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2016 7 Mai

Gregor öffnet seinen Plattenschrank (114)

von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | Tags:  8 Comments

 

 
 
 

In einem winzigen Laden stellt er Bilderrahmen her. Er weiß, er ist sterbenskrank, ohne Hoffnung. Von seinen Sorgen, wie Frau und Kind ohne ihn auskommen könnten, wenn er diese Welt wird verlassen müssen, wird er eines Tages von einem verlockendem Angebot entlastet: er soll einen Auftragsmord ausführen. Von seinem Lohn könnte seine Familie sorgenfrei leben.

 
 
 

 
 
 

Die Rede ist von Wim Wenders und seiner Verfilmung des Patricia Highsmith-Romans Ripley’s Game oder Der amerikanische Freund. Vor fast 40 Jahren war das, 1977, da wurde dieser spannende Streifen gedreht. Der junge Bruno Ganz spielte Jonathan Zimmermann, den Rahmenmacher, Dennis Hopper Tom Ripley, einen zwielichtigen Geschäftsmann.

Keine Ahnung, es muss Jahrzehnte her sein, dass ich diesen wunderbaren Film gesehen habe. Mit dem Road-Movie „Im Laufe der Zeit“ (1976) hatte ich Wim Wenders kennengelernt, dann ein Jahr später „Der amerikanische Freund“. Vor ein paar Tagen sah ich diesen Streifen erneut, aber ganz anders. Nie war mir die wunderschöne Jukebox in jener Bar aufgefallen, auch nicht der fantastische Trans Europ Express (TEE), in dem große Teile des Films spielen. (Im Eisenbahnmuseum der Stadt Horb (in Schwarzwaldnähe) kann man TEE der Baureihe 601/602 bewundern.)

 
 
 

 
 
 

Vor allem eines hat mich fast umgehauen, gibt es doch im Film eine Szene, in der die Plattenhülle der Kinks-Platte Face to Face nicht nur gezeigt wird, nein, Bruno Ganz, bzw. Jonathan Zimmermann, legt diese LP auch auf seinen Plattenwechsler und spielt „Too Much on My Mind“. Als ich mir diese Langspielplatte von meinem Taschengeld kaufen konnte, war ich dreizehn Jahre alt, einen Plattenschrank gab es noch nicht und brauchte es auch nicht, noch nicht einmal eine Kiste hätte gefüllt werden können, höchstens zehn LPs konnte ich damals mein eigen nennen. Es gab schließlich eine Preisbindung, die LP kostete 21 Mark, die Single 4,75DM. Übrigens: alle Bilder dieses Beitrages habe ich von meinem LOEWE abfotografiert, deshalb das leichte Flimmern, aber das hat doch was …

 
 
 

 
 
 

(Mehr zu der LP Face to Face von den Kinks siehe Plattenschrank Nr.74 vom 29.06.2014).

 

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8 Comments

  1. Martina:

    Ich habe den Film vor ein paar Monaten zum ersten Mal gesehen. Ich dachte, ich hätte hier etwas darüber geschrieben, aber vielleicht hatte ich es auch nur vor. Ich mache auch oft Fotos beim Filmeschauen, wenn ich etwas auf dem Blog darüber schreiben möchte, wenn die Bilder flimmern, Gregor, sind sie vielleicht nicht ganz geladen, jedenfalls ist es bei mir so. Was ist eigentlich noch präsent, nach einigen Monaten? An den kleinen Laden erinnere ich mich gut, an die Straße, in der er lag, und an die Wohnung. Die 70er Jahre Atmospäre mit ihrer ganz eigenen Art der Machtausübung. Ja, und an den Käfer, ans Meer.

  2. Michael Engelbrecht:

    Keine Ahnung, ob und wie mir der Film heute gefallen würde, ich sah ihn damals im Kino, und die Highsmith-Wenders-Connection war eine Verlockung.

    Die Motvation, zum Mörder zu werden, erschien mir damals allerdings schon recht abstrus. Umd ich glaube, trotz oder wegen Ganz und Hopper, kam mir manches arg stilisiert vor.

