Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2018 2 Jul

Lucid Dreaming (remix)

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | 2 Comments

Es waren die liner notes von Jon Hassell zu seinem Album „Dream Theory in Malaya“, und ein Artikel von Prof. Paul Tholey, die mich Einst auf die Spur der luziden Träume brachten. Es öffnete sich eine Erfahrungswelt jenseits meiner Vorstellungskraft, und das, obwohl ich während des Psychologiestudiums, in der Schlaf- und Traumforschung,  sowie Traumdeutung, einiges an Ausbildung und Praxis gesammelt hatte. Bis dahin war das Luzide Träumen weitgehend bloss an einer kalifornischen Universität erforscht worden, von Stephen LaBerge.

Trotz meiner nicht ganz so bescheidenen didaktischen Fähigkeiten scheinen die wenigsten Menschen, denen ich von luziden Träumen (synonym mit Klarträumen) erzähle, zu begreifen, was Klarträume sind, selbst wenn ich es anschaulich ausführe, mit Beispielen, mit einfachsten Analogien. All diese Menschen sind überdurchschnittlich intelligent, wissbegierig und neugierig. Ich glaube, es gibt eine Sperre, sich ausserhalb der eigenen „Konzepte“ zu bewegen. Man verschliesst sich dem Neuen, weil man sich in den Schwungrädern eigener „patterns“ gut aufgehoben fühlt.

Folgendes Unverständnis erntete ich im Laufe der Jahre: luzide Träume seien wie LSD nehmen, luzide Träume seien besonders intensive Träume, luzide Träume seien wie Kino, man sähe „von aussen“ zu, und erkenne, dass auf der „Leinwand“ ein Traum ablaufe. Luzide Träume seien absolut gefährlich, weil man ins Unbewusste eingreife. Alles Unsinn. Dies ist übrigens eins der besten Bücher für Ensteiger:

 
 
 

 
 
 

Nun muss man nicht  auf dieses Thema abfahren, aber grosses Unverständnis ist die Regel. Dass man im Traum (via Übungen am Tage, oder Übungen am frühen Morgen, vor den längsten R.E.M.-Phasen, evtl. mit Hilfe von bestimmten Nootropica) klares Bewusstsein erlangen, und dann die „unglaublichsten“ Dinge initiieren kann (!!!), hellwach im Traum (!!!), wird wie ein  „Exotikum“ wahrgenommen. Eine Story.

Im normalen Traum, man könnte ihn auch „Trübtraum“ nennen, ob wir nun Traumerinnerung trainieren, oder Träume nur gelegentlich erinnern, hält jeder das, was er träumt, w ä h r e n d  er träumt, für r e a l, obwohl es oft völlig abstrus ist. Man mag den grenzenlosesten Irrsinn träumen, man hält es für die „schlichte Wahrheit“, man hält sogar den wahnsinnigsten Alp für real, statt den Realitätszustand im Traum zu überprüfen, und dann das klare Erwachsenenbewusstsein „anzuknipsen“. In den letzten fünf Jahren habe ich bloss zwei „humans“ gefunden, die hochmotiviert waren, das Klarträumen zu lernen. Erstaunlich.

 

„In other words, following the old dream theory of Senoi (unknown to Freud and Associates), and modern, scientific dream studies: in a lucid dream you’re director, actor, and you create the events with an improvised  script in your mind, always ready to face  the unexpected! And, yes, you are fully awake, inside the dream world.“

 

2 – Mein erster Klartraum

 

