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2016 24 Mai

Gespräch der Jury unter sich: Die Prüfung

von: Martina Weber Filed under: Blog | TB | Tags:  | 7 Comments

Spannend wird es erst, wenn der Bewerber die Bühne verlässt, und die Jury zu diskutieren beginnt. Wie subjektiv sind die Maßstäbe der Jurymitglieder, welche Dynamik entsteht – durch Begeisterung, Ablehnung, Argumente? Drei Jahre hat der Dokumentarfilmer Till Harms gebraucht, bis er die Erlaubnis erhielt, an der Hochschule für Film, Theater und Medien in Hannover das zu drehen, was die Jury hinter geschlossenen Türen bespricht. Was sucht die Jury eigentlich? Wie zeigt sich Begabung, was ist ein no-go? Alle Bewerber werden zum Vorspielen eingeladen, im Jahr 2013, im Jahr der Dokumentation, waren es fast 700. Ausgewählt werden fünf Frauen und fünf Männer, jeder hat eine Chance. In der ersten Runde geht es darum, einen kurzen einstudierten Monolog zu spielen. Die Frauen sind besser, sagt einmal ein Jurymitglied, die Männer stellen einfach einen Stuhl hin und setzen sich irgendwie darauf, dann sehen wir nicht mehr, wie sie mit ihrem Körper verbunden sind. Natürlich geht es nicht um Perfektion, es geht um Entwicklungsfähigkeit. Emotionen transportieren können. Zeigen, wie sich Emotionen entwickeln, als Figur allein, und vor allem – schwieriger – im Dialog. Dabei aber nicht allzu sehr in sich verwickelt zu sein. Das erfordert eine Reife, die nicht jeder hat, mit Anfang, Mitte Zwanzig. Gelungenes Schauspiel entsteht aus einer selbstkontrollierten Fähigkeit zur Illusion und aus der Freude am Spiel. Das gilt für jede Kunst. Was Harms am meisten überrascht hat, war, dass die Jury jede Ablehnung begründet hat und dass es im Verlauf der Prüfung mehrere Chancen für Bewerber gab. Das geht dann zum Beispiel so: Okay, hier sitzt jetzt also der Vater am Tisch, und dann setzt sich ein Jurymitglied an den Tisch und wird gegenüber dem Prüfling autoritär. Hier ist dann Interaktion gefragt, und Spontaneität. Ob jemand eine Stimme schätzt oder eine bestimmte Rolle, das ist subjektiv, und natürlich geht es auch um Sympathie und um die Frage, ob man mit jemandem vier Jahre lang zusammenarbeiten will oder kann. Deshalb ist ein „Nein“ eines Jurymitglieds bei der abschließenden Frage, ob jemand aufgenommen werden soll, Anlass zu einer erneuten Diskussion. Nach dem Dokumentarfilm „Die Spielwütigen“ aus dem Jahr 2004 von Andreas Veiel, der vier Schauspielschüler vom Ausbildungsbeginn bis zum Berufsstart begleitet, ist „Die Prüfung“ von Till Harms ein weiterer unbedingt sehenswerter Film für alle, die sich für den Schauspielberuf interessieren. Für die Vorbereitung auf die Prüfung ist auch eine Wanderung im Wald zu empfehlen. Überqueren Sie einen Bach, springen Sie von Stein zu Stein, und verharren Sie dabei einen Moment. Sie werden diesen Augenblick in der Prüfung wiederfinden, in einer vorgerückten Runde.

 

Kinostart war am 19. Mai.

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7 Comments

  1. Jan Reetze:

    Das klingt nach einem sehenswerten Film. Leider wird er in den USA, wenn wir viel Glück haben, irgendwann im Rahmen einer Reihe über ausländische Abseitigkeiten in einem winzigen Kellerkino in New York gezeigt werden, und zwar genau ein Mal.

    Als DVD wird der Film im November veröffentlicht. Weshalb nicht eher? Bis dahin habe ich den Film längst vergessen.

    Da kann man wieder mal nur aufs Fernsehen hoffen und darauf, dass er dann in der Mediathek nicht fürs Ausland gesperrt ist.

    Auf das US-Netflix hofft man in diesem Fall wohl besser nicht. Deutsche Spielfilme findet man dort zwar manchmal, wenn sie den Vorstellungen entsprechen, die die amerikanische Zuschauermehrheit von Deutschland hat, aber Dokumentarfilme …

  2. Martina Weber:

    Es gibt ein paar Einblicke auf Youtube.

