst einmal die objektiven Faktoren als Bemessungsgrundlage zu nehmen, um etwas einzukreisen…

    Gleichwohl – ich weiß jetzt nicht mehr genau, wie intensiv dieser Aspekt in Room 237 ausgeführt wird – ist schon beachtlich, wie sehr Kubricks Shining oft auf die Lesart als „Horrorfilm“ oder auch als „intellektueller Horrorfilm“ reduziert wird. Ich erinnere mich gut daran, wie damals zu Beginn meines Regiestudiums wir in einer der ersten Wochen bei einer international renommierten Kamerafrau/Filmemacherin auch einiges aus diesem Film besprachen, und es uns wie Schuppen von den Augen fiel, wie sehr der Film – eigentlich unübersehbar – die Gewalt in der US-amerikanischen Geschichte als Grundlage der „modernen Gesellschaft“ thematisiert – also auf wie vielen Ebenen es Kubrick (er war ja zu allererst ein intellektueller Filmemacher, der all diese Ebenen Jahre lang durchdachte und nichts Derartiges dem Zufall überließ) um die Ermordung der Ureinwohner („Indians“) ging, also eine geniale filmsprachliche Ebene einzog, die, soweit ich weiß, bei Stephen King gar nicht vorhanden war.

  10. ijb:

    Zu den Optiken in Barry Lyndon: Die Kameralinse hatte die NASA für Aufnahmen im Weltall entwickelt. Darauf basiert im Grunde die bis heute von den Scheibenweltlern vertretene Verschwörungstheorie, dass Kubrick die Mondlandung 1969 nur im Studio gefilmt hätte. Im Gegenzug soll ihm die NASA diese Technik entwickelt haben (oder irgendwie so).
    ––

    Sometime during 2001: A Space Odyssey, Kubrick developed an obsession for capturing a scene exclusively using candlelight. He was determined to achieve this on Napoleon and when that film fell through half the reason for pursuing Barry Lyndon was finally to actualize this experiment. Most considered the feat an impossible one at the time because there did not exist a lens fast [lichtstark] enough to catch an acceptable exposure with such low lighting.

    In their quest to photograph the dark side of the moon, NASA commissioned ten Planar 50mm f/0.7 still lenses from the German optical manufacturer Carl Zeiss AG. When Kubrick learned of their existence, he purchased three for himself as well as a Mitchell BNC camera.

    filmschoolrejects.com / barry-lyndon-cinematography …

  11. Uwe Meilchen:

    … und das Teppichmuster im Hotel, wo Danny fährt, ist doch auch ein Verweis auf die NASA … (So, schnell den Aluhut wieder absetzen) 😎

  12. Martina Weber:

    Das Overlook Hotel wurde auf einem ehemaligen indianischen Friedhof erbaut. Das gesamte Interieur des Hotels weist indianische Motive auf, die Teppichmuster, Schmuck an den Wänden. Den Verweis auf die NASA gibt es auf einem von Dannys Strickpullovern: Da ist eine Rakete drauf und der Schriftzug Apollo. Es gibt noch andere Hinweise auf die Gewalt in der US-amerikanischen Geschichte: Da ist der dunkelhäutige Koch, der von dem früheren Hausmeister (ich will jetzt den spoiler alert vermeiden und nicht zu viel verraten) als „Nigger“ bezeichnet wird. Außerdem und überraschend im diskrimierenden Charakter ein Satz von Wendy, als sie erstmals mit Danny Richtung Labyrinth eilt: „Loser gets to keep America clean.“

    Das Indianische und der Dunkelhäutige als Bedrohnung des weißen Mannes und seiner Familie. Wendy, sie sich mit einem klassisch US-amerikanischen Utensil gegen Jack wehrt: einem Baseballschläger.

    Mich hat der time travel space travel mind travel identity travel – Aspekt des Filmes am meisten berührt. Und dass ich über Tage hinweg immer wieder etwas Neues entdeckt habe.

  13. Rosato:

     
    ich habe keine Ahnung von Filmkunst
    ich kann nur sagen
    welche Filme oder Filmkünstler es mir angetan haben
     
     
    Fitzcarraldo
    .

    David Lynch
    .von Eraserhead bis wasweißich – ich habe mehrere Boxen

    Stanley Kubrick
    .von Dr. Strangelove bis wasweißich – ich habe mehrere Boxen
     
     
    Shining habe ich gesehen als er in DE erstmals lief. Das könnte Ende 1980 gewesen sein. Es ist einer der besten Horrorfilme, subtil und brutal. Mein Mädel hat damals das Kino verlassen, und zwar deutlich vor Ende der Vorstellung.

