Manafonistas

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2013 21 Jul

Gregor öffnet seinen Plattenschrank (47)

von: Gregor Mundt Filed under: Blog | TB | 4 Comments

Der Tag an dem Robert Wyatt im Briefkasten versank (Teil 1)

 

….und dann versank Robert Wyatt im Briefkasten.
Kann man sich meinen Kummer vorstellen? Da öffne ich nach einer 1280 km langen Autofahrt durch Frankreich – endlich an der geliebten Atlantik-Küste – die Tür eines Appartementhauses der Firma Inter-Holidays, zu meiner linken entdecke ich zahllose Briefkästen, nur wenige tragen einen Namen, die meisten nichts als nackte Nummern, finde den Briefkasten, der die Zahl unseres Appartements trägt, sehe durch den Briefkastenschlitz und tatsächlich, da liegt es, das Päckchen, auf dem Boden des Kastens. M. hatte wirklich nicht zu viel versprochen: der gefütterte Umschlag mit der neuesten Robert-Wyatt-CD hatte uns überholt. Ohne auch nur irgendetwas aus dem Auto in die Wohnung zu hieven, suche ich – zitternd vor Vorfreude – unser Appartement auf und schaue nach dem Briefkastenschlüssel. Ich kann es nicht fassen, schnell muss ich feststellen: ich habe keinen Schlüssel für die verfluchte Briefkastentür. In der ganzen Wohnung…nicht die Spur eines Briefkastenschlüssels. Mit Bratenspieß, Kochlöffel und verschiedenen Gabeln bewaffnet, versuche ich, die doch mit solcher Spannung erwarteten Platte aus der Letterbox zu fischen, vergeblich. Und dann verspüre ich ein übermenschliches Verlangen danach, sofort Inter-Holidays anzurufen und wen auch immer dort aufs Fürchterlichste zu beschimpfen. Dieses sündteure Unterfangen, das ich von meinem PrePaid-Handy aus veranstalte, endet in einer Warteschleife und vielen französischen Tipps, die ich nicht verstehe. Am Abend dann in der Ferienwohnung – die Wyatt-CD immer noch im Kasten liegend – einen lauen Sommerabend auf der lauschigen Terrasse erhoffend, sitze ich zwischen einer brüll-laut lärmenden Familie zur Linken und einer Horde idiotisch schreiender und johlend kreischender pubertierender Jugendlicher zur Rechten und könnte heulen­­: Was für ein Urlaub!
M. hatte mich vor ein paar Tagen angerufen und mir total begeistert von der neusten Wyatt– CD erzählt, For the Ghosts Within sollte sie heißen, er habe sie schon.

 

 

Neid befiel mich, Neid ist gar kein Ausdruck. Noch bevor ich irgendetwas sagen konnte, bot M. an, mir ein Exemplar For the Ghosts Within an den Atlantik zu schicken. Ich war sprachlos, das war mehr als ich zu hoffen gewagt hatte. Ich erinnerte mich, dass M. schon einmal eine derartige freundschaftliche Glanzleistung vollbracht hatte. Damals war es die neueste Gabarek-CD Rites, die mir M. an den Atlantik schickte und damals war es auch kein Briefkasten eines Appartementhauses, in dem die CD verschwinden konnte, sondern offene Postfächer einer Campingplatz-Rezeption.
Am nächsten Tag dann: meine besten Englischkenntnisse hervorkramend, wähle ich in einer grauenhaft versifften Telefonzelle erneut die Nummer von Inter-Holidays – und erreiche jemanden. Wie man mir denn helfen könne, fragt eine Stimme, deren Besitzerin ich niemals auch nur einen Jogurt abkaufen würde, ich lege so richtig los, von wegen Schlamperei und fehlender Briefkastenschlüssel, so ginge das ja nicht und das bei drei Sternen und überhaupt, die Klimaanlage auf dem Klo funktioniere nicht, eine Halterung für die Klopapierrolle fehle und dann das Besteck, wenn man das Croissant aufschneide, verbiege sich schon das Messer, auch der Fernseher sei ja wohl das letzte, da hätte mein Nachbar neulich einen weggeschmissen, der war ja blitzneu im Vergleich zu dem flimmernden Steinzeitgerät in der Wohnung; auch fehle es an einer Knoblauchpresse, ob sie sich das denn vorstellen könnte, eine französische Ferienwohnung ohne diese Pflichtteil. Was? Ich hätte sie oder ihren Chef fragen sollen, an wen von beiden meine Post verschickt werden solle? Jetzt gerate ich erst recht in Rage. Die spinnt wohl. Doch, bellt sie, die Post käme nie an die Ferienanschrift, sondern stets an die Inter-Holiday-Niederlasssungsaddresse. Wo käme man denn da hin, die Besitzer der Wohnungen kämen schließlich aus allen Staaten Europas, wenn man von denen auch noch verlangen würde, dass sie ihre Briefkastenschlüssel den verehrten Mietern ihrer geliebten Ferienwohnung…also wirklich, unzumutbar, keine Chance. Wie hatte ich nur annehmen können bei dieser bestens geschulten Inter-Holiday-Vorzeige-Dame irgendwie etwas erreichen zu können. Hatte sie sich doch bereits in den ersten Minuten, als ich den Schlüssel für diese saubere Inter-Holiday-Wohnung abholen wollte, als ziemlich, sagen wir mal, unwissend erwiesen. Aber sie verspricht immerhin, den Besitzer der Wohnung ausfindig zu machen, sie könne aber für nichts garantieren, wenn sie ihn erreiche, könne ich sicherlich innerhalb von 10 Tagen den Schlüssel in der Niederlassung abholen. Also, das geht ja gar nicht, denke ich, einmal dauert unser Urlaub in dieser feinen Wohnung gerade einmal vierzehn Tage, zum anderen, nein, also wirklich, zehn Tage am Briefkasten mit `Robert Wyatt drinnen´ vorbeigehen zu müssen, das wäre die Höchststrafe!
Und trotzdem, zunächst heißt es: Es hilft nichts, Robert Wyatt bleibt mit seiner neusten Platte – die letzte Veröffentlichung von ihm liegt fünf Jahre zurück – in den Briefkastentiefen liegen. Ich könnte es sprengen, dieses Scheißding. Aber dann wäre wahrscheinlich auch die Robert-Wyatt-CD hin.

 

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This entry was posted on Sonntag, 21. Juli 2013 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. Both comments and pings are currently closed.

4 Comments

  1. Henning:

    sowas wie vollkommen unzugaengliche Bkaesten gibt es nicht – auch hier wird eine Lösung möglich sein. Drauf kommen lassen …

  2. Gregor:

    Lieber Henning, Teil 2 der Geschichte folgt ja, aber leider war das meine Erfahrung: Es gibt vollkommen unzugängliche Briefkästen. In diesem gerade erst fertiggestellten Ferienzentrum waren die Briefkästen auch noch besonders gesichert, es waren also keine 0-8-15 Schlüssel. Dass es eine Lösung geben MUSS, hatte auch ich gehofft!

  3. Michael Engelbrecht:

    Erzählt mit Thomas Bernhardschem Furor. Chapeau. Als M. G. die CD schickte, als kopierte promo copy, war das Werk noch lange nicht im Handel. Es war sozusagen unerreichbar – und doch so nah.

  4. Henning:

    Verstehe


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