Ich stehe im Rombergpark, am Anfang des Rundweges, es ist ein herrlicher Sommertag. Ich stelle mir die Frage, ob ich wache oder träume, und ein Schauer fährt durch mich hindurch: ich träume, ich bin bei klarem Bewusstsein, und weiss, dass mein Körper in Bergeinöden im Bett liegt. Glücksgefühle schiessen durch jede Zelle meines Traumkörpers, der sich völlig real anfühlt. Ich sehe, wie die Sommerblätter zittern im Wind, und bin berauscht von dem Zustand. Da fällt mir ein, dass ich ja im wahren Leben tottraurig bin, und was ich im ersten luziden Traum machen wollte. Einen weisen Mann um Rat fragen. Da hinten kommt ein Jogger, ein Muskelpaket, so stellte ich mir einen Ratgeber nicht vor. Als er an mir vorbeilaufen will, rufe ich ihm zu: „Hallo, können Sie mal kurz anhalten?“ – Was ist? – „Passen Sie auf, das hört sich verrückt an, Sie sind in meinem ersten Klartraum.“ – Das interessiert mich nicht. – „Gut, klar. Aber ich möchte Ihnen eine Frage stellen: was kann ich tun, damit H. zurückkommt?“ Nachden ich diese Frage gestellt habe, verwandelt sich sein Kopf vor meinen Augen in eine Schwarzweissfotografie des Gesichts der Wölfin, und dann in einen Totenkopf. Ich erschrecke mich und wache in meinem Bett auf.

 

 

3  – Mein kreativster Klartraum

 

Nachdem ich in Berlin genug Gelegenheiten für „reality checks“ hatte, war ich heute fest entschlossen, meinen ersten luziden Traum 2017 zu erleben. Nachdem ich genügend Schlaf für die langen R.E.M.-Phasen gesammelt hatte, stand ich gegen 6.30 Uhr auf, schaute entspannt in die bitterkalte Nachtlandschaft, schrieb einen Kommentar zu meinen Berlin-Notizen, nahm die von Thomas Yuschak empfohlene Kombination von Galantamine und Choline ein, verdunkelte die Jalousien vollständig und machte mich an die mentalen Übungen, die Thomas Yuschak en detail beschreibt, um bei klarem Bewusstsein in die Traumwelt einzudringen. Es gelang, Wahnsinn, eine seltsame „Klarträumerei“, weil ich zwischendurch öfter meinen realen Körper zu spüren meinte, und mich besonders in der langen Anfangsphase, die ich hier nicht gross beschreibe, immer wieder in den Traum „hineinkämpfen“ musste.

 

Wenn man bewusst in die Traumwelt und den Traumkörper schlüpft, beginnen viele dieser Träume im Schlafzimmer, das aber nicht das reale physische Schlafgemach ist, sondern ein nachgebildetes. Da lauern viele Gefahren eines „falschen Erwachens“, aber genug der Vorrede. Immer wieder erhaschte ich Schlaftraumbilder, während ich noch meinen physischen Körper fühlte.

Dann war ich in der Traumwelt. Ich sagte laut zu mir, dies sei nur ein Traumschlafzimmer, öffnete die Tür, schloss meine Augen und gab mir den Impuls, nun durch das grosse Glasfenster hindurch zu schweben. Ich hielt die Augen weiterhin geschlossen und wünschte mir, in einen warmen Sommertag hineinzufliegen. Ich spannte meine Arme breit und erhob mich in die Lüfte, in gemächlichem Tempo. Als ich die Augen öffnete, war ich überrascht, denn es waren zwar gefühlte 22 Grad, aber tiefe Nacht am Rande eines Waldes.

Ich flog nur eine kurze Weile, dann erblickte ich eine Vorstadtsiedlung, die mich im Nachhinein entfernt an den Weissdornweg in Dortmund erinnerte, wo ich zwischen meinem fünften und zehnten Lebensjahr lebte. Im Traum sah ich wie zwei, drei Löwen (!) sich auf den Weg zu mir machten. Ich sagte zu ihnen: „Ganz ruhig, Jungs. Ich bin in friedlicher Mission.“ Die Löwen verlangsamten ihren Gang und hockten sich hin.

Ich betrat ein grosses Haus, in dem sich offensichtlich viele junge Leute zu einer Party versammelten. Mein Traum-Ich wird wohl auch so um die 18 gewesen sein, und ich dachte, es wäre Zeit für ein erotisches Abenteuer. Also rief ich in die Runde: „Wo ist meine alte Schulliebe?“ Plötzlich riefen alle Anwesenden im Chor: „Wo ist meine alte Schulliebe? Wo ist meine alte Schulliebe?“ Das schwarzhaarige Girl neben einer Musikanlage schaute wohl (ich konnte ihre Augen nur ahnen, weil ihre Ponyfrisur das meiste verdeckte) in meine Richtung, ich ging zu ihr und fragte, ob ich sie küssen dürfe. Endlich konnte ich ihre Augen sehen, die allerdings ein wenig asymmetrisch angeordnet schienen. Wir umarmten und küssten uns, und ich spürte den schönen Anfang einer schönen Empfindung.

