Manafonistas

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2015 16 Feb

Geschichten eines Absteigers (2) – Die Rückkehr des Superaffen

von: Michael Engelbrecht Filed under: Blog | TB | Comments off

In meinem Discman drehte sich in den letzten Tagen vor allem die feine Reggaescheibe von Lee Perry, THE RETURN OF THE SUPER APE, besonders schön morgens, im dicken Mantel, im Jardin Du Luxembourg, Nebel über der Wiese. In Dortmund dachten alle an eine Wende zum Guten, nach der Verlängerung des Reus-Vertrages, nach dem Sieg gegen Mainz, aber dann kam das Spiel in Stuttgart, und es war wieder Schluss mit lustig, von wegen dritter Sieg in Folge (nach meiner Vision in der Bäckerei, Sie erinnern sich, kann ich die Dinge, die noch geschehen werden, aus der Zukunftswarte betrachten) – jetzt ist der Tabellenkeller wieder breit aufgestellt, und der Abgrund gähnt, nicht aus Müdigkeit, sondern aus Gier. Es wird so verdammt unlustig. Neben Lee Perry hatte ich in meiner Pariser Wanderjoppe noch die „Schattendokumente“ von Sven Kacirek und Stefan Schneider, die ich gerne, abends im Hotel auflege. „Bureau B“ hat mit Shadow Documents ein dunkles, überraschenderweise rezeptfreies Elektronikum der Extraklasse vorgelegt.

Damals, als ich meinen demokratischen Protestbeitrag leistete, „Dr. Gott“ und seinen auch später noch realitätsfernen Gefolgsmann Meier aus dem Amt zu vertreiben, zogen, wie heuer im Abstiegsjahr 2015, dunkle Wolken über der Stadt auf, und ich sollte an jenem denkwürdigen Tag, als der Bankrott des Clubs in Sichtweite rückte, lang ists her, ein ganz privates Desaster erleben.

Aber klar doch: ein gewiefter Blick zu den Sternen, wissen, in welchem Quadranten Mars dir auf dem Kopf tanzt, und du kannst sicher sein: dieser Tag könnte nur mit einer Schusswunde enden. Wie bei Reus, wurden auch bei mir Vertragsmodalitäten geregelt, und nun ist ein prächtiges Jahresgehalt für mich unter Dach und Fach gebracht, der Herr der Jukeboxen musste sein Privatvermögen anzapfen, eine Jukebox von einer Spedition in meine Kopenhagener Zweitwohnung transportieren lassen, und den ganzen Scheiss auch bezahlen. So kam es ihn schmerzhaft und teuer zu stehen, meinen Manafonistas-Vertrag zu verlängern. Aber was tun Freunde nicht alles, um die Dinge wieder harmonisch zu gestalten. Gegen Reus war ich ein Schnäppchen. Ich veröffentliche weniger (etwa Wolframs, vielleicht Lajlas Schlagzahl, die Enthüllungen kultureller Wahrheiten werden gnadenlos bleiben :):):) – ich bin froh, wieder da zu sein, auch wenn ich leider aus dem Lesekreis der „gewöhnlichen Gnade“ ausscheiden musste. Time will never be on my side.

An jenem Abend also, als das Schicksal des BVB und mein eigenes, eine unheilige Allianz einigingen, fuhr ich mit einer alten Freundin in den Bahnhof Langendreer, eine gemütliche Szenekneipe mit einem feinen Programmkino um die Ecke, wo ich Jahre zuvor meinen einzigen Auftritt als Stummfilmmusikant hatte. Ich spielte auf einem absichtsvoll verstimmten Klavier dezente Tontrauben zu Maya Derens Meshes of the Afternoon. Aber ich schweife ab.

Sex war kein Thema mehr zwischen Klaudia, der Dritten, und mir. Wir sprachen über Musik, Musik, und über Musik. Einmal, an einem Abend mit Daniel Lanois in Frankfurt, hatte sie sich in den Kanadier verliebt, und ihm ganz offen ihre Zuneigung und Bettstatt angeboten, das war Jahre, nachdem ich ganz wild war nach Klaudia, der Dritten, nach ihrem Kussmund, der so riesig war, dass aufgespritzte Botoxlippen im Vergleich den Charme von ranzigem Schmalzgebäck verströmten.

Also, zwischendurch ging ich auf die Toilette, hielt meinen ahnungslosen Schwanz ins Pinkelbecken, und hatte keinen Schimmer, was mir wenige Sekunden später widerfahren sollte. Ich war nicht vorbereitet. Ich machte mich auf den Weg zu unserem Tisch, und auf dem weitläufigen Holzboden kam sie mir entgegen. SIE. Meine Zukunft. Meine Schwester. Celine oder Julie auf einer Bootsfahrt. Seriously Sexie Sadie. Jamie Lee Curtiz‘ Jüngere Schwester. The beauty of Wynona. Ihr Haar war blond gelockt.

Ich sah ihre Augen, und im Nu fanden sich meine Hände an Handschellen gefesselt in einem skurrilen Waldhotel mitten im Ruhrgebiet. Ich sah ihre Augen, und es war um mich geschehen. UND SIE SAH MIR IN DIE AUGEN. Nicht einfach nur so. Einerseits seltsam wach, andererseits, als würde gerade der Karneval in Rio eröffnet. Das war wohl Liebe auf den ersten Blick, und ich war im Zeitraffer untwegs in unserem zukümftigen Leben, zwischen knallharten Bondage-Spielen und Shakespeares 18. Sonett. (Vergessen Sie diese Blümchensexscheisse von Fifty Shades of Grey, SM für Doofe).

Wir gingen aneinander vorbei (subjektiv geschah das alles in Superzeitlupe, Hitze flog durch meinen Körper, ich dachte in dem Augenblick tatsächlich an Saturday Night Fever, die Bee Gees, ohne den Lackaffen John Travolta). Unsere Wege und Blicke und Schicksale kreuzten sich also, und nach etwa zwei Sekunden, drehte ich mich um, zeitgleich drehte sie sich um, und sprachlos übermittelten wir lauter wahre Empfindungen, Liebesbriefe im Stenogrammstil. Dass wir uns gemeinsam umdrehten und ansahen, hatte etwas von Duellen im Wilden Westen, nur wurde hier mit Amors Pfeilen geschossen, in diesem Ballett eines wahr werdenden Traumes, und ich ging unsichtbar zu Boden.

Und dann ging jeder weiter. Als wäre nichts gewesen. Mein Gehirn arbeitete im Overdrive-Modus. Also. Ich glaubte, ich hätte sie zuvor flüchtig im Biergarten sitzen sehen (mit Mann? mit Kind? was tun?). Der Plan war schnell gereift. Ich zahlte, fuhr Klaudia, die Dritte, nachhause, 10 Minuten Hinweg, raste zurück, und betrat den Bahnhof. Showdown. Ich war hellwach.

Alles ist ja ein bisschen miteinander verstrickt. Sie konnte dort mit Kind und Kegel, mit Mann und Hund sitzen – unsere Stunde hatte geschlagen, und jetzt galt es, ihr Ort und Zeit unseres ersten Treffens ins Ohr zu flüstern, ihren Duft einzuatmen (Lavendel? Flieder? Der schönste Schweiss der Welt?) – und bis zum Abend des ersten Kusses den ganzen Werkkatalog der Beatles vorwärts und rückwärts zu spielen. Sie war nicht mehr da. Ich setzte bei der Chefkellnerin eine Belohnung aus, hinterliess meine Nummer, kehrte immer wieder zum Ort des Nichtgeschehenen zurück. Ich sah sie nie wieder. Over and out.

P.S. Ich liebe diese Morgenzeit im Park. Ein Croissant aus der Tüte. Ich war viel zu früh wach geworden, und sass neben Männern und Frauen von der Frühschicht in einem Arbeitercafe, schnappte ihre Dialoge auf. Fetzen von Intimität, in denen ich mich vorübergehend einrichtete. Zwei Tische weiter sass Patrick Modiano, kein Witz. Er soll hier allgegenwärtig sein, gerade im Jüdischen Viertel. Ich habe vor vielen Jahren einige Bücher von ihm gelesen, alles Pariswanderungen. Verlustmeldungen. Eine genaue Beobachtungsgabe für das Flüchtige. Seine Bücher haben das Tempo archetypischer ECM-Platten. Nimm Paul Bleys Open, To Love, und du hast den Soundtrack eines Modianos. Es wäre ja nun ein gefundenes Fressen für einen Journalisten, einmal diesem Spurenleser Verschollener durchs Dritte Arrondissement zu folgen. Den Spiess umzudrehen. Was für eine feine Ironie, aber mein Taktgefühl siegte. Bald war ich wieder in meinem Park, und liess die „Herrlichen Löcher“ in der Musik Lee Perrys ihre Wirkung tun. Getting the codes, the hints, the traces. Als ich in der Nacht träumte, durch eine Fotogalerie zu schleichen, die  beinharten Bilder Weegees aus einem alten New York an die Wand genagelt, hatte ich Bettye LaVettes neues Album Worthy in den Ohren. Und wie sie Dylan und die Beatles verwandelt. Und mich. And a lot of that old hot shit.

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