Jokleba ist das Trio des Pianisten Jon Balke, des Trompeters und Sängers Per Jorgensen sowie des Trommlers und Elektronikers Audun Kleive. Vor Beginn ihrer Europatournee, die morgen in Bristol endet, schrieb mir Jon Balke folgende Mail über das verstörende und widerspenstige Werk eines bereits seit fünfzehn Jahren existierenden Trios:
“Sämtliche Stücke von Outland entstanden aus einem Zustand der Fassungslosigkeit über den Zustand der Welt, der, während unserer Aufnahmen, in direkten Wahnsinn umschlug. Wir nahmen OUTLAND im Frühjahr auf, als all die schrecklichen Dinge aus der Ukraine und Syrien zu uns drangen, und das Barbarentum der islamischen Terrorbrigaden: uns kam es so vor, als würden wir kollektivem Irrsinn direkt ins Auge schauen. Wir haben kein Interesse daran, Programmmusik zu machen, aber diese Realitäten spiegelten sich im Herausströmen der Sounds. Wir versuchten, die Infomationsstücke zu sortieren, mit denen wir gefüttert wurden, und fortlaufend wurden wir von anderen Dingen abgelenkt. Auf die gleiche Weise wird die Klarheit in der Musik, ihr Puls, jedem Mitspieler in kleinsten informationseinheiten angeboten, dabei aber ständig auseinander gerissen von plötzlichen Strömungen paralleler oder gegenläufiger Information. Das Album ist kein Karriereschritt in eine neue Richtung, es ist ein direktes Dokument der Energien, die im Frühjahr 2014 zwischen uns flossen.“
Mit einer Spielweise, die allen Regeln eines groovefreudigen Jazz widerspricht, mit bizarren Sounds, und einer Palette zwischen abgrundtief brüchiger Melancholie und gespenstisch eruptivem Furor ist Jokleba eine so aufregende wie widerspenstige Produktion gelungen: in diesem Jazz fliegen Fetzen, stolpern Rhythmen – und auch wenn Balke, Jorgensen und Kleive auf der Bühne nicht in exotisch Masken schlüpfen, sind gewisse Parallelen zu einigen Stilelementen des frühen Art Ensemble of Chicago alles andere als weit hergeholt. Bei den Chicagoer Pionieren wie bei den drei Norwegern geht es auch da, wo die Musik, surreal, wild, unberechenbar daherkommt, darum, eigene Ideen nicht zu lange in sicheren Zonen zu dulden. Jokleba trauen ihren Kontrasten und Brechungen zurecht emotionale Durchschlagskraft zu: gerade in solch rauen, explosiven energiefeldern gewinnen lyrische Momente eine besondere Strahlkraft (jenseits des gepflegten, guten Tons).
Wenn sich laut Jon Balke bei „Outland“ die Musik nicht zuletzt „um den Verstand dreht, wenn er dabei ist, verloren zu gehen“ – ein Titel lässt den Kinoklassiker „Einer flog über das Kuckucksnest“ anklingen – dann handelt das Album eben nicht nur von der Wut über die Schräglage der Welt anno 2014. Mit OUTLAND legt das Trio das Potential offen, dass der Jazz auch da entfalten kann, wo einzelne seiner sogenannten gesicherten Bestandteile zu kollabieren drohen. Diese Arbeit verlangt vollkommene Konzentration und belohnt sie mit einem nur zu Anfang verwirrenden Klangfarbentheater, mit aufblitzendenden, abtauchenden Ideen der atemraubenden Art, mit lerztlich kinderleichten Drahtseilakten. Der Jazz braucht wueder mehr Chaosforschung, Jokleba bietet dazu ein paar unvergessliche Lektionen. Wehe, wer jetzt an Free Jazz denkt.
Zum Ende des Jahres erscheinen bei ECM einige umwerfende Alben: Keith Jarrett, Charlie Haden und Paul Motian spielen in Hamburg 1972 wie entfesselt (jetzt wird das lang kursierende Bootleg, klanglich überarbeitet, offiziell!), es ist nicht mehr lange hin bis zum „Köln Concert“, und als ich gestern in der Jazzredaktion das erste zwölf Minuten lange Stück des Doppelalbums „Souvenance“ von Anouar Brahem hörte, versuchte ich erst gar nicht, aus dem Staunen herauszukommen. Die Streicher kamen nicht aus Hollywood. Und so ein Cover hat man bei dem Tunesier auch noch nie gesehen: ihn liessen die Unruhen und Gewalttätigkeiten im eigenen Land nicht kalt und scheinen den Stücken eine dunklere Tönung mit auf den Weg zu geben, in der ersten Komposition jedenfalls werden manche Sounds in freier Jazzmanier, von Kontrabass und Blasinstrument, angerissen, kurz in den Raum geworfen: die Violinen besänftigen nicht.