Als ich Samuel Rohrer nach dem Titel fragte, hatte ich eine Ahnung, was er antworten würde, aber meine Ahnung irrte sich. Er entnahm den Titel einem Buch des Philosophen Ken Wilber, der unter „continual decentering“ ein Muster versteht, welches die Entwicklung eines Menschenlebens widerspiegelt.
„A Brief History Of Everything“ heisst das Buch, auf das sich Rohrer bezieht, der Titel der deutschen Übersetzung, „Eine kurze Geschichte des Kosmos“ sei nicht so gelungen, verrät mir einer, der sich bei diesem Bewusstseinsforscher und Philosophen gut auskennt.
Nachdem ich das beeindruckend nonchalante Album für Schlagwerk und Elektronik mehrfach gehört habe, halte ich meine Ahnung von dem, was der Ausdruck „kontinuierliches Dezentrieren“ im Zusammenhang des Hörens in mir auslöst, immer noch für schlüssig.
Der Schweizer hat dieses Werk solo eingespielt, und dabei in einem Sound-Szenario gearbeitet, in dem die kleinsten Perkussionsimpulse Trigger sein können für elektronische wie räumliche Ausdehnungen.
Was da in einem überwiegend improvisierten Werk entsteht, ist ein immenser Resonanzraum, in dem der Trommler im klassischen Sinn nicht Mittelpunkt eines Kraftfeldes ist, sondern mehr und mehr hinter den sich bildenden Klanggestalten zurücktritt, als könnte er, in aller Gelassenheit der Entwicklung von Soundfiguren folgen, und spontan auf sie reagieren.
Das kann man ja nun auch als „fortschreitendes Verschwinden aus dem Zentrum“ verstehen. Vielleicht ist ja dieses Entfernen vom Ich, hin zu einem anderen Selbstverständnis, einer ich-befreiten Zone, einem zweiten Weg um das Gehirn herum (less control, more surrender), nicht so weit weg von Ken Wilber.
Und dabei ereignet sich die Musik in maximaler Transparenz, und wirkt, allen Effekten zum Trotz, seltsam effektfern. Nicht so häufig kommt auf dem Solowerk eines Perkussionisten, eines Spezialisten also für „Erschütterungen“, Vibrationen, und Zeiteinteilungen, dermassen viel Ruhe und Stille ins Spiel.
All dieses De-Zentrieren wirkt im übrigen, die nächste Paradoxie, verblüffend konzentriert.