    Ja, die Kameraführung ist legendär, wie ich finde, schon gleich zu Beginn, wenn Jack Torrences Käfer zum Overlook Hotel krabbelt. Ich wüsste nicht, dass schon vorher eine derart lange Sequenz hoch aus den Lüften und knapp über dem Straßenbelag gedreht worden ist. Vom Hubschrauber aus? Heute sind solche Sachen mit der Drohne in den Lüften schon sowas von ausgelutscht – klar, das macht immer noch Effekt …
     
     
    Was ich an vielen Filmen Kubricks tief bewundere, ist die Filmmusik. Es ist schon wohltuend, dass Shining nicht mit Gedudel zugemüllt ist. Und das Besondere an der Musik vieler Filme Kubricks ist die Tatsache, dass er keine Filmmusik-Komponisten beschäftigt, sondern auf vorhandene Kompositionen zugreift, vorwiegend auf ‚Klassiker‘ der Klassischen Musik des 20. Jahrhunderts.
     
    In Shining sind es
    György Ligeti
    Krzysztof Penderecki (vor Kurzem verstorben)
    Bela Bartók
    – et alt.
     
    Für mich entfaltet Bartóks Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta besonders gruselige Wirkung. Ich habe geradezu den unbegründeten Verdacht, dass bei mancher Szene die Musik im Hintergrund eingespielt wurde und Jack Nicholson seine Mimik nach der Musik choreografierte.
    ODER
    Kubrick hat beim Schnitt penibel darauf geachtet, dass Bild und Musik sich verschränken. Der Spaziergang von Danny mit Mama Wendy im Labyrinth ist unterlegt mit der Musik Bartóks, die weitertönt während zurück geblendet wird in Jacks Schreibmaschinenhalle. Er drischt den Tennisball just in dem Moment auf den Fußboden, wenn die Musik einen heftigen Akzent setzt.

    Auch den Einsatz von Geräuschen finde ich bemerkenswert. Dannys Cartfahrten durch die Gänge führen über Teppiche und glatten Boden und entwickeln eine spezielle Klangatmosphäre. Wenn Jacks Triumph Adler Schreibmaschine erstmals in Totale ihren Auftritt hat, knallen brutale Schläge durch den Raum, die entlarvt werden als Prallgeräusche des Tennisballs, den Jack an die Hallenwand schleudert.
     
     
    NAMEN
     
    Jack Nicholson spielt Jack
    Danny Lloyd spielt Danny
    Shelley Duvall spielt – nein, NICHT Shelley, sondern Wendy

    Von Wendy Carlos sind die elektronischen Klänge des Anfangs, welche die Mittelalterliche Sequenz Dies Irae aus der Totenmesse zitieren – Hector Berlioz hat sie in seiner Symphonie fantastique ebenfalls verwendet. Wendy Carlos hat mehrmals mit Kubrick zusammengearbeitet, z.B. in A Clockwork Orange.

    Wendy Carlos ist als Walter Carlos geboren. 1972 unterzog er sich nach längerer Vorbereitung einer geschlechtsangleichenden Operation und änderte den Namen am Valentinstag 1979 offiziell in Wendy Carlos. (unter Verwendung der Worte von Wikipedia)

    Von Walter stammt das legendäre Album Switched On Bach (1968), dem noch weitere folgten, darunter The Well-Tempered Synthesizer und By Request – Alben, die vielleicht in Vergessenheit geraten sind, weil sie über Streaming Dienste nicht angeboten werden, weil sie fast nur antiquarisch verfügbar sind, weil 2018 das 50th Switched On Anniversary auf 360 kg Vinyl, BluRay, in Dolby Atmos Multichannel Abmischung und mit Hochglanz Farbdruck der Schaltpläne des Moog Synthesizers eben NICHT erschienen ist.

    Schade – ich hätte es gekauft
     
     
    DIES IRAE
     

  14. Michael Engelbrecht:

    360 kg Vinyl – das hätte ich auch gekauft 🤣☕️

    Und Atmos Surround. Mein lieber Herr Gesangsverein, dann wäre ja auch noch für den vollen Genuss, ein Lautsprecher an der Decke anzubringen, den man VOG nennt, „voice of god“.

    Ein bekannter Hollywoodfilmmusikkomponist war tief enttäuscht, als Kubrick seine bereits geschriebene und aufgenommene Musik für 2001 – Odyssee im Weltraum – ablehnte und stattdessen Ligeti und Co. einsetzte. Die Cd dieser „altmodischen Musik“, die gar nicht schlecht war, stellte ich mal nachts vor. Kubrick wollte keine klassischen Hollywoodfilmmusikassoziationen.


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz