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Archives: Julia Cortazar und Carol Dunlop: Die Autonauten auf der Kosmobahn

Haben Sie einmal beobachtet, wie Arbeiter an einem Rastplatz Abfallsäcke entleeren? Sie können einfach nur zusehen, Sie könnten aber auch einen Entschluss fassen. Zwischen dem 20. Mai und dem 23. Juni 1982 reisten Julio Cortazar (mit dessen hochintelligentem Roman „Rayuela“ man viel Zeit verbringen kann) und Carol Dunlop (Autorin, Fotografin, Aktivistin) in einem VW Wohnmobil mit Faltdach auf der Autobahn von Paris nach Marseille. Sie verließen die Autobahn nicht, sie hielten an jeder Raststätte und übernachteten auf jeder zweiten. Eine Forschungsreise. Notizen zum Wetter, zur Ernährung, Eindrücke zu den Raststätten, Zeichnungen zu ihrer Lage, Carol Dunlops wunderbare Schwarzweißfotografien, die Logistik der Lebensmittelversorgung durch Freunde in handyfreier Zeit. Und sonst? Tja, genau das ist die Herausforderung: Da etwas zu sehen, wo andere gar nichts sehen, weil sich die Besucher auf einer Raststätte normalerweise nicht viel länger aufhalten als nötig.

Der Charme des Buches entsteht durch die Mischung der Texte, die zuweilen Fäden wiederaufnehmen und die namentlich nicht gekennzeichnet sind, so dass der Leser zwar oft ahnen kann, aber nicht immer weiß, ob Cortazar oder Dunlop sie geschrieben haben. Tarotkarten und die Bedeutung von Spielregeln, die Bedeutung von Regeln in Anbetracht eines kleinen Ausflugs vom Parkplatz aus, Randgebiete, Übernachtungen in Hotels, „ich meine, dass es möglich ist, einen Wunsch zu projizieren, und dass er irgendwie in Erfüllung geht“, die Briefe von Cortazars Mutter, die ihren Sohn immer wieder auf der Raststätte sieht, ihn aber nicht erkennt. Überlegungen zur Nationalität der Reisenden, zur Phänomenologie der Lastwagen, die Hierarchie der Automarken und der damit verbundene Respekt, die Erfahrungen von Kindern, von Hunden, Reparatur- und Gartenarbeiten, die Angst vor Verfolgung (es ist illegal, länger als zwei Tage auf der Autobahn zu sein, und die Mautstationen können dies überprüfen), Studien zu Geräuschkulissen (die eine Auswahl der Musikkassetten einschließt), der Kampf gegen unerwünschte Insekten, die Wahrnehmung der Raststätte nachts als Stadt in ständiger Bewegung, „wenn man dem Phantastischen die Tür öffnet, kommt alles herein“, kleine Geschichten, darunter eine wunderbare amerikanisch anmutende Story über ein Liebespaar, das die Nacht in getrennten Räumen eines Motels verbringt. Die eigene Kindheit, die Körper bei Nacht, der Blick auf den LKW nebenan oder in die Autolichter. Die Zeit an den Uhren vorbeifließen lassen. Szenen eines Traums.

Es geht um die Wahrnehmung durch sich selbst und durch andere, sehr viel geht es um Freiheit und wo wir ihren Kern finden. Und natürlich ist es eine Liebesgeschichte. Eine Fluchtlinie vor dem Tod. Den Raum betrachten und lernen, dieser Raum zu sein. Das klingt nach Zen. Zu Dunlops Reiselektüre gehörten die Tagebücher der Virginia Woolf. Cortazar las Gedichte von Paul Blackburn, der ebenfalls einen Anteil an der Expedition hat und der in seinen Gedichten (unleserliche Notiz).

Das Buch transportiert den Charme der frühen 80er Jahre. Wäre eine solche Forschungsreise heute noch möglich? Ich zeigte das Buch P und J, die gemeinsam zwei Theaterstücke geschrieben haben. Ich sprach keine vier Sätze darüber. Das machen wir auch, sagte J. Und wohin soll die Reise gehen, fragte ich. Nach Warschau. Wir saßen im Innenhof einer ehemaligen Brotfabrik, und wollten gerade aufbrechen, da standen schon große Lautsprecher am Ausgang und eine Artistenfamilie begann mit ihren Kunststücken. Ein indischer Philosoph sagte, kein Ziel ist beständiger als die Sterne, die Welt oder als ein einfacher Rastplatz.

 

Julio Cortázar, Carol Dunlop: Die Autonauten auf der Kosmobahn. Eine zeitlose Reise Paris – Marseille. Suhrkamp Verlag, 360 Seiten.

 

P.S. In deutscher Sprache erschien das Buch im Jahr 1996. Anlasslich des 100. Geburtstages von Julia Cortázar brachte der Suhrkamp Verlag im vergangenen Jahr eine Neuauflage heraus. Ich habe das Buch erst durch die Erwähnung von Gregor oder Michael hier auf dem Blog entdeckt.


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