Da scherten die Erinnerungen gleich aus, als ich das Bild von der Insel da unten sah, mit der ich soviel Kindheit und frühe Jugend verbinde, und ich huschte nur über ein paar Zeilen, die von der Entrüstung eines Paares handelten, das jetzt Brüssel verklagen möchte, weil es die Klimaschutzbestimmungen missachtet sieht. Sofort fesselte mich der Wald von Langeoog, durch den ich so oft geradelt bin, die geliebten Lichtungen, die Verdunstungskälte, der Weg zum Teehaus. Ja, ich glaube, auf dem Foto erkenne ich die kleine Einbuchtung, in der es damals stets riesengrossen Apfelkuchen (gedeckt, heute eine Seltenheit) und ostfriesischen Tee mit Sahne und Kluntjes gab. Die Erinnerungen schwappen stets zwischen Borkum und Langeoog hin und her, nirgendwo war ich damals öfter in den grossen Ferien. Unzweifelhaft verliebte ich mich auf Langeoog in die Pensionsbesitzerin des Hauses Westfalen (habe ich tatsächlich den Namen behalten?), es war der Urlaub, in dem ich 8 Jahre alt war, und einen Drachen besass und einen Roller. Einmal stand der Wind so kräftig im Rücken, dass ich mit dem linken Fuss nur einmal zum Schwung auf Asphalt ausholte, und dann gelangte ich ohne jedes Absetzen bis zur Bäckerei am Stadtrand, und war ganz glücklich, ein Rosinenbrötchen zu erstehen. In Langeoog gab es, und gibt es noch heute, das Cafe Leiß, und dort ass ich zum ersten Mal eine Eisspezialität jener Jahre, komm, sag mir, wie sie heisst, eine Porzellanschale mit Vanilleeis und einer heissen Banane, ordentlich Sahne dazu. Ja, den Michael Naura und seine magischen Jazzsendungen habe ich auf Borkum entdeckt, auf Langeoog hatte ich frühe Kinoerlebnisse. Am Bahnhof hingen die Plakate, was wann zu sehen ist, aber ich kann mich an keinen einzigen Film erinnern, nur an die Vorfreude, und dass es gar nicht genug Western sein konnten. Ich weiss auch nicht, welchen Strand ich vor mir sah, den von Langeoog oder Borkum, als meine Mutter mir geschichtenhungrigem Kind immer wieder (auf meinen Wunsch) diese zwei erfundenen Märchen erzählte, in einer kam dieser Strand vor, ohne Menschen, nur das Meer, und ihr Satz: – In hundert Jahren sind wir alle tot. Vielleicht habe ich mich deshalb als Teenager so sehr für Gespenstergeschichten interessiert, die oft genug von Toten handelten, die nicht in weissen Gewändern durch ein Schloss, sondern gern auch in luftiger Höhe, am Meeresaum, entlang schwebten. Jahre später erstand ich in der Inselbuchhandlung Krebs (ich glaube, sie heisst Krebs) Peter Rühmkorffs Lyrikband mit dem Titel „Haltbar bis Ende 1999“. Auf dem Umschlagcover ein überquellender Aschenbecher. In diesem Gedichtband habe ich eine gute Woche gelebt, in dem ich wahlweise in einem Strandkorb sass, oder abseits von dem Getümmel in den verbotenen Dünen.