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Archives: Shai Maestro

 

Die Zutaten für den Mix sind alphabetisch geordnet. Den Impuls zum Mixen gab Shai Maestro, dessen surname ich nicht übersetzen möchte – ein paar wenige Leser verstehen eventuell, warum. Ordne ich in zeitlicher Reihenfolge, dann muss ich mit Richie Beirach anfangen.
 

Neue Musik, die wichtig ist, muss eine Grenze berühren. Sie muss an einen Ort geraten, hinter dem etwas Unbekanntes liegt. Ob es die Grenze überschreitet, das ist nicht immer möglich. Aber dieser Punkt muss erreicht werden, wo man spürt, hier geht es nicht weiter – vorerst, ja. Aber die Musik zeigt diese Grenze auf. Warum ist es wichtig, dass wir einen neuen Ort erreichen oder an eine Grenze kommen? Es lief etwas, was noch nicht dagewesen ist.
 
(Björn GottsteinAUDIO 1)

 

Richie Beirach habe ich am Freitag, den 16. August 2019, im Quartett live gehört mit einem Auftritt beim Jazzfest Passau. Beirach war vor Wochen Thema hier im Blog mit dem tief berührenden Interview-Film von Ingo J. Biermann und der davon inspirierten Milestones-Sendung Michaels im DLF. Es ist nicht schwer zu erraten, was mich veranlasste, Richie zu hören und persönlich zu treffen. Es war ein schönes Konzert, es war ein solides Konzert sehr versierter Musiker, aber es war kein Erlebnis, das eine Grenze berührt hätte. Man hörte handfesten Post Bop, den ich inzwischen zum Old Time Jazz zähle.
 
 
 
 


 
 

Shai Maestros erstes ECM Album The Dream Thief stand auf meiner Favoritenliste des Jahres 2018 und vorgestern begegnete ich erstmals 2 Grenzen überschreitenden Alben, die schon seit Langem vorliegen, aber fest gebucht sind für meine 2019-Liste. Sie haben mich in extremer Weise berührt und gehören zu den wenigen Alben, deren Tiefenwirkung jener eines Live-Erlebnisses gleicht. Zu naheliegenden Beispielen zählen dafür Jarretts Facing You und Solo Concerts Bremen/Lausanne oder Miles Davis’ Kind of Blue (wenn ich mich auf Jazz beschränke).

Shai Maestros Musik amalgamiert zwei Eigenschaften, die nur von wahren Meistern überzeugend verbunden werden können: Wohlklang, Eingängigkeit, betörende Melodik einerseits und subtile Raffinesse gepaart mit Wildheit andererseits. Er erfindet Harmonien, die unter den Chord Symbolen des REAL BOOK so gut wie gar nicht zu finden sind – was sind das schöne Überraschungen!
 

Eigentlich hätte ich meine Sendung überschreiben müssen ‘Plädoyer für Toleranz am Beispiel von Keith Jarrett’, denn Erfolg – und mag er noch so groß sein – schließt ja nicht aus, dass auch Kritik laut wird. Im Fall von Jarrett erregen sich einige Leute bei gewissen Passagen seiner Soloklavier-Auftritte. Diese Passagen hören sich an wie Zitate aus der Klassischen Klavierliteratur, und genau bei so einer Stelle flüsterte mir in einem Jarrett Konzert ein eher mäßig begabter Klarinettist zu “Scheiß Heile Welt”. Was war daran so heil? Die nachvollziehbaren Melodien, der köstliche Anschlag, die durchschaubare Harmonik? Kurz danach wechselte Jarrett die Stimmung und spielte wie rasend Cluster über Cluster. Wieso konnte der Kollege von der Free-Jazz-Fraktion nicht 5 Minuten Wohlklang ertragen? Warum war es ihm unmöglich, Tonalität als etwas nicht Bedrohendes zu empfinden?

Michael Naura – AUDIO 2

 

Ähnliches ist mir 1976 in Nürnberg bei Jazz-Ost-West passiert, als ein guter Freund von mir – ebenfalls Mitglied der Free-Jazz-Fraktion – meine Begeisterung für den Auftritt des Keith-Jarrett-Quartetts mit der Bemerkung “zu viel Schönklang” nicht schmälern konnte. In diesen Post-68er-Jahren geriet jegliche ästhetischen Genuss bereitende Musik allzuoft in den Verdacht, System stärkend zu sein, von politischen Missständen abzulenken. Nun ist es ohnehin fraglich, wie weit die semantische Deutlichkeit von Instrumentalmusik reicht. Spontan könnte ich nur 2 Beispiele nennen für Instrumentalmusik, deren politische Dimension einst ruchbar war. Beethoven ist eines der beiden Exempel. In seiner Epoche, und vor allem durch ihn, emanzipierte sich Musik aus funktionalen Bindungen. Das 19. Jahrhundert wird dafür den Terminus “Absolute Musik” erfinden. Beethovens Zeitgenosse J. N. Dolezalek berichtet: Kaiser Franz I. wollte von Beethovens Musik nichts wissen: ‘Es steckt etwas Revolutionäres in der Musik!’ Was Michael Naura beschreibt findet eine ungefähre Analogie im Zusammenhang mit Wolfgang Rihm.
 

Rihm ist da ausgeschert. Er war derjenige, der von Anfang an […] tonal komponiert und die Klassische Formenwelt bedient [hat]. […] Es war der große Skandal, dass ein zeitgenössischer Komponist, ein junger Komponist, so verständlich, so sinnlich, so wuchtig, so haptisch, so, dass es den Menschen sofort erreicht, komponieren kann und sich über alle Regeln hinwegsetzt!
 
 
Eleonore Büning AUDIO 3
 
ich empfehle ergänzend
 
AUDIO 4 und
 
AUDIO 5 anzuhören.

 
 
 


 
 
 

Ein Musiker, der sich dem ästhetisch Schönen verschrieben hat ist freilich per se kein unpolitischer Mensch, wie man im letzten Titel von Shai Maestros Album The Dream Thief hören kann. In What Else Needs To Happen? lässt Shai Maestro an 2 Stellen Barack Obamas Stimme während einer Rede hören, in der er sich für die Waffenkontrolle einsetzt.
 
 


We all change as human beings … we will probably never stop changing.
in learning to take time, fearing less, daring more and accepting
the occasional stumbling – the music changes with us.
We are slowly learning to let the music be a representation of
who we are as people. For good or bad.

 
 
Shai Maestro, Nov. 14

 


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