    Schau mal rein, wie sie dir gefallen. Würde mich interessieren.

    Kennst du den Film „Die Spielwütigen“?

  3. Martina Weber:

    „Die Prüfung“ läuft in absehbarer Zeit im deutschen Fernsehen.

  4. Jan Reetze:

    Danke für die Tipps, Martina, das sieht wirklich interessant aus; gerade auch, da der Film anscheinend schwerpunktmäßig die Arbeit der Juroren zeigt. Die bekommt man ja in solchen Dokumentationen in der Regel nicht zu sehen.

    „Die Spielwütigen“ kenne ich nicht, aber er steht auf Youtube, also werde ich ihn kennenlernen. Es ist ja überhaupt bemerkenswert, wie viele Filme und Dokumentationen es zum Themenkreis Aufnahmeprüfungen, Wettbewerbe etc. gibt, und ich finde sie eigentlich immer interessant – sowohl als Dokumentarfilme wie auch als Spielfilme, wenn sie gut gemacht sind (man denke an z.B. „Fame“). Oder auch „Whiplash“, der ja auch hier im Blog einige Diskussionen ausgelöst hat. Ich habe dieses Prüfungs- bzw. Wettbewerbsmotiv auch selber schon in einem Drehbuch verbraten, nachdem ich mal mit einer Musikerin gesprochen und ihren ganzen Frust erlebt hatte, der in ihr hochkam, nachdem die Jury des ARD-Musikwettbewerbes (mal wieder) keinen ersten, sondern zwei zweite Preise vergab.

    Schön, wenn „Die Prüfung“ via Mediathek zu sehen sein wird, aber ich glaube, der ist auch den Kauf der DVD wert.

  5. Martina Weber:

    Ja, Jan, es geht in „Die Prüfung“ vor allem um die Arbeit der Juroren.

    „Die Spielwütigen“ ist hingegen eine Langzeitstudie aus der Perspektive von vier Schauspielschüler(innen). Beide Filme sind super, ich habe beide im gleichen Kino gesehen.

    So einen Film sollte man mal zum Literaturbetrieb machen. Da fliegen die Fetzen!

  6. Jan Reetze:

    Nun habe ich die „Spielwütigen“ auch gesehen. Ich kann nur zustimmen: Sehr sehenswert.

    Manchmal staunt man ja über die Naivität mancher Leute, die Profis sein wollen. Der Typ, der da in New York einläuft, kaum Englisch kann und glaubt, man werde ihm die Rollen hinterhertragen — das hat was. Die Agentin, an die er dort geraten ist, schien allerdings ihre Medikamente vergessen zu haben. Ich frag mich, ob die sich Kunden gegenüber auch so aufführt. (Aber Agenturen sind eh so ein Thema. Von Zeit zu Zeit muss man ihnen wieder klarmachen, dass sie ihr Brot mit der Arbeit von Künstlern verdienen, nicht umgekehrt.)

    Interessant gleichwohl, was der Film an Training nicht zeigt bzw. welche in der Praxis dringend notwendigen Kenntnisse an solchen Instituten anscheinend gar nicht vermittelt werden. Hören die auch mal etwas über Dramaturgie, über Lichtsetzung, über Publikumspsychologie, über historische Recherche? Oder eben den Umgang mit Agenten? Und warum bringt ihnen keiner bei, dass Intensität nicht nur durch Schreien erzeugt werden kann? (Nicht auszurottende deutsche Schauspielerkrankheit, hat schon Meister Tucholsky festgestellt.)

    Was mir in Erinnerung bleibt, ist der heilige Ernst, mit dem die Eleven ihr Studium absolvieren, nur um festzustellen, dass am Ende wiederum ein Auswahlprozess steht, den sie kaum beeinflussen können.

    Ein Gründgens war keiner der vier. Dennoch fällt mir auf, dass ich mich nicht erinnern kann, eine(n) der vier jemals irgendwo in einem Film gesehen zu haben. Aber das mag an der Distanz liegen.

  7. Martina Weber:

    Die weiteren Kinotermine für „Die Prüfung“ in Deutschland finden sich hier:
    http://mindjazz-pictures.de/kinotermine/


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