Das Hochzeitsfoto stand auf einer Kommode und war ein paar hundert Jahre alt. Die beiden waren noch schöner geworden, irgendwo hatte ich gelesen, die Menschen würden beim Älterwerden immer mehr sie selbst. Streng genommen waren sie keine Menschen, ich hatte es nicht gewusst, ich hatte die DVD einfach bestellt, weil A. den Titel erwähnt hatte in einer seiner E-Mails, er schrieb, vieles, was er so in letzter Zeit gesehen hätte, sei nichts gewesen, aber „Only Lovers Left Alive“ hätte ihn beeindruckt. Ich war in einen Vampirfilm geraten. In den deleted scenes zu sehen: Ein morgendlicher Sonnenstrahl gelangt durch den Spalt der Vorhänge ins Zimmer und verbrennt eine Stelle an Adams Hand.
Natürlich ist eines der Themen die Nahrungsbeschaffung. Nachtaufnahmen: Eve mit verhülltem Haupt unterwegs durch die Kasbah von Tanger, einige Momente in Zeitlupe. Gestalten in langen Umhängen ducken sich in Häusereingängen, in Ecken. I have something special for you. Auf Adams Namensschild steht Dr. Faust, sein Stethoskop stammt aus dem Jahr 1968. Leere Straßen von Detroit, leerstehende Häuser, an Drahtseilen hängende Ampeln schaukeln im Wind. Ein nicht benutztes Parkhaus mit breiten runden Säulen, eine beliebte Kulisse in Filmen, sie taucht auch auf in dem poetischen Horrorfilm „It Follows“ (Geben Sie den Begriff, wenn Sie mögen, bei der Suchfunktion ein.) Große gemütliche Wohnungen, dezent romantisch beleuchtet, immer bei Nacht. Schallplatten- und Büchersammlungen. Eine Gibson aus dem Jahr 1905, eine Gretsch, eine Silvertone. Adams Musik wird in den Clubs gespielt und die Plattenaufnahmen, 180 Gramm Vinyl, werden unter der Theke gehandelt. Eve verreist mit zwei Koffern Handgepäck, fast scheint sie sich von Büchern zu ernähren, wie sie mit ihrem beigefarben behandschuhtem Zeigefinger sanft über die bedruckten Seiten fährt.
Was das mit Einstein zu tun hat? Es gibt in der Quantenmechanik sogenannte verschränkte Teilchen. Diese befinden sich in einem gemeinsamem Quantenzustand. Ändert eines der Teilchen seine Eigenschaften, muss das andere Teilchen seine Eigenschaften ebenfalls ändern, unabhängig davon, wie weit die beiden entfernt sind. Einstein lehnte das ab, als only spooky. Es gibt diese magische Verbindung, die Jim Jarmusch auf die beiden, tausende Meilen entfernt lebenden Liebenden überträgt, aber doch, Experimente haben es vor einigen Jahren gezeigt. Eine wissenschaftlich bewiesene Magie.
Eine der stärksten Szenen ist die vorletzte, in einem nächtlichen Café in Tanger. Wie Yasmina Hamdan in ihrem schlichten schwarzen Top und einer mit Metallschmuck an der Hüfte verzierten schwarzen Lederhose dieses rätselhafte Lied präsentiert, es heißt „Hal“, und das habe ich mir oft angesehen. Es ist nicht nötig, auch nur ein Wort des Textes zu verstehen, es scheint ein bekannter Text zu sein oder die Leute kannten das Lied, denn eine junge Frau im Café flüsterte die Worte mit, nein, sie bewegte nur ihre Lippen. Der Song ist tieftraurig und doch. Die Teetassen auf den kleinen runden Tischen blieben unberührt. Die Menschen, Frauen und Männer, standen herum oder saßen auf wenigen Stühlen, sie regten sich nicht. Das Café war fast dunkel. Der Song wurde dezent von einer Gitarre begleitet und besteht aus zwei Teilen. Und wenn es eines gibt, das ich verstanden habe: Das Wichtigste, das Entscheidende geschieht in der langen Pause zwischen den beiden gesungenen Parts. Hier ändert sich etwas. Das Leuchten in den Augen. I have something special for you. It´s exactly what you need.