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2018 9 Sep

Manhattan Transfer: The Junction

von: Jan Reetze Filed under: Blog | TB | 5 Comments

 

 
 
 
„The Junction“ — das ist natürlich ein freundliches Kopfnicken in Richtung ihres Signature-Klassikers „Tuxedo Junction“. Und in der Tat spielen die vier in dem Stück mit Samples ihrer selbst. Das tun sie allerdings auch schon im Eingangsstück, wie bereits der Titel verrät: „Cantaloop (Flip Out)“ — sozusagen die Coverversion einer Coverversion, denn natürlich ist das eine vokalisierte Version des 1993er Sample-Raps „Cantaloop (Flip Fantasia)“ von Us3, das wiederum auf Herbie Hancocks „Cantaloupe Island“ zurückgeht. Manhattan Transfer liebt dieses Spiel. Nicht von ungefähr hat ihnen ihr Album Vocalese seinerzeit nicht weniger als zwölf Grammy-Nominierungen eingebracht.

Manhattan Transfer gibt es, wenn man die allererste, schnell wieder aufgelöste Besetzung mal vergisst, seit 1972. Seit dem Chick Corea Songbook von 2009 gab es nichts Neues mehr zu hören, und nach dem Tod ihres Gründers und Masterminds Tim Hauser im Jahre 2014 hätte ich nicht mehr damit gerechnet, dass überhaupt noch etwas käme, zumal die verbliebenen Mitglieder das offizielle Rentenalter auch bereits überschritten haben. Aber weit gefehlt: Janis Siegel, Cheryl Bentyne und Alan Paul haben weitergemacht, und sie sind nicht den bequemen Weg gegangen, eine Stimme zu suchen, die „so ähnlich“ wie Hausers klingt, sondern haben sich mit Trist Curless einen Sänger geholt, dessen Stimme den vertrauten Ensembleklang hörbar verändert. „The Junction“ ist sein Einstieg; das Stück ist von ihm geschrieben und arrangiert. Gleichzeitig sprengen die vier ihren gewohnten (und nach wie vor laserscharfen) Harmonie-Quartettklang verstärkt in Einzelleistungen auf. Der Produzent des Albums, Mervyn Warren, verstärkt dies noch mit gelegentlich harten Beats und indem er die Stimmen durch modernste Studiotechnik jagt — manchmal mit ein bisschen zuviel Autotune, das für meinen Geschmack hier völlig überflüssig ist.

Auf The Junction wechseln sich Coverversionen und Eigenkompositionen ab. Besonders hervorzuheben das spukige „Blues for Harry Bosch“, von Cheryl Bentyne geschrieben und leadgesungen, und eine Coverversion von „The Man Who Sailed Around His Soul“, im Original von XTC, bei dem die Transfers einen Backgroundchor singen, der fast mikrotonale Züge trägt. Aber auch Klassiker wie „Tequila/The Way of Booze“ (Alan Paul hat genau die richtige Stimme dafür) oder „Ugly Man“ (im Original von Rickie Lee Jones) mischen sich wunderbar mit dem Bossa-Nova-orientierten „Sometimes I Do“ und dem brettharten „Shake Ya Boogie“ (Janis Siegel singt), das die Band, wenn ich nicht ganz irre, schon seit einiger Zeit im Live-Repertoire hatte, das aber jetzt erstmals auf Platte auftaucht — und nicht umsonst als „Galactic Vocal Version“ bezeichnet ist.

Ich weiß ja nicht, was dieses Jahr noch kommt, aber ich würde mich nicht wundern, wenn The Junction im Dezember unter meinen Alben des Jahres auftauchen würde. Möglicherweise sogar ziemlich weit oben.

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5 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    This is interesting: reading Jan‘s inspired and smart review of a new Manhattan Transfer album – and at the same time knowing it has never been „my band“. When I think of the group, this is what comes to mind: „virtuoso“ singing, sometimes tricky arrangements, easy on the ears, good entertainment, clean and crisp sound. The music did never touch me on a deeper level. Is it all show tunes, and simple pleasure?

    To make this a bit clearer: having the choice between Steely Dan and Neil Young, well, Mr. Fagen and Mr. Becker would have to leave the room. I‘ve often had problems with a strong „retro appeal“ wrapped in a perfect and clean sound. In the case of Steely Dan their quite subversive lyrics are part of the game that keep the thrill factor high (along with irony, sarcasm etc.).

    But in regards to Manhattan Transfer: is there anything more beneath the surface than a nice evening at the Broadway. Sometimes a theme record (Brasil, Swing), sometimes a clever mix of styles, and always striving for good vibrations. A total lack of darkness.

