Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

2017 13 Jun

Sie hörte einen dionysischen Klang und wollte ihm folgen

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Comments off

 

 
 
 

Der Rock´n´Roll hatte Susan Sontags Leben verändert. Im Juni 1978 traf sie Jonathan Cott zu einem langen Gespräch, den Kassettenrecorder auf dem Tisch, erst in ihrer Wohnung in Paris, dann in ihrem Loft in New York. Ausgangspunkt waren ihre Bücher „Über Fotografie“, „Krankheit als Metapher“ und die Kurzgeschichtensammlung „Ich etc.“ Susan Sontag war damals 45 Jahre alt und sie hatte eine Krebsbehandlung hinter sich. Das Rolling Stone-Interview wurde unter dem Titel „The Doors und Dostojewski“ am 4. Oktober 1979 im Rolling Stone in einer stark gekürzten Fassung veröffentlicht. Das vollständige Interview erschien – ergänzt durch ein Vorwort von Jonathan Cott – im Jahr 2013 im Original und im Jahr 2016 in der deutschen Taschenbuchausgabe. Susan Sontag war im Jahr 2004 verstorben. Das mehr als 125 Buchseiten umfassende, sehr vielseitige Gespräch eignet sich hervorragend für einen Einstieg ihr Leben und Denken und es gibt ein Gespür für die kulturellen Veränderungen insbesondere in den 1960er Jahren.

Der Rock´n´Roll hatte Susan Sontags Leben wirklich verändert. Es war der Grund für ihre Scheidung. Jemand hatte bei einer Jukebox „Johnnie Ray“ gedrückt, Susan Sontag hörte den Song „Cry“ und bekam eine Gänsehaut. Später entdeckte sie „Bill Haley and the Comets“. Es waren nicht die Texte, es war die Melodie, es war das Dionysische darin, Susan Sontag hatte Nietzsche gelesen, sie verstand es intuitiv. Sie hatte an der Columbia University in New York unterrichtet und sie stieg aus der akademischen Welt aus.

„In was will ich meine Lebenskraft investieren? In Bücher oder Sex, in Ehrgeiz oder Liebe, in Angst oder Sinnlichkeit? Beides geht nicht“, schrieb Susan Sontag im Herbst 1962, im Alter von 29 Jahren, in ihr Tagebuch. Anfang der 60er Jahre hatte sie mit dem Schreiben begonnen. In dem Interview sagte sie, wie ermüdend und zäh das Schreiben für sie sei und dass sie nur in intensiven und obsessiven Schüben schreiben könne. Sie verändere ihre Art zu schreiben, weil sie dadurch eine andere Art von Freiheit erlebe und sie schreibe auch deshalb, um sich zu verändern, weil sie, wenn sie etwas geschrieben habe, nicht mehr darüber nachdenken müsse.

Susan Sontag und Jonathan Cott waren einander erstmals Anfang der 1960er Jahre an der Columbia University begegnet, sie war Dozentin, er war Student. Das Interview ist von einer großen Offenheit, einer regelrechten Offenbarungslust geprägt und es geht weit über die drei Bücher, die Ausgangspunkte waren, hinaus. Es ist auch ein Namedropping; dem Interview ist ein viereinhalbseitiges Register an Namen und Titeln von Büchern und Filmen angefügt. Auch wegen der Sprunghaftigkeit der Themen, wegen der Nebengedanken und ungeplanten Einfälle beider Interviewpartner liest sich das Gespräch sehr kurzweilig, es plätschert nie dahin, immer gibt es neue Spannungskurven, Ergänzungen, es wird spürbar, dass Susan Sontags Gedanken im Gespräch entstehen und dass sie in langen Absätzen denkt. Nebenthemen sind zum Beispiel Experimente mit psychedelischen Drogen, mit Gras, das ihr, der Rastlosen, Entspannung geschenkt hat, ihr Umgang mit Büchern („ich lese gern so, wie andere Leute fernsehen.“ „Meine Lektüre ist alles andere als systematisch.“), das Fragment als Kunstform, Frauen und Männer und die Macht des Eros, Feminismus, männliches und weibliches Schreiben, Unterschiede zwischen New York und Kalifornien.

Und dann stellt Jonathan Cott eine These über Susan Sontags Werk auf, mit der er sie so verblüfft, dass sie nicht weiter darüber nachdenken möchte. Susan Sontag sucht ihren Platz „beyond mainstream“. Sie sagt, „sobald ich sehe, dass etwas funktioniert, verliere ich das Interesse daran.“ Es ist ihr wichtig, ihr eine Existenz am Rand zu sichern. Sie möchte viele Sachen ausprobieren, von denen sie keine wirklich zu Ende bringt. Sie lacht, an vielen Stellen, auch hier.

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