    Der Film hatte, wenn ich mch recht erinnere, das Tempo von Erik Ode im „Kommissar“ und den subdepressiven Duktus melancholischer Germanistikstudenten. Allerdings, keine Frage, schöne Bilder.

    Aber gut kann ich es mir vorstellen, mit dem Film eine Reise in die alte Bundesrepublik zu machen.

    Meine intensivste Highsmith-Erfahrung hatte ich bei der Lektüre „Lösegeld für einen Hund“. Eine ganz andere Geschichte.

  3. Martina:

    Ja, es ist eine Reise in die alte Bundesrepublik. Ich dachte daran, wie es war, als kleines Mädchen mit meiner Mutter einkaufen zu gehen, kleine handgeschriebene Zettel und wie sich die Menschen verhielten. Ich konzentriere mich meistens auf ganz andere Dinge als auf den großen Plot, den Spannungsbogen. So kommt es vielleicht, wenn man einen älteren Bruder hat. Wenn ich überhaupt je etwas mit ihm gemeinsam sah oder erlebte, war er es, der den großen Zusammenhang berichtete. Was blieb mir da noch? Nur der Rand. Und es ist nicht schlecht dort.

  4. Gregor:

    Den Film mit Erik Ode im „Kommissar“ zu vergleichen, da kann ich gar nicht mitgehen, aber das mit dem „subdepressiven Duktus melancholischer Germanistikstudenten“ ist (außer, dass dies ein typischer „Engelbrecht-Satz“ ist, über den er sich auch freut!) doch okay, kann ich mit leben.

    Und: mit der Reise in die alte BRD habt ihr beide natürlich recht. Face to Face ist dazuhin eben auch eine echte Hammerplatte und ich habe erst jetzt wahrgenommen, dass sie dort vorkommt.

  5. Jan Reetze:

    Einer meiner grossen Wenders-Favoriten. Nicht nur wegen der streckenweise anruehrenden Story, nicht nur, weil ich selbst auch einen roten Kaefer hatte, sondern weil der Film einige der schoensten und atmosphaerisch dichtesten Hamburg-Bilder enthaelt, die ich je in einem Film gesehen habe. Zudem taucht allerlei wunderschoenes kinetisches Spielzeug auf. Und die Musicbox, klar.

    Spaeter habe ich das Buch gelesen und bemerkt, dass Wenders fuer den Film Hamburg und Paris ausgetauscht hat.

  6. Michael Engelbrecht:

    (( Der grossartigste Film, den ich in den letzten vier Wochen gesehen habe, war SICARIO.))

    Der langweiligste Wendérs-Film, an den ich mich erinnern kann, war LISBON STORY. Madredeus-Fado, nicht mit mir. Mir kann auch „Das Buch der Unruhe“ gestohlen bleiben :) Und Wenders tritt in manchen Filmen gern pädagogisch auf. Grusel.

    Der beste: ALICE IN DEN STÄDTEN.

    Ich mochte, was Hamburg angeht, als ich klein war, die Filme von Hark Bohm. So hiess er doch, woll?!

  7. Gregor:

    Jetzt könnten wir aber ein richtig großes Diskussionsfass aufmachen … schnell zu damit!!!! (wir wären sonst am letzten Abend auf Sylt (Manafonistentreffen))

  8. Lajla Nizinski:

    Face to Face, Gregor, ist für mich der glorious Beginn von dem herausragenden Talent: Ray Davies. Mr Pleasant hätte zum Aufbau einer Oper gereicht. Mittlerweile denke ich das ganze Werk von den Kinks ist ein grandioser Opernball.

    (Gestern Abend spielte Kinky im Franzz Club in Berlin. Kinky Friedmann ist ein Countrysänger. Wegen des bescheuerten Namens und der schwachen Performance von gecoverten Merle Haggard and Warren Zevon Songs denkt und wünscht man sich unwillkürlich die Kinks.)


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