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2018 1 Sep

KING CRIMSON @ PHILHARMONIE – a review by M.E.

von: Hans-Dieter Klinger Filed under: Blog | TB | 15 Comments

 
King Crimson und die Reduktion auf das Wesentliche
 

Vorgestern war ich im Konzert von King Crimson in München. Wer die Band nicht kennt: sie sind eine Art „Grateful Dead“ der Prog-Rock-Szene – seit nun gut 50 Jahren schart die inzwischen 72-jährige Gitarrenlegende Robert Fripp […] immer wieder neue und stets sehr gute Musiker um sich, um die Band (in der er ursprünglich auch „nur“ Gitarrist und ein Bandmitglied von vielen war) als „King Crimson“-Projekt am Leben zu halten.

„King Crimson“ spielte 2x in der Philharmonie im Gasteig und konnte den Saal beide Male problemlos bis auf die letzten Plätze mit Zuschauern füllen. […] Die Zuschauer waren durchaus auch ergraut, aber nicht ergrauter als das typische Klassikpublikum (und meistens wesentlich jünger als zumindest Robert Fripp). Auch junge Zuschauer waren zu sehen, und zwar deutlich mehr als bei einem typischen Klavierabend im Herkulessaal, bei dem die einzigen jungen Menschen Klavierstudenten sind.

Warum das so bemerkenswert ist, dass ich darüber erzähle? Hierzu muss man die Musik von „King Crimson“ ein wenig kennen. Es handelt sich hier um eine besonders experimentierfreudige Band im Genre des sogenannten „Progressive Rock“, das seit einigen Jahren eine bemerkenswerte Renaissance erlebt. „King Crimson“ waren hierbei schon in den 70er Jahren Vorreiterband, die schon sehr früh verschiedenste Einflüsse amalgamierte und in ihrer experimentierfreudigsten Phase sogar fast eine Art Free Jazz mit Heavy Metal-Elementen spielte und selbst bei quasi „rockigeren“ Titeln wie „21st Century Schizoid Man“ nie vor komplexen Rhythmusstrukturen und dissonanten Riffs zurückschreckte. Man kann sich kaum eine Band vorstellen, die weiter von dem entfernt ist, was man allgemein als „Mainstream“ bezeichnet.

Das Konzert in München begann mit dem Stück „Lark’s Tongue in Aspic“ und bestand aus einer Mischung älterer und neuerer Stücke. Keinerlei Bühnenshow, die Musiker stehen/sitzen einfach nur da und spielen, einzig und allein beim letzten Stück des Abends färbt sich das Licht Rot, das war’s. Keine Ansagen, kein Herumalbern mit dem Publikum, es geht nur um die Musik (die es lautstärke- wie energiemäßig in sich hat, mit einer komplexen Rhythmusgruppe aus drei Drumsets, die fast ständig verschachtelte Rhythmen spielen). Tausende Menschen lauschen musikalisch durchweg anspruchsvoller Musik, applaudieren wild, sind treue Fans.

Was funktioniert hier, was bei „Neuer Musik“ oft nicht funktioniert? Geschenkt – „King Crimson“ nehmen den Vorteil mit, als Band eine lange Geschichte zu haben, das zieht treue Fans an, die die Stücke aus zahlreichen Einspielungen fast auswendig kennen. Aber dennoch waren sie nie „kommerziell“, haben sich in ihrer langen Bandgeschichte komplett zunehmend unabhängig von den üblichen Popmusik-Kompromissen und Deals mit „Major Labels“ gemacht und füllen dennoch als äußerlich unscheinbare Männer fortgeschrittenen Alters die Säle. Sie sind genauso „klassische Musik“ des 20. Jahrhunderts wie die sogenannte „Neue Musik“.

