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Archives: Kronos Quartet

2023 15 Nov

Kronos over Pittsburgh

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Das Kronos Quartet existiert seit 50 Jahren und feiert dieses Ereignis mit einer Tournee unter dem Titel Five Decades. Ich kenne und schätze dieses Ensemble seit den wohl frühen 1980ern, live gesehen hatte ich es bisher aber nie, obwohl die Gruppe bestimmt auch irgendwann mal in Hamburg war. Die Besetzung des Quartetts war über die Jahrzehnte weitgehend stabil — David Harrington (Violine), John Sherba (Violine), Hank Dutt (Viola) waren immer dabei, lediglich das Cello wechselte ein paarmal, derzeit ist Paul Wiancko der Cellist. Über das Können der vier muss man kein Wort verlieren, über ihre Offenheit gegenüber fast jeder Stilrichtung ebenfalls nicht — Staunen genügt. Dass Kronos elektronisch verstärkt spielt, mag für Puristen ein Stein des Anstoßes sein, da aber in viele der Stücke auch voraufgezeichnete Zuspielungen eingeblendet werden, ist das notwendig.

Kronos ist angetreten mit dem Anspruch, ausschließlich Werke des 20. Jahrhunderts zu spielen, inzwischen ist auch das 21. dazugekommen. Dabei greift das Ensemble nicht nur vorhandene Werke auf, sondern gibt auch selbst Kompositionen in Auftrag — um die tausend sind es bis heute. Zeitweilig hat sich dabei eine Kompositionsweise herauskristallisiert (fast könnte man von einer Masche sprechen, aber das wäre bösartig), die Werke von meist um die 20 Minuten Dauer hervorbringt, die unmittelbar auf die Spezifika von Kronos und das CD-Format zugeschnitten sind. So hat sich das Kronos Quartet zum Jubiläum ausgedacht, 50 (!) Kompositionen in Auftrag zu geben, sie einzuspielen und sie frei zugänglich zu machen — hier kann man sie hören; wer will, kann dort auch die Noten herunterladen.

Einige der Werke gehören zum derzeitigen Tourprogramm, wobei das aber wechselt. Wenn ich es richtig sehe, spielt Kronos jeden Abend ein anderes Programm, lediglich zwei Kompositionen scheinen fest dabei zu sein. Im PNC Theatre/Pittsburgh Playhouse (einem architektonisch gewagten, aber akustisch sehr schönen Kammermusiksaal mit wohl ca. 400 Plätzen, der zur Point Park University gehört und den ich bis dato nicht kannte) war dies das Programm:

 

Ein kurzes Video über die Geschichte des Quartetts

Severiano Briseño (arr. Osvaldo Golijov): El Sinaloense (The Man from Sinaloa)

Peni Candra Rini (arr. Jacob Garchik): Maduswara

George Crumb: God-music from Black Angels

Aleksandra Vrebalov: Gold Came From Space

Nicole Lizée: Death to Kosmische

Laurie Anderson (arr. Jacob Garchik): Flow

Stacy Garrop: Glorious Mahalia
I. Hold on
II. Stave in the ground
III. Are you being treated right
IV. Sometime I feel like a motherless child
V. This world will make you think
featuring the recorded voices of Mahalia Jackson and Studs Terkel

 

Als Zugabe gab’s einen alten Reißer des Quartetts: Jimi Hendrix‘ Purple Haze, gefolgt von einer sehr getragenen zweiten Zugabe, deren Komponist mir akustisch leider entgangen ist.

