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Archives: Nils Wortmann

2021 25 Okt

Alles so schön still hier …

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… oder die Ästhetik des Hintergrundes. Nachdem ich als Jugendlicher endlich stolzer Besitzer einer eigenen Stereoanlage war, erstand ich als zweite Schallplatte „Zeit“ von Tangerine Dream und kaum war das Knistern des Rillenanfangs den Klängen gewichen, verlangsamte sich die Zeit und stand schließlich still. Vorder- und Hintergrund des Raumes und alle anderen Klänge begannen miteinander zu verschwimmen, ein „surrounding influence“, wie Brian Eno es später nennen sollte, in trat meinen Bewusstseinsstrom. Ruhe stellte sich ein und ein tiefer, weiter Raum der Reflexion öffnete sich. Auch wenn das Konzept der „Ambient Music“ noch nicht formuliert war und die Musik Erik Satie’s noch auf dem Weg zu mir, war meine Liebe zu genau dieser Musik geweckt und führte zu zahllosen faszinierenden musikalischen Entdeckungen auf diesem Wege. Nun ist Ambient für viele nicht mehr als eine langweilige Klangtapete, doch wenn man sich, wie einst Brian Eno, der Tage vor einer frisch gekalkten Wand in der Patio des Hauses von Freunden auf Lanzarote verbrachte, um das Zentrum der Langeweile zu ergründen, darauf wirklich einlässt, kann man alsbald entdecken, dass Langeweile nicht weniger ist als die Unfähigkeit des Geistes sich mit dem Gegebenen kreativ auseinanderzusetzen.

Nils Wortmann hat sich eingelassen und ist der Ambient Music in Gänze verfallen, hat sich durch tausende Alben dieses Genres durchgehört und hat nun mit „Alles so schön still hier – 100 Ambient-Alben, die man gehört haben sollte“ in dem Hofheimer Wolke Verlag eine chronologische geordnete Monographie vorgelegt. Angefangen bei „Discreet Music“ als Ausgangspunkt elektronischer Ambient Music über die ursprünglichen Protagonisten des Genres, wie Edgar Froese, Manuel Göttsching, Hans-Joachim Roedelius, Harold Budd und Steve Hillage beschreibt er wie sich die Kreise weiten und immer neue Einflüsse und Ideen dazukommen. Hierbei werden im Verlauf amerikanische Musiker, Spezialisten für das Experimentelle oder Exzentrische, die oft unterschätzte Frankfurter Elektronikszene und nicht zuletzt auch „kankyō ongaku“, die sehr subtile japanische Ambient-Musikszene gewürdigt. Der Falle jeder Best-of-Liste sich zu sehr festzulegen, was auch dem Geist des Genres widerstreben würde, entzieht Nils Wortmann sich, indem er die einzelnen Alben exemplarisch aufführt und mit einer „Weiterhören“-Rubrik nach den sehr unterhaltsamen und sachkundigen Rezensionen ergänzt. Für jedes Jahr ab 1975 stellt er Alben vor, die anfangs die unzweifelhaft grundlegenden Werke des Ambient auflisten, aber mit zunehmender Verbreitung (eine aktuelle Suche bei Discogs tagged mehr als 450.000 Alben unter Ambient!), muss die Auswahl mehr und mehr eine persönliche Note bekommen. Und hier schafft Wortmann es in unglaublicher Weise eine exquisite Wahl zu treffen, die mit jedem mir bislang unbekannten Album eine Offenbarung ist. Ohne Ausnahme. Aus der Überfülle der Veröffentlichungen filtert er dank seiner  Faszination und umfassenden Kenntnis ein musikalisch besonderes Album nach dem nächsten heraus, beleuchtet verschiedene Seiten des Genres und infiziert den Leser, indem er mit seinen lebendigen Texten und Hörvorschlägen jegliche Langeweile gründlichstens atomisiert. Abgerundet wird das Buch durch ein umfangreiches Literatur- und Ambient-Labelverzeichnis, die zur weiteren Suche einladen. Und wer am Ende des Buches in Ambient-Music immer noch eine Klangtapete sieht, wird einräumen müssen, dass diese auffällig vieldimensional und psychedelisch ist und keinen Halt vor den Tiefen seelischen Erlebens macht. Eine wunderbare, gut recherchierte und neugierig machende Lektüre bis zum letzten Tipp.

 
 


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