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2018 26 Aug

Aus den 1970er Jahren (1)

von: Manafonistas Filed under: Blog | TB | 14 Comments

 

EINEN JENER KLASSISCHEN

 

schwarzen Tangos in Köln, Ende des
Monats August, da der Sommer schon

ganz verstaubt ist, kurz nach Laden
Schluß aus der offenen Tür einer

dunklen Wirtschaft, die einem
Griechen gehört, hören, ist beinahe

ein Wunder: für einen Moment eine
Überraschung, für einen Moment

Aufatmen, für einen Moment
eine Pause in dieser Straße,

die niemand liebt und atemlos
macht, beim Hindurchgehen. Ich

schrieb das schnell auf, bevor
der Moment in der verfluchten

dunstigen Abgestorbenheit Kölns
wieder erlosch.

 

Rolf Dieter Brinkmann

 

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14 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    Diese 12-teilige Serie führt zurück in die 1970er Jahre der BRD – anhand von 12 sehr überlegt ausgewählten Gedichten.
    Und einem kleinen Essay als Schlusspunkt.

  2. Martina Weber:

    Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

    Das ausgewählte Gedicht von Brinkmann ist das Standardgedicht von ihm für Deutschbücher oder Gedichtsammlungen deutscher Poesie von den Anfängen bis zur Gegenwart. Die Snapshot-Poetologie. Ich kann mich daran erinnern, als ich es zum ersten Mal las und erstaunt darüber war, woraus man ein Gedicht machen kann. Wie leicht es sein kann.

  3. Michael Engelbrecht:

    Was doch für tolle Sachen in Schulbüchern stehen können!

  4. Olaf:

    Wie an einem heißen Tag, wenn der Beton vor Hitze glüht und die Wohnungen stickig sind, den kühlen Hausflur eines Wohnhauses zu betreten … tolles Gedicht, in meinen Deutschbüchern gab es so etwas Schönes leider nicht.

  5. Martina Weber:

    Es ist allerdings eher eines der harmlosen Gedichte von Brinkmann, ähnlich wie das mit der schwarzen Wäsche, die an einer Leine hängt und aus der das Waschwasser tropft. Die gewagteren, nicht so schnell sich erschließenden Gedichte von Brinkmann, die mit den harten Schnitten und Rätseln finde ich inzwischen viel interessanter. Es sind aber nur ein paar. Viele Gedichte von ihm sind mir zu lamentierend und zu derb. Aber für die damalige Zeit natürlich eine kleine Revolution.

  6. Michael Engelbrecht:

    Ich widerspreche freundlich: nichts an diesem Gedicht finde ich harmlos, ich ziehe allerdings auch keine Vergleiche zu anderen seiner Gedichte. In seiner Unmittelbarkeit ist es hyperrealistisch, und hat doch ein Geheimnis. Tatsächlich ist es eins meiner Lieblingsgedichte, heute noch.

    Es stammt aus Westwärts 1&2.

    Die Siebziger Jahre: damals war ich sehr kinohungrig, Wenders, Herzog, und bitte nicht Fassbinder. Aber selbst die Filme, die ich liebte auf der grossen Leinwand, können mich heute nicht mehr locken. Bei Gregor ist das anders. Dafür packen mich immer noch viele Gedichte jenes Jahrzehnts.

    „Alte Klamotten – ein kleiner Trip durch die Lyrik der 1970er Jahre“ ist der Titel des Textes, der, nach den 12 Gedichten, Heuligabend hier zu lesen sein wird. Den Verschreiber lasse ich mal stehen.

    Ja, die Wahrnehmungen sind eben sehr unterschiedlich, dieses Gedicht ist für mich einfach nur erhebend und trostlos zugleich – und zudem gefährlich.

  7. Lajla:

    But all joy wants eternity … es ist ein philosophisches Gedicht. (Nietzsche)

  8. Martina Weber:

    Nun war das Wort „harmlos“ von mir nicht treffend gewählt. Ich finde ebenfalls, dass es ein ganz großartiges Gedicht mit einer leicht mysteriösen Aura ist. Ich habe „Westwärts 1&2“ erst vor zweieinhalb Jahren gelesen und fand andere Gedichte dort für mich einfach inspirierender als dieses. Zum Beispiel „Fotos 1,2“ auf Seite 10. In den 70er Jahren war ich noch nicht bei den Lyriklesern :) Wieso sollte ich keine Vergleiche zu anderen Gedichten eines Autors ziehen? Das ist doch völlig okay.

  9. Michael Engelbrecht:

    Völlig okay.

