Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2020 30 Apr

Der diskrete Umgang mit einem Sylter Soundarchiv

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 

Das ist eine besondere Qualität des neuen Albums von „Die Wilde Jagd“. Gemessene Gesänge und stakkato-ähnliche Stimmführung verleihen dem Gesang eine einzigartige rhythmische Qualität und unterstreichen die Tatsache, dass die Äußerungen des Menschen bei aller expressiven Bedeutung nur eine weitere Facette des Gesangs einer natürlichen Welt sind, in gewisser Weise ununterscheidbar von den Klängen von Zikaden, Eidechsen, Schlangen und Vögeln. 

(Hans Rollmann)

 

Heute traf ich Die Quelle. Eloquent, geschichtenreich, politisch hellwach, exzellente Menschenkenntnis. Analytisch und scharfsinnig. Der Name muss  Verschlusssache bleiben. Ich durfte auch keine Tonaufnahmen machen. X erzählte von den Veränderungen auf Sylt seit dem Shutdown. Menschliches und Allzumenschliches. Und vor allem, wie die Natur durchatmet. Die Quelle war etwas zögerlich, als es um ihre „Kraftorte“ der Insel ging. Faustregel: da, wo man mit dem Auto nicht gut hinkommt. Ich fragte auch nach „Jazznerds“ und Jukeboxen. Die Quelle kennt einen „Jazznerd“ auf der Insel, keine einzige Jukebox. Scheinbar war das weite Feld der Töne erschöpft, da kam X fast beiläufig auf ein geheimes Archiv vom Aussterben bedrohter Syltklänge zu sprechen. Ich sagte: „Lassen Sie mich das Archiv sichten, lassen Sie mich einiges davon in meiner Nachtsendung zu Gehör bringen – dann habe ich meinen Job erledigt.“ Ich sagte: „Please.“ Die Quelle sagte: „No way.“ Vom Aussterben bedrohte Tierarten, Geräusche des Inselalltags, die mit der Zeit verschwinden werden. Und anderes. Rares. Die Quelle hatte einen Namen für das Archiv: „The Dying Sounds of Sylt“. Und ich möge, wenn ich davon erzähle, es ins Bereich des Fiktiven rücken. Aber gerne doch. Und dann fuhr ich unter regenschwerem Himmel nach Klappholttal, stromerte durch die ausgestorbene Siedlung, die sonst aus allen Mauerritzen platzt, nahm mir den Strandkorb 802, und ein Bad im Meer. Kalt. Ich dachte, eine Stunde später, ich schlafe auf meinem Bett im „Rosenhaus“ ein, da hellte der Himmel auf. Ich fuhr zur Sansibar, und sass als einziger Gast in der ersten Reihe, mit Strandkorb, strahlender Sonne, wilden Dünen, sowie Wiener Schnitzel und einem erstklassigen Weissburgunder namens „Teufelskopf“ (die Flasche für lausige sieben Euro). Ich sass zwei Stunden da. Ich hörte keine Stimmen, nur das laute Meer. Die Vögel. 

 

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