Das typische Klassik-Publikum kennt viele Klischees, warum die Neue Musik „böse“ ist, u.a. weil sie angeblich keinen Hörgewohnheiten entspricht und zu „atonal“ ist. „King Crimson“ beweist spielend, dass das alles Bullshit ist: über lange Strecken sind sie ebenfalls „atonal“, Fripp hat z.B. Vorlieben für dissonante Riffs die sich in komplexen Taktwechseln entgegen der „Hörgewohnheit“ unendlich transponieren, das ist weder traditionell noch eingängig, dennoch schütteln Tausende Menschen beim Konzert begeistert die Köpfe im (meistens 5/8 oder 7/8) Takt.

Man muss ab und zu mal solche Konzerte besuchen um zu begreifen, dass es manchmal einfach nicht mehr braucht, als konsequente Musik und gute Musiker, um ein gutes Konzerterlebnis zu vermitteln. Wo sich die meisten E-Komponisten heutzutage in Konzepte flüchten, in denen das eigentliche Musikerlebnis, ja das Gehörte an sich immer weniger eine Rolle spielt, […] wird bei „King Crimson“ einfach nur (gut) gespielt, und es überzeugt. Auch das kann gehen, und das ist auch gut so.

In der Reduktion auf das Wesentliche liegt (vielleicht) auch eine Chance für das, was in den nächsten Jahrzehnten „Neue Musik“ sein wird.

 
Moritz Eggert, 18. Juli 2018
 
 
Das Original der Rezension ist hier zu Hause

 

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15 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Zweimal erlebte ich King Crimson live:

    1982 bei einem grossen Festbal in Nürnberg (Quartett)

    1996 im Dortmunder Westfalenpark (etwas grössere Besetzung, aber beide Male dabei, neben Herrn Fripp: Adrian Belew, Bill Bruford, und Tony Levin.

    Beide Konzerte unvergesslich.

  2. Hans-Dieter Klinger:

    Dass King Crimson in München zu erleben war, habe ich leider nicht mitbekommen.

    Das wär was g’wesen

  3. Michael Engelbrecht:

    Sehr geehrte Damen und Herren, sollten Sie den Eintrag zu einem lang vergrabenen KC-Schatz vom 3. März 2018 versäumt haben, hier ist er:

    Kaum ging die „Islands“-Ära zur Neige (speziell Seite 1 der Langspielplatte ist nach wie vor überwältigend), schien King Crimson am Ende, sehr früh, 1972, und die klanglich mangelhaften Live-Dokumente des Albums „Earthbound“ schienen ihren Schwanengesang zu besiegeln.

    Dass es anders kam, mit neuer Besetzung, wissen wir, dass die Lo-Fi-Qualität dieses marginalen Werkes für allerlei Nasenrümpfen sorgte, klar, aber es fand sich auch einiges an Wertschätzung: Richard Williams (mein Lieblingskritiker damals) feierte die Radikalität, die Rohheit der Musik, Nick Cave erklärte es später zu einem Schatz seiner Plattensammlung – nun liegt seit Monaten die erweiterte, überarbeitete Fassung von „Earthbound“ als CD/DVD vor.

    Als erstes machte ich mich über das einzige Extra her, zu dem sich ein Surround-Mix von David Singleton fand. Und was kann ich sagen: ich lausche seitdem diesen „Summit Live Performances“ mit wachsender Begeisterung – der knochentrockene (und in diesem Rahmen grandiose) Sound, die launigen Ansagen der Musiker, die Exzesse von Trommeln, Saxofon und Egitarre, die gesitteteten Verkündigungen des DJs am Ort, der immer denkt, die Veranstaltung gehe zuende, während Wallace den Komiker gibt, Fripp den Joker, und unverhofft ein weiteres Finale daherkommt, eine mehr als halbstündige Marihuana-Version von „The Creator Has A Masterplan“, dazu das kleine Publikum – im herrlich restaurierten Quad-Sound ist man mittendrin und beobachtet das innige Lächeln einiger Anwesender.