    Jeder, der damals Gedichte an sich ran liess, würde, wie im Hinkelspiel „Himmel und Hölle“, einen anderen Pfad durch das Jahrzehnt anlegen. Es geht ja nicht um eine Hierarchie des Ehrenwerten, sondern um eine Serie von Berührungen. Und Unvergesslichkeiten.

  10. Martina Weber:

    Zum Abschluss noch eine kleine Story zu Westwärts 1&2. Nachdem ich das Buch gerade gelesen hatte, traf ich Jürgen Ploog in einem Café, um mit ihm ein langes Interview & von ihm ein paar Fotos zu machen. Jürgen Ploog hatte tatsächlich den Brinkmann (1&2) in seiner Sakkotasche, er hatte ein Himbeertörtchen bestellt (ich bestellte auch eins), er holte das Buch raus und las mir den Anfang seines Lieblingsgedichtes vor, ein längeres von weiter hinten im Buch. Ich schlug dann Seite 10 auf und zeigte ihm „Fotos 1,2“. Das überraschte ihn, glaube ich. Er mochte das von mir ausgewählte Gedicht auch. Es war ein guter Einstieg.

  11. Wolfram:

    Schön, dass man hier immer wieder Erinnerungen geweckt kriegt. An Brinkmann erinnere ich mich nicht wegen seiner Gedichte. Es gab eine Zeit, die letzten Schuljahre vielleicht, da mochte ich keine Gedichte – zu kurz und zu rätselhaft -, und immer gab es einen Sinn hinter dem Sinn, bis 2 Dinge zusammen kamen: eine Freundin, die Gedichte mochte, und die Preispolitik meiner Stammbuchhandlung, die massenhaft edition suhrkamp bücher mit schwarzen Strichen versah, woduch sie plötzlich nur noch 1.- DM kosteten und ich Wislawa Szymborska und Gennadij Ajgi entdeckte. Rolf Dieter Brinkmann gab es wohl nicht für ’ne Mark (die ich übrigens als winwinwin-Aktion zwischen Leser, Autor und Buchandel ansah), Brinkmann also, er war für mich einer der Flaneure, die mich von Straßenecke zu Straßenecke zu Straßenecke begleiteten. Er war einer der genauesten Beobachter, von daher zwangsläufig einer der eher düsteren. In „Rom, Blicke“ findet man dies in Texten und Fotos. Dann gab es noch ACID mit all den Neuentdeckungen zeitgenössischer amerikanischer Literatur. Brinkmann war der Herausgeber. Als Autoren habe ich ihn dann aus dem Blick verloren, vielleicht weil der echte Bukowski plötzlich der echte Bukowski war. Wahrscheinlicher aber noch, weil uns kein gemeinsam gegessenes Himbeertörtchen verband, das so gut zur Farbe des Umschlages von „Rom, Blicke“ gepasst hätte.

  12. Michael Engelbrecht:

    Ein erstaunliches Echo.

    Für diese kleine Reihe mit zwölf Gedichten (bis Nikolaus) konnte ich einen euch allen bekannten Autor als Epilogist und Essayist gewinnen.

    Seinen Text „Alte Klamotten – ein kleiner Trip durch die Lyrik der 1970er Jahre“ kennen vielleicht manche Experten und Anthologieleser hier schon länger. Er wird ihn aber, mit Blick auf die Gedichtauswahl und die sich bei den Gedichten einstellenden Kommentare, erheblich überarbeiten und erweitern, und Heiligabend an Jo schicken, um ihn hier zu kredenzen.

    Wäre also toll, ihr würdet bei den Texten weitere Gedanken und Erinnerungen zusammenkramen … (gerne auch Fantasien)

  13. Rosato:

    12 gedichte
    12 kommentare
    13 sind es jetzt

  14. Michael Engelbrecht:

    Das ist ja fast Konkrete Poesie, Rosato.

    Ich habe 1973/74 in Münster angefangen, mit Germanistik und Philosophie fürs Lehramt an Gymnasien. Das schönste Proseminar widmete sich Konkreter Poesie, das schrecklichste dem Althochdeutschen, was im letzten Fall an der verknöcherten Professorin lag). Und dann las ich einen 500-Seiten-Schinken von Edmund Husserl, das gab mir den Rest, und ich entschloss mich, Psychologe zu werden.

    Noch was zum Ablauf.

    Das jeweils folgende Gedicht erscheint irgendwann, nachdem das derzeitige nicht mehr auf der aktuellen Scroll-Liste ist.

    P.S. … an einem Abend sass ich, keine 20 Jahre alt, mit Helmut Heissenbüttel im Alten Markt, einer Kneipe in Dortmund. Und ich erzählte ihm, wie sehr ich Kriminalromane liebe. Er lachte, und erzählte, er sei völlig d‘accord mit dieser Leidenschaft.


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