Manafonistas

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2020 27 Feb

Ernest Hoods Nachbarschaft im alten Amerika

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

 

„This is not a social record in the sense that it be played at a gathering. Indeed, it is a rather personal thing to be reflected upon (as musical cinematography) alone, or with a dear close friend.“

 

So sah es Ernest Hood, wenn er an sein 1975 erschienenes Album „Neighborhoods“ dachte, das er damals privat pressen liess, und das nur einen kleinen Hörerkreis fand – viele Menschen kannten ihn eher von Flora Purims Album „Butterfly Dreams“.

 

Wer sich heute auf diese feinsinnig angereicherten „field recordings“ aus einem lang vergangenen Portland, Oregon, einlässt, landet leicht in der eigenen Kindheit, und meistens ist es dann egal, an welchem Ort, in welcher Zeit man selber Kind war, once upon a time...

 

Keine Frage, leichter fällt es, wenn es keine von Krieg und Horror heimgesuchten Jahre waren – auch die sogenannte „behütete Kindheit“ hielten ihre Kümmernisse und Melancholien bereit. Aber eben auch all diese speziellen Zutaten und Stimmen und Geräusche und Schimmer.

 

Und schier endlose Sommerabende.

 

Eine Collage mit Tiefenwirkung. Was Hood damals in seiner Heimat aufzeichnete, besitzt universelle Züge. Und erreichte nun doch, mit der Wiederveröffentlichung auf dem geschätzten Label „FreedomToSpend“ (als CD, DL, oder auf vier Schallplattenseiten verteilt), und viele Jahre nach seinem Tod, eine etwas grössere Hörerschaft.

 

„It is a social record in that it reminds us of the fact that most of us made our first social contacts and early transactions in our neighborhood streets How familiar, how indelible the pictures are: aromas of soft velvet days. strong friendships, fears. hates. loves … our first brush with such mystical elements as sex and power.“

 

1923 kam der kleine Ernest zur Welt, bespielte in der Jugend schon Tanzclubs. Und es kamen Jazzbands dazu. Er erkrankte schwer während einer Polio-Epidemie in den frühen Fünfziger Jahren, lag ein Jahr im Krankenhaus, war an Krücken und Rollstuhl gefesselt. Er wechselte zur Zither, und wer will, kann ihn auf frühen Alben von George Duke oder Stanley Clarke hören, oder eben bei Flora Purim.

 

Als die Krankheit sein Leben veränderte, begann er mit den Sichtungen all der akustischen Aufzeichnungen seiner jungen Jahre. Hier, beim Hören, beim Lauschen, beim Eintauchen, macht sich schwebend und leicht eine stille, in sich gekehrte Euphorie breit.

 

Ernest Hood sprach von „Audiopostkarten“, wenn er Stücke daraus spielte, in seiner kleinen Sendung in einer lokalen Radiostation. Da spielte er auch die „fusion music“ der Siebziger Jahre, gern die romantischeren Varianten. Er legte auch Songs auf von Randy Newman, aus abgründigen, scharfzüngigen, wundertraurigen Platten wie „Good Old Boys“ oder „Little Criminals“.

 

Immer wieder schwankte der Blickwinkel in seinen Shows zwischen Aufbruch, Vision, und Erinnerung. Er liebte es einfach, jene Momente zu sammeln, die Kindheit ausmachen, bevor sie zuende geht. Eine Kindheit kann plötzlich ausklingen, mit einem grossen Knall, oder sie verschwindet fast unmerklich.

 

Er konnte ein Lied davon singen.

 

Es hat etwas Tröstendes, mit diesem Album einen Schlüssel an die Hand zu bekommen, alte Räume neu zu öffnen. Nennen wir „Neighborhoods“ einfach eine gelungene Trance-Induktion, die mit jeder Wiederholung an Tiefe gewinnt.

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