George Crumbs Werk dürfte schon deshalb dabei gewesen sein, weil das Stück David Harrington im Radio seinerzeit so umgehauen hat, dass er beschloss, selbst ein Streichquartett ins Leben zu rufen. Es wurde also zur Urzelle von Kronos. Das Stück gibt dem Ensemble auch die Gelegenheit, seinen Spieltrieb auszulassen: Der hier gespielte Satz God Music wird von dreien der Musiker auf wassergefüllten, perfekt gestimmten Weingläsern gespielt, begleitet lediglich vom Cello. In Maduswara gab es heftige Percussion; in Death To Kosmische kamen ein Stylophone und das gute alte Omnichord wieder zu Ehren; Laurie Andersons Flow stammt aus ihrem Lolabelle-Requiem und ist ein extrem leises Stück, das auf Obertönen basiert — da hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören können, aber dankenswerterweise fiel keine. Vielleicht nicht ganz so originell, aber gleichwohl faszinierend ist Glorious Mahalia, in dem das Quartett ein Gespräch zwischen Mahalia Jackson und dem Schriftsteller Studs Terkel musikalisch kommentiert bzw. ein solistisch vorgetragenes Spiritual begleitet.

Schön, nun auch das Kronos Quartet einmal in Aktion gesehen zu haben. Obwohl es ständig tourt, gibt es die Gelegenheit nicht allzu oft.

 

 

 

 

Sun Rings for String Quartet, Chorus and pre-recorded Spacescapes ist der vollständige Titel dieser zehnteiligen Kompositionssuite, geschrieben und uraufgeführt mit dem Kronos Quartet bereits 2002. Eines der Stücke, „One Earth, One People, One Love“, war bereits Teil des Albums Sunrise of the Planetary Dream Collector, in dessen Folge der Zyklus entstanden ist; das schadet aber nichts, denn nun steht es in seinem richtigen Kontext, am Ende von Sun Rings.

Das Weltall war immer ein faszinierendes Thema, spätestens seit Gustav Holsts Die Planeten ist es auch Teil des Konzertlebens. Dass Sterne und Planeten Radiosignale von sich geben, weiß man schon länger. Voyager 1 und 2 waren sehr fleißige Sammler in dieser Hinsicht. Die NASA zeichnet diese Signale auf und analysiert sie zu Forschungszwecken — man kann daraus Rückschlüsse auf Atmosphäre, Zusammensetzung und andere Dinge ziehen. Man kann die Signale aber auch elektronisch so bearbeiten, dass sie für menschliche Ohren hörbar werden — rhythmisch krachend, pfeifend, singend, rauschend. Wer sie pur hören will, findet sie auf der Webpage der NASA. Die Sonne klingt eher aufdringlich, Saturn erinnert an singende Wale, Jupiter dagegen ist fast unheimlich (aber letzteres bilde ich mir vielleicht nur ein; ich fand den Jupiter immer irgendwie unheimlich).

Terry Rileys Verbindung zu den Sternen war ein Peyote-Button, irgendwo in der nächtlichen Landschaft des Tahoe National Forest, in dessen Nähe er aufwuchs. Nun hat er die Sternensounds, die er vielleicht schon damals gehört hat, zur Basis seiner Sun Rings gemacht. Sie liegen nicht nur einfach „unter“ der Musik, sondern sind ihr Ausgangspunkt. Die Klänge fließen mit den Streicherklängen, aber auch einem gemischten Chor zusammen, verstärken sie, rhythmisieren sie, geben ihnen Farbe und Atmosphäre. Sun Rings ist auch nicht „klassische Minimal-Musik“. Natürlich gibt es die Riley-typischen melodischen Schleifen, aber die Stücke sind auskomponiert, nichts ist Zufall. 9/11 war eine Unterbrechung; Riley wusste eine Weile nicht mehr weiter. Der Schock, den er bis heute mit den meisten Amerikanern teilt, hinterließ Spuren: „Prayer Central“, das längste Stück der Suite, ruft, zum Teil in Einzelsilben zerlegt, zum Frieden auf: „Now we must learn to de-pend on vast, mo-tion-less thought.“ Man mag das hoffnungslos romantisch oder Koyaanisqatsi-selig finden, das ist es auch, aber es funktioniert im Kontext der Musik. Das Schlussstück basiert dann auf der Zuspielung der Stimme der Autorin Alice Walker, die, während sie die 9/11-Anschläge beobachtete, diese Worte als Mantra sprach: „One Earth, One People, One Love.“

 

 


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