Ich freute mich total über das Bewusstsein, in einem Traum zu sein, hielt die Hand des Girls und rief in die Runde: „Es ist ja gar keine Musik zu hören, ich möchte gerne einen neuen Song von Brian Eno hören.“ Ich wiederholte den Wunsch innerlich, um ihm Nachdruck zu verleihen, und plötzlich erschall Brians Stimme aus der Anlage, nicht sonderlich laut, aber gut zu hören. Es war ein melodisches Lied, mit sanfter Polyrhythmik, stilistisch der Zeit von Before and After Science zuzuordnen. Ein absolutes Glücksgefühl durchrauschte mich, und ich konzentrierte mich so sehr auf das Lied, dass ich meine „alte Schulliebe“, die nicht annähernd so aussah wie meine alte Schulliebe (Jutta K.) vergass, und mich voll auf die Musik konzentrierte.

Im Klartraum ist ja das kritische Bewusstsein voll auf Touren, und so konnte ich, ganz und gar der Musikjournalist, feststellen, dass der Song eine Granate ist, dass er nicht die Coverversion irgendeines anderen Liedes ist, sondern „vintage Eno“ – nur, dass Brian dieses Lied nie aufgenommen oder komponiert hat. Vielleicht währte der Song drei Minuten. Im luziden Traum kann man die Realzeit sehr gut einschätzen. Danach hatte ich das Gefühl, in meinen schlafenden Körper zurückgezogen zu werden. Aber was für eine Freude!

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2 Comments

  1. Michael Engelbrecht:

    ERGÄNZUNGEN ZUM ENO-KLARTRAUM:
     

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    Vor ein paar Tagen beschrieb ich hier meinen ersten luziden Traum des Jahres, mit dem Knalleffekt, dass ich zum Ende des Traumes einen neuen Song von Eno hörte. Ich wünschte mir so eine Premiere in einem Partyraum und bekam ihn auch gleich auf einer mittelprächtigen Anlage serviert. In einem Klartraum gibt es nicht die Art von Selbsttäuschung, die wir aus unseren gewöhnlichen Trübträumen kennen. Man wähnt einen besonders tiefsinnigen Gedanken erhascht zu haben, und nach dem Aufwachen stellt man fest, dass es sich um kompletten Blödsinn handelt. Oder man hat eine grossartige Idee für einen Roman, und nach dem Aufwachen stellt man fest, dass er schon lange geschrieben wurde. Nein, so etwas ist im luziden Traum nicht möglich. Gäbe es die Möglichkeit (ein Thema, das in der SF-Literatur öfter aufgegriffen wurde), unsere Träume und ihre Tonspuren aufzuzeichnen, es könnte sich ein echtes Copyright-Problem ergeben. In diesem konkreten Fall eher nicht. Ich würde Brian in seinem Studio in Notting Hill besuchen, ihm die Kassette auf den Tisch liegen, und er wäre begeistert, könnte es bei meiner Aufzeichnung belassen, oder eine Neuaufnahme des Songs angehen.
     
     
    2
     
    Wie ist das möglich? Zwei Tage vor dem besagten Traum entdeckte ich in Kreuzberg nicht nur die zwei ersten Kraftwerk-Platten, sowie Nancy and Lee von Lee Hazelwood und Nancy Sinatra, sondern auch eine alte Ausgabe der SOUNDS vom Januar 1980 (s. Photo). Darin gab es nicht nur den heute leicht verfehlt anmutenden Totalverriss Alfred Hilsbergs von The Clash und ihrem Album London Calling (oh, der Verrat des wahren Geistes der Punk-Ära!), sondern auch ein langes, von essayistischen Passagen durchzogenes Interview von Lester Bangs mit Brian Eno. Ich kannte es natürlich aus uralten Zeiten, Aber was für eine Freude, das Teil eine halbe Stunde später in einer überschätzten Berliner Kaffeebraustube erneut zu lesen. Dabei kam das Thema u.a. auf die Produktionszeit von Brian Enos Songalbum Before and After Science: angeblich, so Lester Bangs, habe Eno damals an die hundert Songs oder Songfragmente gehabt, und gerade mal ein Zehntel habe es letztlich auf das Album geschafft. (Kein Leser dieser Zeilen auf diesem Blog wird das Album nicht kennen, falls doch, möge er sich sofort mal auf Youtube den Song „Here He Comes“ anhören.)
     
