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2017 5 Apr

John Zorn in der Elbphilharmonie

von: Jochen Siemer Filed under: Blog | TB | Tags:  6 Comments

 


 
 
 

Im Vorfeld hatte man sich lange gefragt, wie das denn gehen solle, alles unter einen Hut zu bringen. Die Vorfreude war gross gewesen und als man auf einem der besseren Sitze Platz genommen hatte und das Konzert begann, wurde schnell klar: wo John Zorn draufsteht, da ist auch John Zorn drin. Insgesamt siebenundzwanzig Musiker in zwölf Formationen traten auf. Solo, im Duo, im Trio und als Quartett brachten sie einige der „Bagatellen“ zum Besten, von denen der jüdische Jazz-Innovator zuvor dreihundert am Stück komponiert hatte, in dreimonatiger Klausur und mit der von ihm gewohnten Schaffenskraft.

Man begann pünktlich wie die Bauarbeiter und dem Polier in Person kam spontane Sympathie entgegen, als er die Bühne betrat in gewohnter Arbeitskleidung: lässig in Tarnfarbenhose mit den übergrossen Seitentaschen, fast so gross wie das auf dem hauseigenen Tzadik-Label veröffentlichte Œu­v­re. Kurz dem Publikum zunickend, die Sympathie erwidernd, begann er sogleich, sein Abendwerk zu verrichten, denn die Zeit war knapp. Diszipliniert unter der Regie und Moderation des Komponisten lief nun alles ab, straffer und mit mehr Dynamik, als Bauplaner ein Projekt jemals zuende brachten.

Als es nach zwei Stunden zur Pause ging, hörte man von einem jener zahlreichen Besucher im fortgeschrittenen Rentenalter, die wohl der Philharmonie wegen gekommen waren und vermutlich das erste Mal mit solcherlei Musik Bekanntschaft machten: „Laut, aber gut.“ Genau das war auch das einzige Manko: es war stellenweise schlichtweg zu laut. Glücklicherweise aber kam man doch auch in den Genuss einer ortstypisch differenzierten Akustik. Beim Soloauftritt Craig Taborns etwa schritt der umtriebige Zorn hilfreich zur Tat: „I wanna hear the Piano, let´s drop off the soundsystem.“ Beifall.

Es waren auch solche kleinen Zwischenfälle, die den Abend würzten: einer jener dumpfen douchebags etwa, der seinem selbsternannten Pseudokumpel quasi über den Kopf der Ikue Mori hinweg, die zuvor eine eigentümliche Computerperformance abgeliefert hatte, zurufen musste: „Next time you put it on a USB stick, John.“ Emotionslos und sachlich, wie es die Situation erforderte, war dessen Antwort: „Fuck you!“ Gut so, denn der Typ sass gleich hinter uns. Hätte man ihm, dem spontanen Impuls nachgebend, direkt eine geplettet, die Konzentration wäre vorrübergehend gestört gewesen.

Die Highlights des Konzerts? Ein jeder der zwölf Acts war hörenswert. Von einigen der Musiker, die ja beim Label ECM schon publizierten, hörte man auch Stilles, klassisch Anmutendes: vom schon erwähnten Craig Taborn etwa, von der Pianisten Sylvie Courvoisier im vertrauten Zusammenspiel mit ihrem Gatten, dem Geiger Mark Feldmann und seinem unverwechselbar eigenem Violinenton. Das Duo Julian Lage und Gyan Riley, der eine an den Nylonsaiten und der zweite an den steel strings zupfend, war beeindruckend. Auch das Violoncello-Duo mit Erik Friedländer und Michael Nicolas liess die Akustik des Ortes gut erklingen.

Persönlicher Höhepunkt war dann doch das Quartett der Pianistin Kris Davis, mit der reizenden Mary Halvorson an der Gitarre, mit Drew Gress am Bass und Tyshawn Sorey am Schlagzeug. Da würde man sich über ein erscheinendes gemeinsames Album freuen. Dann wieder Zorn, der fast jeden Angehörigen seiner Freundesfamilie nach den jeweiligen Auftritten herzte, küsste und umarmte: „After this beautiful ballad, let´s do a little headbanging!“ Und was jetzt kam, glich elektrisch verstärkten Vorschlaghämmern mit Massagebass im Unterbauch. Die drei Jungs des Trios Trigger lieferten eine Metal-Performance ab, die man nicht vergisst und der Chef im Ring gönnte ihnen ausnahmsweise eine Extrarunde, denn sie seien ja „first time in Europe“. War das ein Spass!

Den ersten Set hatte John Zorn am Saxofon im legendären Masada Quartett begonnen – mit Trompeter Dave Douglas, Joey Baron am Schlagwerk und Greg Cohen am Bass. Als ihn das Trio des Organisten John Medeski, mit Drummer Calvin Weston und David Fiuczynski, jenem Doppelhalsgitarristen der Gruppe Screaming Headless Torsos, dann mit Power-Funk abschloss, war man froh, dass gerade erst zwei der insgesamt fünf Stunden eines grandiosen Konzertabends wie im Flug vergangen waren.

This entry was posted on Mittwoch, 5. April 2017 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

6 Comments

  1. Lajla:

    Wow, hört sich tempting an – hast du tatsächlich ein Ticket ergattert?

    Wie hat dir die Innenarchitektur gefallen?

  2. Jochen:

    Beeindruckende Architektur, innen (erinnerte mich an Bauhaus, Kubismus und Oskar Schlemmer, so wohl nur dank Computer-Software zu konzipieren) wie aussen, das Ganze im Milieu der Hafencity platziert. Die Karte war ein Weihnachtsgeschenk, Ergebnis eines findigen Online-Geduldaktes mit dazugehörigem Lotterieglück.

  3. Olaf:

    Im Dezember spielt wohl Nik Bärtsch in der Elbphilarmonie, es scheint aber noch keine Karten im VVK zu geben …

  4. Christoph:

    Oh je … ich wäre so gerne dabei. Glückwunsch.

    Ich habe monatelang auf ein Ticket gehofft. Und dann lese ich noch, dass viele Besucher das Konzert vorzeitig verlassen haben, weil der Zorn „Marathon“ nicht ihre Musik oder es zu lang war. Schon etwas ärgerlich.

    Christoph

  5. Gregor:

    Ich glaube es ja nicht. Toller Konzertbericht. Wunderbare Musiker und dann noch der Saal. Zorn habe ich Ende 70er das letzte Mal gesehen. Damals mit Frisell und Horwitz. Das, was du da erlebt hast, ist absolut einmalig. Glückwunsch!

  6. Jochen:

    Danke, Gregor.

    Sorry, Christoph – in der Tat ärgerlich, denn nach der Pause war der Saal nur noch gut halb gefüllt. Das tat der Stimmung aber keinen Abbruch und die letzten Tausend waren garantiert Freunde der Zorn-Musik und nicht nur der Philharmonie wegen gekommen.

    Beim grossen Schlussvorhang standen alle.


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