    If I think of a perfect set and setting for Manhattan Transfer, it would look like this: some marihuana, or a full glass of red wine, candlelight, evening time, and their best sounding album on vinyl. It is not so challenging to switch on my sentimental nerve (and then, feel totally absorbed by their performance in my living room.)

    So, maybe this is the point: to hear a group of people havng big fun delivering life-affirming versions of good old tunes. When it is all about JOY, my scepticism seems a bit high-brow and brainy, doesn‘t it?

    So, this makes me really think hard now.

    By the way, what is their best sounding album for a good sound system?😏

  2. Jan:

    Ich sehe da gar keinen Gegensatz. Neil Young ist gut, Steely Dan ist gut. Bitte einfach nur alles zu seiner Zeit.

    Was die Virtuosität (ohne Anführungszeichen) betrifft: Da muss ich an den sogenannten „ehrlichen Musiker“ denken, der zwar die Töne nicht trifft, aber eben eine „ehrliche Haut“ ist — kein Problem damit, ich liebe z.B. das Sir Douglas Quintet. Aber der Umkehrschluss gilt nicht. Künstler werden doch nicht unglaubwürdig, wenn sie ihr Handwerk perfekt beherrschen.

    Ich halte die Manhattan Transfer übrigens über große Strecken keineswegs für „easy listening“, entspannend, leicht, oder „just Broadway“. Das war vielleicht mal die ursprüngliche Idee (obwohl ich sie in den Spätsiebzigern im Hamburger Audimax mal live mit Peter Herbolzheimers RC&B gesehen habe, und das war alles andere als softer 30er Jahre-Swing), es sind auch keineswegs alle ihre Platten auf gleich hohem Level, aber stehengeblieben sind sie nie. Scheiben wie „Vocalese“ nebenbei zu hören, halte ich nicht lange aus. Nichts gegen den Wein dazu, aber man muss ihnen schon volle Aufmerksamkeit widmen, um mitzubekommen, was da passiert. Das gilt auch für diese neue.

  3. Jan Reetze:

    Ach so, klanglich würde ich vielleicht “Vibrate” empfehlen — die gibt es sogar in einer Surround-Version.

  4. Michael Engelbrecht:

    Yep. Es ist halt die Frage, was begeistert, was befeuert. Und wieso. Und wann. Alles zu seiner Zeit, kann ich gut nachvollziehen. Da ich mich nie mehr als oberflächlich auf sie eingelassen habe, werde ich demnächst mal eine deep listening Session machen:)

    A propos deep: einen der Klassiker der sog. Easy Listening Jazz Abteilung schätze ich sehr: Grover Washington Jr.s „Winelight“. Als SACD zum Beispiel.

  5. Rosato:

     
    Heute habe ich das Album angehört. Lieferant: Qobuz. Ich kenne die Gruppe, ist ja eine Berühmtheit. In meiner CD-/LP-Sammlung ist kein Album von Manhattan Transfer vertreten. Wahrscheinlich hatte ich mal auf Compact Cassette ein paar Songs dieses Quartetts, wohl ihre Version von Joe Zawinuls Birdland. Das singen sie schon hinreißend, ohne sich weit weg vom Original zu entfernen.

    Michas Review stimme ich im Prinzip zu. Solche Musik habe ich vor Jahrzehnten als Yuppie Pop bezeichnet, TOTO habe ich ebenfalls dieses Attribut verliehen – elegant herausgeputzte Musik, einige Stücke habe ich gerne gehört.
     
     
    Die Stimme ist das faszinierendste menschliche Instrument. Es ist auch das empfindlichste. When I was so much younger than today habe ich in München in halbprofessionellen Chören gesungen. Aber schon in den 80er Jahren ist meine Singstimme kaputt gegangen. Schade, ich würde heute noch gerne Monteverdi-Madrigale, Bachs Motetten & Passionen im Chor mitsingen …

    Ich mag Bobby McFerrins Solo-Stimmakrobatik aus seinen Anfängen, z.B. diesen Auftritt aus dem Jahr 1988 vom Jazzgipfel in Stuttgart.
    Ich mag The King’s Singers, deren Repertoire von der Renaissance bis in die Avantgarde des 20. Jahrhunderts reicht und schöne Versionen von Popsongs enthält.
    Ich mag die niederländische Gruppe MONTEZUMA’S REVENGE, die ich in den 90er Jahren zu München im Lustspielhaus live genießen konnte, hier bitteschön:
     
     
    You can leave your hat on
     
     


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