     
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    Das bereitete den Boden für Enos Lied in meinem Klartraum. Denn als ich am nächsten Morgen den Traumtext aufschrieb, ordnete ich den Song sogleich zeitlich ein, in die Phase von – bingo! – Before and After Science. Mein Unbewusstes hatte die Idee der unfertigen Stücke jener Schaffensphase von Eno aufgegriffen, und – offen hörbar im Sound jener Jahre – ein brandneues Lied komponiert, aus vielen Facetten zusammengesetzt. Sie haben gemerkt, dass ich vorhin – ohne groß nachzudenken, es ist mir einfach „rausgerutscht“ – das Wort „Kassette“ verwendete, auch ein Tool jener Jahre, wenn es um das Aufzeichnen von Liedern ging. Es ist ja ein altbekannter Spruch, der Mensch würde nur fünf Prozent der Kapazitäten seines Gehirns nutzen. In luziden Träumen vergrössert sich dieser Raum wohl ein wenig.
     
     
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    Warum ich mir, wenn schon im Traum mein Bewusstsein „eingeschaltet“ war, den Song nicht einfach eingeprägt habe, um ihn im Wachsein laut auf meinen MD-Recorder zu singen? Das kann ich beantworten. Ich war ja in einer Situation (Party, Suche nach einer alten Schulliebe etc.), in welcher die Musik so etwas wie den Soundtrack der letzten Traumminuten darstellte. Und nachdem ich rasch erkannt hatte, dass dies kein bekannter Eno-Song ist, auch kein für mich erkennbarer „Coversong“, wollte ich einfach nur hören, geniessen, eintauchen, staunen, lauschen, zerfliessen. Dann willst du nicht eine Notation festhalten, oder das Klangbild analysieren. Du willst dich ganz und gar der Situation hingeben – „surrender to the moment and make it last“. Ich kann natürlich nicht ausschliessen, dass mein Unbewusstes sich einen – von meinem Bewusstsein vergessenen – Song (eines anderen Künstlers) hergenommen hat, und ihn von Eno interpretieren liess. Selbst dann wäre das Resultat mehr als verblüffend – denn vom Gesang bis zu den Texturen der Musik war alles „vintage Eno“.
     
     
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    Jan, unser Manafonist aus Pittsburgh, hat ja gerade einen Roman besprochen, in dem eine Frau ihre Geschichte mit Adorno aus den wilderen Jahren der Bundesrepublik ausbreitet. Sie hatte sich gewiss so tief in die Gedankenwelt Adornos hineinbegeben wie ich, seit mir Taking Tiger Mountain (By Stratgey) in die Hände fiel, in die Songwelten von Eno eintauchte. My favourite singer. Klar, dass sich da enorm viel Material in den Tiefen des Gehirns abspeichert. Und, im Unterschied zu Gisela von Wysocki, hatte ich keine Konflikte mit dem Stoff und ihrem Urheber, es war und blieb Seelennahrung. Würde Jan beispielsweise einen luziden Traum erleben, er könnte sich einen neuen Song von John Fogerty (einer seiner Favoriten) und Creedence Clearwater Revival wünschen, und würde, mit etwas Glück, aus den Staunen nicht mehr herauskommen. Es ist relativ leicht, in luziden Träumen eine Jukebox zu finden, die mit nie zuvor gehörten Singles bestückt ist.

  2. Michael:

    Diese Kompilation älterer Texte dient einer kompakten Einführung ins Thema, für eine sich anbahnende, kleine Gruppe „luzider Träumer“.


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