Bevor im April die Klanghorizonte in eine andere Zeitzone wandern, und „Radio Nirvana“ dann die Zeitschaltuhren, den diskreten Podcast und ggf. die eigene Biorhythmik vor neue Herausforderungen stellt (Details folgen), hier die Nennung der fünf Alben, die seit Mai 1990 in meinen Ausgaben am häufigsten eingesetzt wurden. Nummer 1: Brian Eno: Another Green World. Nummer 2: Brian Eno: Music for Films. Nummer 3: Brian Eno: On Land. Nr. 4: Talk Talk: Laughing Stock. Nr. 5: Wire: Chairs Missing. Es kann nicht sein, dass Sie, liebe Leser, diese Werke nicht besitzen, ich hätte meine Mission verfehlt :) Hier, re-mixed, eine private Remniszenz an die „Musik für Filme“, u.a. mit einem historischen Plattenversand aus Pasing, einem alten Autoradio, einem Alptraum, einer Kantate von Bach, und einem Grog am frühen Morgen.
In dem Sommer (oder war es schon Herbst), in dem diese Langspielplatte erschien, lebte ich in einer ziemlich leergeräumten Wohnung, in der die Schatten einer alten Liebe noch an der Wand tanzten. Allmonatlich kaufte ich die “Sounds”, die beste Musikzeitschrift, die es je gab in der alten Bundesrepublik. Ich stöberte durch die jüngste Ausgabe, als mein Blick auf eine kleine Werbung der Firma Polydor fiel: “Der Mann im Hintergrund”, war da zu lesen, so flüstert es mir meine Erinnerung ein, ein monochromes graues Cover war abgebildet, und das Erscheinen von Music for Films wurde mit kalkuliertem Understatement verkündet. Sofort bestellte ich die Platte bei einem meiner zwei Dealer, in Unterlüss. Der andere Postversand war Jazz by Post in der Gleichmannstrasse 10 in Pasing, von dort kamen mir über Jahre u. a. viele ECM-Neuheiten ins Haus, die Schatztruhe der 70er Jahre war weit geöffnet. Unterlüss war für die Rockmusik und ihre Ränder zuständig. Zwei, drei Tage später hielt ich Music for Films in Händen. Und hörte sie zum ersten Mal. Ich habe diese Platte mit ihren flüchtigen und mich auf jede Flucht mitnehmenden Skizzen, ihren vollkommenen Unfertigkeiten, ihren Sehnsuchts- und Angst- und Traumstoffen seither unendlich oft gehört, bewusst, unbewusst, im Hintergrund, im Seitengrund, im Vordergrund. Beim Wandern (mit Knopf im Ohr), beim Schreiben, beim Einschlafen, Wachwerden, in der Fremde. Und als Alternative für “die Zigarette danach”. Beim ersten Hören wusste ich, dass diese Musik lebensbegleitend sein würde. Sie wurde rasch auch eine Medizin, sie half mir, mit den nackten Schatten an der leeren Wand zu tanzen, statt sie zu verscheuchen. Und als damals ein Riese mich aus dem Bett und meiner Wohnung im 7. Stock schleudern wollte, ich meinen Geist vergeblich mit Kakao zu beruhigen suchte, der Alptraum aber wiederkehrte, und ich mir einen heißen Grog machte mit dem guten alten Pott, dann mit dem Auto auf einen großen leeren Acker in der Nähe von Würzburg fuhr, dort den Sonnenaufgang erlebte und meine einzige tief anrührende Begegnung mit einer Kantate von Bach aus dem schräpigen Autoradio hatte, und hernach in die Alpdruckwohnung heimkehrte, legte ich Music for Films auf, und erlebte, wie sich die vollkommen irrationalen Glücksgefühle, die sich schon auf dem kühlen Morgenacker eingestellt hatten, weiter ausbreiteten, und ich mich gar freute auf die nächste Begegnung mit dem Riesen.