„Das Drama ist nämlich, dass das Unvermögen zu schreiben einem noch keineswegs das Verlangen danach nimmt.“
Das Zitat, im Merve-Verlags-Prospekt 2003 entdeckt, stammt aus dem Buch von Marcel Bènabou „Warum ich keines meiner Bücher geschrieben habe.“
Ich habe mir das Buch antiquarisch gekauft – für 5 Cent. Davon bekommt der Autor einen eher geringen Anteil, und so wird deutlich, dass kein Vermögen zu besitzen direkt zum Unvermögen zu schreiben führen kann.
Die zweite Bedeutung des Satzes ist die klassische Schreibhemmung: das Schreiben fällt schwer, was irgendwie mit Komplexen und Psyche zusammenhängt. Der Schreibwunsch bleibt und hält uns davon ab, einfach etwas Ungehemmtes zu tun, zum Beispiel den Rasen zu mähen (falls keine Rasenmähhemmung besteht). Es kann aber auch daran liegen, dass ich eigentlich was anderes schreiben möchte als ich meine zu müssen.
Drittens könnte es einer Größenphantasie entspringen: ich habe kein Talent zum Schreiben, tue es aber trotzdem, oder ich tue so, als ob … . Vielleicht beklagt sich Bénabout über die vielen schlechten Bücher, die aller Schreibhemmung zum Trotz dennoch erscheinen.
Noch eine weitere Möglichkeit, den Satz zu verstehen: das Unvermögen sitzt im Körper, durch Krankheit, Unfall, Alkoholkonsum oder Behinderung bedingt. Davon habe ich neulich erzählt: von der Widerspenstigkeit der elektronischen Kommunikationsmittel. Meine Finger produzierten trotz nur minimaler Dysfunktionen in fast jedem Wort Fehler. Das Diktierprogramm hatte immerhin eine Quote von 1:4 Richtigen. Beim manuellen Korrigieren verzitterte ich noch mehr Buchstaben. Aus Ungeduld wurde Zivilisationskritik oder ehrlich gesagt Wut, bis ich in der Situation eine gewisse Albernheit entdecken konnte. Die Technik hatte sich selbständig gemacht.
Das Geschriebene sah sehr merkwürdig aus und ließ sich, wie die Tramschilder in Budapest, nicht im Gedächtnis behalten. Einzige Anker für Sinn und Verstand boten die von selbst entstandenen Worte DADA und DERRIDADA. Ich fühlte mich gleich kulturhistorisch ein bißchen zuhause. Zufällig fand ich heraus, daß sich der Text hervorragend rappen ließ. Also doch Stoff für das manafonistische (far) beyond.
Zwei reizende Kommentare fanden sich ein. Doch dann entdeckte ich, dass sich offensichtlich ein Korrekturprogramm an meinen Text herangemacht hatte. Alle einzelnen Wörter waren orthographisch richtig geschrieben; zusammen ergaben sie keinen Sinn. So hat mich die künstliche Intelligenz zweimal ausgetrickst; erst hat sie meine Ordnungsversuche hintertrieben, dann hat sie auch noch mein Chaos zerstört. Unvermögen! DADA und DERRIDADA blieben übrig.
Anmerkung: Marcel Bénabou war mit Georges Perec befreundet, dem großen Erzähler und Aufzähler. Während Perec in seinem Roman „La vie mode d’emploi“ Geschichten und Bildern aus einem Pariser Mietshaus sammelt, findet sich bei Bénabou die wohl längste Liste, was warum nicht zu schreiben ist – eine Fundgrube für Schreibgehemmte.