    Das Mellotron bleibt an diesem Abend übrigens im kleinen Lastwagen, Nacktheit scheint angesagt. Also, dies ist fürwahr einer der wildesten und bizarrsten Auftritte von King Crimson ever. Ich höre es sehr laut, und bin sprachlos. Nennen Sie nie wieder Mel Collins „Mellow Mel“! Ich habe bislang nichts anderes von diesem Opus gehört, ich komme einfach nicht aus diesem Klub heraus – wo bin ich da überhaupt, in London, irgendwo in den USA!? (Ich habe recherchiert, ich bin in Denver, Colorado, da wollte ich schon immer mal hin.)

  4. Hans-Dieter Klinger:

    Earthbound bestellt

    mein bisheriger KC-Favorit is

    „Three of a Perfect Pair“
    aus Three of a Perfect Pair
    laut laut LAUT

  5. Anonymous:

    LAUT ist richtig.

    Von den drei Quartettplatten ist mir DISCIPLINE die liebste,
    ein sensurround-Rausch, by the way.

    Das von mir beschriebene Konzert ist meines Wissens nur als 5:1, genauer, QUAD, zu hören, nicht in Stereo. Hörst du eigentlich Surround?

    Meine Lieblings-Cds sind, neben Discipline, Lark Tongue’s in Aspic, und die „mit dem Monster auf dem Cover“. Aber da hat jeder seine eigenen Favoriten.

  6. Rosato:

    ja, ich höre (auch) Surround

    AMETHYST
    Dynaudio XD 600 front
    Dynaudio XD 200 rear

    ich habe ne Menge King Crimson surround mixes (7, ab näxte Woche 8) vorwiegend Steven Wilson Editionen, die ja zu richtig günstigen Preisen erhältlich sind.
    ich muss mir die Alben erst noch step by step ‚erarbeiten‘

  7. Rosato:

    Mystizismus pur

    das Kfz-Kennzeichen-Symbol für Kronach ist KC
    das Kfz-Kennzeichen-Symbol für Mettmann ist ME

  8. Michael Engelbrecht:

    Time for a Kronach Waltz :)

    Wann gibt es eigentlich deinen Lang-Essay zu lesen:
    Mein Tag mit KJ und ME?

  9. Hans-Dieter Klinger:

    hast du eigentlich das Bild mit Herrn Walter Kromp genau angeguckt?

    eingebettet in 2 – Wagner vom 17. August 2018

    kann als Vorgriff auf Mein Tag mit KJ und ME angesehen werden :)

  10. Michael Engelbrecht:

    Oh, interesting… can‘t wait to read the whole story about your day with KJ and ME. One week before the KC, which now is NOT KC, but the KÖLN CONCERT.

    Aby Vulliamy:

    „I remember hearing Keith Jarrett’s Koln concert for the first time maybe in my late teens, and just being blown away by the fluency and energy of his piano improvisation. Someone made me a cassette tape of it, and I kept it for about 15 years until my tape player broke. It’s the only music I could ever listen to whilst writing essays or reports – somehow although I loved it, it didn’t distract me like all other music did, it helped give me momentum and energy and focus. I remember listening to a Charles Ives piece years later and finding some of it familiar, and realising that Jarrett references it in his Koln concert, and I’m sure there are many other references in there too.“

  11. Hans-Dieter Klinger:

    KC (Kronach Concert) 17. Januar 1975
    KC (Köln Concert) 24. Januar 1975

    Tour Plan

  12. Michael Engelbrecht:

    Brian Eno: Another Green World 01. September 1975

  13. Hans-Dieter Klinger:

    Yeah

    in the year 7575

  14. Michael Engelbrecht:

    One step ahead, dude! Cool …

    „In the year 2525“
    (Go ahead, sing along)

    Or:

    ECM 2525 (Bill Frisell / Thomas Morgan)

  15. Hans-Dieter Klinger:

    Mystizismus pur


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