Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

Guter alter Bekannter in meinem Plattenschrank. Keith Jarrett und seine Solokonzerte. Auf der Online-Plattform der „Zeit“ begeistert sich Herr Köchl so sehr, dass er sich kaum noch einkriegt. Am Köln Concert lässt er nicht viel Gutes. Und dann leistet er sich den küchenpsychologischen Leichtsinnsfehler No. 1 – dass die  Musik eines Improvisators immerzu und zuvorderst aktuelle Seelenzustände spiegeln würde. Uuuaaaaa! Nur weil Jarrett einmal in London sein Herz ausschüttete in den „liner notes“. Ich kann in La Fenice nichts entdecken, was mich vom Stuhl haut. Nach seinem „Chronic Fatigue Syndrome“ sind seine Soloauftritte nicht mehr endlos ins Offene treibend, vielmehr fokussierter.

Dennoch: ich erkenne, oder spüre die Muster, und niemand möge mir erzählen, es gäbe da, after all these years, keine Routine „im Schöpfen“ aus jenem Pool, in dem sich jahrzehntelange Erfahrungen, enormes Wissen und Können, Eingebungen des Augenblicks, das grosse weite Unterbewusste – und eben auch akute seelische Empfindsamkeiten versammelt haben. Ich mochte Keith Jarretts Solokunst weitaus mehr, als sie reines Abenteuer waren, in den Siebzigern, auch noch in den Achtzigern, bis hin zu den famosen italienischen Konzerten, versammelt in der kleine Kiste A Multitude of Angels. „Torino, Part 1“ (1996) ist eine weitere Stern(dreiviertel)stunde, in jenen Tagen wäre ich seiner Reiseroute durch Italien gern gefolgt. Natürlich gab es damals, in den frühen Zeiten, jenen „days of wine and roses“, Schwankungen, Tage ohne Feuer, keine Frage.

 
 
 

 
 
 

Aber nach wie vor kehre ich, immer wieder mal, über die Jahre, zurück, voller Entdeckungsfreude, zu den famosen Aufnahmen aus Köln, Bregenz, Wien, Bremen, Lausanne, und zu der Schallplattenkiste mit den „Sun Bear Concerts“. Jenen zehn Schallplattenseiten zu folgen, hatte damals auf mich eine ähnlich berauschende Wirkung, wie etliche Jahre vorher, in Jules Verne’s Reise zum Mittelpunkt der Erde zu versinken (und ich meine nicht all die niedlichen Verfilmungen des Stoffes). Ja, und als Manfred Eicher und Keith Jarrett einmal in Paris waren, entdeckten sie einen Flügel, einen Raum – und nahmen das fantastische Doppelalbum Staircase auf (es ging auch damals schon fokussiert, man denke nur an sein erste Soloalbum Facing You). Aber La Fenice zündet nicht, nichts transportiert mich irgendwohin, ausser zu meinen Erinnerungen. Es gefällt mir einfach nur, und wenn ich für „Down Beat“ eine Rezension verfassen würde, kämen drei Sterne zusammen. Da kann Herr Köchl (da können sie alle) erzählen, was er will (sie wollen). Und um es noch einmal ganz ausdrücklich zu sagen: ich liebe das Köln Concert.

This entry was posted on Montag, 22. Oktober 2018 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

3 Comments

  1. Hans-Dieter Klinger:

    Ich habe La Fenice erst flüchtig gehört über Qobuz. Das reicht nur für eine ebenso flüchtige Einlassung – vorerst …

    Ich hätte es nicht so schreiben können, nicht mit dieser M-E-Feder. Aber unterschreiben kann ich es federleicht.

  2. Olaf:

    Das hört sich für mich sehr schlüssig an, ich werde mich dann erst einmal weiter in die Sun Bear Concerts vertiefen und – vor allem – mein Geld in andere der zahlreichen Veröffentlichungen dieses Herbstes investieren …

    … oder mehr Boards of Canada LPs kaufen.

  3. Jan:

    Ohne bislang mehr als ein paar Ausschnitte aus La Fenice gehört zu haben — die Platte ist in den USA noch nicht erschienen — scheint mir die Angelegenheit streckenweise doch ein wenig zerfahren zu sein. Keith Jarrett ist nun einmal der ECM-Solitär, der mit Sicherheit so manchen Brahem oder Torn querfinanziert, und dass die Archivausgrabungen seit einiger Zeit angekündigt werden, als sei der Erlöser vom Kreuz gestiegen, muss man da wohl hinnehmen. Auf den früheren Einspielungen kamen mir seine Improvisationen abenteuerlustiger und gleichzeitig etwas kompakter, konzentrierter vor. Vielleicht auch eine Altersfrage. Ein Ausnahmekünstler bleibt er aber nach wie vor.

    Ich für meinen Teil stelle fest, dass ich doch immer wieder auf Bremen/Lausanne und auf Köln zurückkomme. Wobei mir am Köln Concert gerade auch der Klang des Bösendorfer gefällt. Das Instrument klingt gläserner als der sonst übliche Steinway, und ich habe den Eindruck, dass dieser transparentere Sound Jarrett zu einer anderen Spielweise anregt.


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