Manafonistas

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2018 1 Okt

Aus den 1970er Jahren (4)

von: Manafonistas Filed under: Blog | TB | 5 Comments

 

EINSAMKEIT EINES ALTERNDEN STONES-FANS
 
 
Er latscht in den Diskshop und gleich

auf die Platte los, die er will, die neuen Stones.

Um ihn rum, Kopfhörer um die Ohren,

die 10 oder 15 Jahre jüngeren Typen,

die längst was anderes hören.

 

Die reglosen Gesichter

regen ihn auf,

diese Einsamkeit unter den Kopfhörern!

Er nimmt die Platte und

fühlt sich nicht sehr einsam.

Er weiß nur, er überschaut

den Plattenmarkt nicht mehr –

Diplom-Physiker, da habe ich andre Sorgen –

und weiß nicht, was ihn noch verbindet,

mit der, sagt er ironisch, nächsten Generation,

höchstens eine Demonstration, ein Joint,

etwas von dieser Mode.

 

Er sieht das Cover an:

gefällt mir eigentlich gar nicht, den Mick

solltest du wirklich langsam abschreiben,

aber sein Sound, den hat keiner mehr erreicht.

Und Mick sagts selber: Du wirst

irgendwann zu deiner eignen Parodie.

Dieser Satz geht ihm durch den Kopf,

während der vier Schritte zur Kasse, irgendwann

wirst du zu deiner eignen Parodie.

 

Erinnerungen kommen hoch:

die Stones im Hyde-Park damals,

da war ich mittendrin, da hat sich was

bewegt mit uns. Jetzt

fühlt er sich beobachtet. Jetzt

fühlt er sich überlegen: die hängen hier rum,

bei dieser immer schlechteren Musik,

leiden vielleicht an ihren Trips oder

an Langeweile, aber ich,

und er zahlt, steckt den Bon ein,

was hab ich alles mitgemacht

und weiß jetzt, was zu tun ist, ich!

So ein Gedanke, er sieht sich nochmal um,

ist das nun die berühmte Erfahrung des Alterns?

 

Und geht aus dem Laden

und geht zum Arzt, die Rückenschmerzen,

und abends die neue Platte mit

neuen Enttäuschungen, die

Vergangenheit ist Vergangenheit –

und nicht vorbei.

 

F. C. Delius

 

This entry was posted on Montag, 1. Oktober 2018 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

5 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Ich kann nicht sagen, dass mir das lyrische Ich besonders sympathisch ist. Aber das Gedicht finde ich spannend, u.a. in der Art, wie sich depressive Verstimmung und Ernüchterung ausbreiten, und das in einem Jahrzehnt, in dem die aufregendste Musik des 20. Jahrhunderts auf den Markt gebracht wurde.

    Ich hoffe, das lyrische Ich hat früh die Kurve zu Brian Eno bekommen🤣😂😅, aber ich bezweifle es …

  2. Michael Engelbrecht:

    Und welche Platte er da wohl in den Händen hält. Wenn man weiss, in welchem Jahr der 1970er Delius dies schrieb, kann man einige ausschliessen …

    Das Gedicht erschien 1975 im Rotbuch-Verlag, in dem Büchlein EIN BANKIER AUF DER FLUCHT. GEDICHTE UND REISEBILDER.

  3. Lajla:

    „Wir sind jung und das war schön …“ (E. Jandl)

  4. Jochen:

    „Forever Young“

  5. Uli Koch:

    Heute gelesen, wird der Protagonist schnell zur Parodie seines Schattens, einer Mumie, die sich wundert, warum die Jüngeren noch leben. Wobei man sich bei Charlie Watts gerne auch die umgekehrte Frage stellen darf …

    Das beste dabei ist aber die faltenreiche Sentimentalität, die Delius ja schon früh betroffen haben muss. Alt werden ist nichts für Feiglinge und wenn die Tür zu Neuem sich geschlossen hat, wird aus der schönsten Herzstromkurve eine Gerade ____________________ .


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